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Demonstranten auf einer Mauer in der Nähe der US-Botschaft in Kairo.

© Reuters

"Das ist Chaos": Der blutige Aufstand in der arabischen Welt

In zahlreichen Ländern weltweit eskalierte am Freitag die Gewalt. Auslöser ist ein anti-islamischer Schmähfilm. Doch es sind nicht die Massen, die den Aufstand proben, sondern ein harter, gewaltbereiter Kern.

Das ist keine Demonstration. Das ist Chaos. An diesen Schlachten hat der Prophet keine Freude“, ärgert sich Amin, der in sicherer Entfernung vom tränengasgeschwängerten Tahrir-Platz vergeblich auf Touristen wartet. Einmal mit Plakaten vor die US-Botschaft, das sei genug. „Solange wir unseren Ärger nicht zivilisiert ausdrücken können, nennen sie uns zu Recht Dritte Welt“, fährt der aufgebrachte Touristenführer fort. Er hat Angst, nach den neusten Bildern könnte es noch länger dauern, bis die Ausländer zurückkehren.

Vor die US-Botschaft, das geht am Freitag nicht mehr. Die Polizei ist massiv präsent. Sie hat neue Betonwände aufgeschichtet und alle Zufahrtsstraßen weiträumig abgeriegelt. An diesen Sperren kommt es regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen jugendlichen Steinewerfern und den Sicherheitskräften, die massiv Tränengas einsetzen. Für die – viele von ihnen Fußball-Ultras – ist der Mohammed-Film nur noch ein Vorwand, ihren ewigen Krieg mit der Polizei fortzusetzen. „Nur Esel, Kühe und Bärtige“ gehen noch auf den Platz, meint ein Verkäufer in Anlehnung an den Film, in dem auch ein Esel vorkommt. Die Stimmung auf dem geschichtsträchtigen Platz ist angespannt. Demonstranten, denen der Protest gegen den beleidigenden Mohammed-Film ein echtes Anliegen ist, sind nur wenige gekommen.

Bilder: Ausschreitungen vor US-Vertretungen in islamischen Ländern

In der „Assad Ibn al Furat“-Moschee, unweit des Stadtzentrums von Kairo, wo traditionell auch viele erzkonservative Salafisten beten, lauschen hunderte Männer der Freitagspredigt. Der Imam findet starke Worte gegen jede Beleidigung des Propheten, aber ebenso dezidiert verurteilt er jede Form von Gewalt als unislamisch. Nach dem Gebet zerstreuen sich die Gläubigen, wie an jedem Freitag. Proteste gibt es nicht. Überhaupt hält sich die Aufregung über den Mohammed-Film beim Großteil der Ägypter in Grenzen. Sie messen diesem Machwerk eines Einzelnen keine große Bedeutung bei und sind nicht in die Falle der beabsichtigten Provokation getappt.

Dieses Video sei nicht wichtiger als sein Ferienfilm, findet ein junger, gläubiger Angestellter einer ausländischen Firma. Auf Deeskalation sind auch die Muslimbrüder und ihr Präsident bedacht. Das Feld ganz den Salafisten überlassen wollten sie zwar nicht, deshalb haben sie nicht wie vorgesehen zu einem „Millionen-Marsch“, aber immerhin zu dezentralen Protesten vor einzelnen Moscheen aufgerufen. Die standen unter dem Motto „Mohammeds Sieg“, fanden aber keinen großen Zuspruch. Nach anfänglichem Zögern, als die Proteste am Dienstag ausbrachen, griff jetzt auch Präsident Mohammed Mursi zu schärferen Worten. Es sei die Pflicht von gläubigen Muslimen, die ausländischen Botschaften und Diplomaten zu schützen, erklärte er und warnte davor, dass dieser Film die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen der Region – Stichwort Syrien und Palästina – ablenke.

