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Politik: „Das ist der Preis des Regierens“

SPD-Fraktionschef Struck über die Umfragewerte der Union und einen Libanon-Einsatz der Bundeswehr

Herr Struck, gibt es nach der UN-Resolution eine Chance auf Frieden im Libanon?

Es ist ein gutes Zeichen, dass sich die internationale Staatengemeinschaft in der UN-Resolution für einen Waffenstillstand im Süden des Libanon ausgesprochen hat. Das ist eine Chance, die Lage im Nahen Osten wieder zu stabilisieren. Wichtig ist, dass die Resolution jetzt so schnell wie möglich umgesetzt wird.

Hat die Bundeswehr die Kapazitäten, um im Rahmen eines UN-Einsatzes in den Libanon zu gehen?

Man soll den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun. Das ist eine Frage, die sich erst dann stellt, wenn die Planungen über die erweiterte UN-Truppe konkretisiert wurden. Aber es gibt sicherlich Kapazitäten und Fähigkeiten der Bundeswehr, die bei einem solchen Einsatz nützlich sein könnten.

Frühere Bundeswehr-Generäle halten eine Beteiligung der Bundeswehr allein aus Kapazitätsgründen für unmöglich.

Da würde ich mich nicht auf die Kommentierung von Pensionären, sondern auf das Urteil des Generalinspekteurs verlassen.

In den Fraktionen wird bereits über eine Sondersitzung des Bundestages spekuliert. Halten Sie es für wahrscheinlich, dass das Parlament noch in der Sommerpause über die Entsendung deutscher Soldaten beschließt?

Ich bin mir mit meinem Kollegen Volker Kauder von der Union völlig einig, dass wir die anschließenden Diskussionen nach der Beschlussfassung der Vereinten Nationen in der internationalen Gemeinschaft und die Entscheidungen der Bundesregierung in Ruhe abwarten sollten. Eine Sondersitzung des Bundestages sehe ich nicht.

Deutsche Uniformen an der Grenze zu Israel – das kann man sich schwer vorstellen.

Ich gehe davon aus, dass auch die internationale Gemeinschaft einerseits das schon jetzt große Engagement der Bundeswehr bei Friedensmissionen und zum anderen auch das besondere Verhältnis zwischen Deutschland und Israel im Blick hat.

Was bedeutet es für dieses Verhältnis, wenn Israels Premierminister um den Einsatz deutscher Soldaten an der Grenze seines Landes bittet?

Das ist schon ein deutlicher Hinweis auf die weitgehende Normalisierung des Verhältnisses, aber es ist auch ein bewegender Vertrauensbeweis. Dennoch ist die Bitte des israelischen Premiers keine Vorentscheidung, zumal es auch andere Stimmen in Israel gibt. Ich sage den Mitgliedern meiner Fraktion in aller Deutlichkeit: Es gibt keinerlei Vorfestlegungen auf einen Einsatz – weder von der Regierung noch von der Fraktionsspitze. Wir werden niemanden mit Sofortanträgen überfallen. Wenn die Frage eines Einsatzes auf uns zukommen sollte, was wirklich offen ist, dann wird das ausführlich erörtert. Darauf können sich alle verlassen.

Was halten Sie denen entgegen, die sagen: Deutsche Soldaten dürfen nicht im Libanon eingesetzt werden, weil sie in dem Konflikt nicht unparteiisch sein können?

Das ist in der Tat ein schwerwiegendes Argument. Eine Friedenstruppe müsste strikt neutral sein gegenüber beiden Konfliktparteien. Ich erwarte auch deshalb gründliche Diskussionen, sollte Deutschland tatsächlich um eine Beteiligung gebeten werden.

In der SPD-Fraktion würde ein Libanon-Einsatz auf große Vorbehalte stoßen …

… wie in den anderen Fraktionen auch.

Kann in einer solchen Frage der Fraktionszwang gelten?

Natürlich nicht. Ich habe als Fraktionschef in solchen Fragen, bei denen es um Leben und Tod von Soldaten geht, nie Fraktionsdisziplin eingefordert und würde das auch jetzt nicht tun.

Das heißt, die große Koalition müsste im Bundestag keine eigene Mehrheit für einen solchen Einsatz aufbieten?

Grundsätzlich muss jeder Abgeordnete – ob aus Koalitionsfraktionen oder aus der Opposition – solche Fragen nach gründlicher Auseinandersetzung mit der Materie nach seinem Gewissen entscheiden.

Leitet sich aus Deutschlands Schuld an der Judenvernichtung eine zwingende Verpflichtung für einen Einsatz ab?

Deutschland steht ohne Wenn und Aber für das Existenzrecht Israels. Ich bin sicher: Sollte der Bundestag über einen Einsatz der Bundeswehr im Libanon zu entscheiden haben, wird die besondere, aus dem Holocaust resultierende Verpflichtung und Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel bei der Gewissensentscheidung der Abgeordneten eine große Rolle spielen.

Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul kritisiert Israels Vorgehen als völkerrechtswidrig und fordert einen sofortigen Waffenstillstand, während Außenminister Steinmeier scharfe Töne vermeidet, um Deutschlands Handlungsspielraum nicht einzuengen. Steht die SPD eher hinter Wieczorek-Zeul oder hinter Steinmeier?

Diesen Gegensatz sehe ich nicht. Außenminister Steinmeier versucht durch seine unermüdlichen diplomatischen Gespräche zu erreichen, was meine Fraktion und meine Partei fordert: dass endlich die Waffen schweigen. Ich unterstütze die Verhandlungsbemühungen von Frank-Walter Steinmeier, der alles, wirklich alles Menschenmögliche versucht, um einen Friedensprozess in Gang zu setzen, bei dem auch Syrien einbezogen wird. Ohne Syrien, da hat er völlig recht, ist eine dauerhafte Lösung in der Region nicht denkbar.

Herr Struck, kurz vor der Sommerpause haben Sie der Bundeskanzlerin Wortbruch vorgeworfen und damit für einen ordentlichen Koalitionskrach gesorgt. Bereuen Sie das inzwischen?

Von Wortbruch habe ich nicht gesprochen, sondern meine Enttäuschung zum Ausdruck gebracht, dass es nicht gelungen ist, den Widerstand der Unionsministerpräsidenten gegen eine stärkere Steuerfinanzierung des Gesundheitswesens zu brechen. Dabei hatte sie uns zuvor signalisiert, dass sie eine stärkere Steuerfinanzierung anstrebt. Für mich ist die Sache jetzt aber erledigt. Jetzt geht es um die Umsetzung der Gesundheitsreform. Das wird noch heiß werden, wenn ich an den Widerstand der verschiedenen Lobbygruppen denke.

Immerhin haben die Streitigkeiten um die Gesundheit dazu geführt, dass erste Weichenstellungen in der Koalition in Zukunft ohne Sie getroffen werden.

Das wäre mir neu.

An der neuen Viererrunde der Koalition nehmen Kanzlerin Merkel, Vizekanzler Müntefering, SPD-Chef Beck und CSU-Chef Stoiber teil. Die Fraktionsvorsitzenden Struck und Kauder müssen leider draußen bleiben …

Es ist völlig normal, wenn die Parteivorsitzenden und der Vizekanzler miteinander reden. Volker Kauder und ich sprechen ja auch, ohne dass die anderen immer dabei sind. Im Übrigen wissen Kanzlerin und Vizekanzler ganz genau, dass die Fraktionen letztlich im Parlament über alle Projekte entscheiden und deshalb von Anfang an einbezogen werden müssen.

Hat die Koalition in den ersten acht Monaten unter der Widerspenstigkeit der SPD-Fraktion gelitten?

Wie kommen Sie darauf?

Ihr Parteichef Kurt Beck hat nach der Koalitionsrunde zum Föderalismus über die Nachforderungen der SPD-Abgeordneten geklagt. Er habe gegenüber der Union „bitten und betteln“ müssen und wolle so etwas nicht noch mal erleben.

Ich kann nicht erkennen, dass wir in irgendeiner Weise der Regierung oder den Unterhändlern der Koalition in den Rücken fallen oder gefallen wären. Dass eine Fraktion selbstbewusst ist und entscheiden will, ist in der parlamentarischen Demokratie ein normaler Vorgang. Wir haben bei der Föderalismusreform ja auch noch einiges bewegen und ändern können durch die Debatten in der Fraktion und damit der Bundesregierung geholfen. Und das wird bei der Gesundheitsreform nicht anders sein.