Es sind nicht die Massen, sondern ein harter, gewaltbereiter Kern

Die Welle der Demonstrationen gegen den in den USA von einem koptischen Christen produzierten Film, der Mohammed lächerlich macht, ist im Nahen Osten und in Nordafrika zwar keineswegs abgeebbt, aber es waren nicht Massen, die am Freitag auf die Straßen gingen, sondern ein harter, manchmal auch gewaltbereiter Kern. In Gewalt ausgeartet sind die Manifestationen vor allem in der sudanesischen Hauptstadt Khartum, wo die deutsche und die britische Botschaft gestürmt wurden, und im jemenitischen Sanaa. Zu Zusammenstößen mit der Polizei kam es auch im Libanon, wo es in Tripolis mindestens ein Todesopfer und viele Verletzte gegeben haben soll.

Nach dem blutigen Überfall auf das US- Konsulat in Bengasi, den der US-Botschafter und mehrere andere Menschen am Dienstag mit dem Leben bezahlt hatten, haben die libyschen Behörden erste Verhaftungen vorgenommen. Die Untersuchung sei ein gutes Stück vorangekommen, sagte der neue Regierungschef Mustafa Abushagur. Ein Sprecher der Gruppe Ansar al Shia hat sich von der Gewalt distanziert, weder die islamistische Miliz noch einzelne ihrer Mitglieder seien an dem tödlichen Überfall beteiligt gewesen.

In Bildern: Deutsche Botschaft in Brand gesteckt:

In Kenia sind nach Angaben der Polizei mehrere Selbstmordanschläge verhindert worden. In der Hauptstadt Nairobi seien zwei aus Somalia stammende Männer festgenommen und sechs Sprengstoffgürtel sichergestellt worden, teilte die Polizei mit. Außerdem haben die Sicherheitsbehörden in dem mehrheitlich von Somaliern bewohnten Stadtviertel Eastleigh zwölf Granaten, vier Sturmgewehre und mehrere hundert Schuss Munition entdeckt. Auch in Indonesien, in Malaysia und in Afghanistan demonstrierten Muslime ihre Wut über den in den USA produzierten Film „Innocence of Muslims“ (Unschuld der Muslime). „Tod den Juden“ und „Tod Amerika“ riefen rund 200 Indonesier vor der nach den Angriffen auf die US-Vertretungen in Libyen, Ägypten und Jemen schwer bewachten US-Botschaft in Jakarta. Im Jemen feuerten Sicherheitskräfte mit Tränengas und schossen mit scharfer Munition in die Luft, als rund 2000 Demonstranten versuchten, zur US-Botschaft in der Hauptstadt Sanaa zu marschieren.

Video: Wütender Mob stürmt US-Botschaft im Jemen

Der Berliner Terrorismus- und Islamismusexperte Berndt Georg Thamm sieht die Geschehnisse in einem Kontext und verweist auf andere Gewaltausbrüche in der jüngsten Vergangenheit. So hätten muslimische Fundamentalisten Ende Juni, Anfang Juli in Mali mehrere Heiligengräber, Mausoleen und eine berühmte Moschee zerstört. Wenige Wochen später machten radikale Islamisten in Libyen die Schreine von Gelehrten dem Erdboden gleich. In beiden Fällen stünden hinter der Zerstörungswut Salafisten, die den „reinen“ Islam predigten und deshalb zum Beispiel die Verehrung von Heiligen als Gotteslästerung strikt ablehnten.

Überhaupt gehöre der Dschihad-Salafismus als extremistische, militante und gewaltbereite Strömung im Islamismus zu den „Gewinnern der Arabellion“. Thamm verweist in diesem Zusammenhang vor allem auf „Al Qaida im islamischen Maghreb“. Die regionale Terrororganisation sei inzwischen so etwas wie ein „Dachverband salafistischer Gruppen“. Und die forderten eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen Islam, die mit „Feuer und Schwert“ durchgesetzt werden müsse. Eine Forderung, die nach Thamms Einschätzung in immer mehr Ländern Nordafrikas Anhänger findet - von Tunesien über Ägypten und Libyen bis nach Nigeria und Somalia.

Alle Ereignisse vom Freitag können Sie hier im Tickerformat nachlesen.

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