Das schlechte Erscheinungsbild der Koalition liegt nach Meinung von Umweltminister Sigmar Gabriel daran, dass die Konzepte der Regierung in den Fraktionen und im Bundesrat zu Sand zermahlen werden.

Das sehe ich völlig anders. Die Fraktionen raspeln nicht die Konzepte der Regierung zu kleinem Sand, sondern sie entscheiden selbstständig wie in der Verfassung vorgesehen.

Gesundheitsreform, Arbeitsmarktreformen, Unternehmenssteuerreform: Welches dieser im Herbst anstehenden Vorhaben ist für die SPD-Fraktion das problematischste?

Sämtliche Reformprojekte werden schwierig, weil die Ausgangspositionen beider Koalitionsfraktionen ziemlich weit voneinander entfernt waren.

Halten Sie eine Unternehmensteuerreform mit einer dauerhaften Entlastung von fünf Milliarden Euro jährlich für die Wirtschaft in Ihrer Fraktion für durchsetzbar, wenn den Bürgern zugleich höhere Krankenkassenbeiträge und eine höhere Mehrwertsteuer zugemutet werden?

Genau darüber wird in der SPD derzeit debattiert. Wir halten uns an die Koalitionsvereinbarung, in der weitgehende Aufkommensneutralität festgeschrieben ist. Ich kann mir ernsthaft nicht vorstellen, dass wir dauerhaft auf mehrere Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr verzichten. Da bin ich mir völlig einig mit Peer Steinbrück.

Frau Merkel pocht auf dauerhafte Entlastung der Unternehmen.

Es gibt Eckpunkte, die das Kabinett beschlossen hat. Ich sehe auch den Druck, den die Union ausübt. Aber ich bin mir sicher: Das letzte Wort ist da noch nicht gesprochen. Wir werden über eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und den Wegfall von Steuervergünstigungen mit der Union zu ringen haben.

Werden die anstehenden Auseinandersetzungen im Herbst durch den Niedergang der Union in den Umfragen erschwert?

An solche Zahlen muss sich die Union gewöhnen. Das ist eben der Preis, den man für Regierungshandeln zu zahlen hat. Wer sich als Politiker von Meinungsumfragen abhängig macht, hat schon verloren. Das wäre mein Ratschlag an alle, die es angehen mag.

Sie meinen Frau Merkel.

Ich meine alle, die es angeht.

Je länger die Koalition regiert, desto stärker werden in beiden Parteien die Fliehkräfte. Was lässt sich dagegen tun?

Man muss ordentliche Arbeit leisten. Die SPD besetzt mit Franz Müntefering, Ulla Schmidt und Peer Steinbrück die Schlüsselressorts Arbeit, Gesundheit und Finanzen für eine erfolgreiche Reformpolitik. Schon deshalb ist mir vor den Bundestagswahlen 2009 nicht bange.

Sie sind sicher, dass die Koalition so lange hält?

Ja. Wir haben jetzt drei Jahre Zeit, um unsere Arbeit zu machen. Darauf sollten wir uns konzentrieren und uns nicht in Koalitionsspekulationen und Farbspielen ergehen.

Spätestens 2009 müssen Sie aber dreifarbige Koalitionen in Erwägung ziehen, wenn Sie die große Koalition nicht fortsetzen wollen.

Darüber mache ich mir heute keine Gedanken. Wir haben zu regieren. Nach der Wahl 2009 muss eine stabile Regierung zustande kommen. Bisher waren Ampelkoalitionen nicht sonderlich stabil. Die SPD liefe dabei auch Gefahr, zwischen Grünen und FDP in die Mühle zu geraten.

Klaus Wowereit scheint in Berlin einen Testlauf für Rot-Rot-Grün starten zu wollen.

Ich rede ihm da nicht rein. Ich sage nur, dass die Linkspartei im Bund für uns Sozialdemokraten nicht als Bündnispartner in Frage kommen kann. Das würde das Land in die außenpolitische Isolation stürzen, das ist völlig ausgeschlossen.

Die Fragen stellten Tissy Bruns und Stephan Haselberger. Das Foto machte Thilo Rückeis.

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