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Politik: „Das ist ein Beitrag zur Toleranz“

Das Kopftuchverbot an Schulen gehört zur Integration, sagt CDU-Vize Annette Schavan. Und die Türkei soll nicht in die EU

Der Streit um das Kopftuch polarisiert wie nie. BadenWürttemberg will es Lehrerinnen verbieten, andere Länder wollen es erlauben. Haben Sie damit gerechnet, dass die Klage von Fereshta Ludin, die in Ihrem Land Lehrerin werden wollte, diese Folgen haben wird?

Der Landtag von Baden-Württemberg und auch ich selbst haben vor sieben Jahren, als der Fall uns erstmals beschäftigte, ein Gesetz abgelehnt. Wir wollten die Dienstpflichten einer Lehrerin ohne Gesetz konkretisieren – dahingehend, dass ein Kopftuch als politisches Symbol im Rahmen des Mäßigungsgebots für Beamte an einer Schule nicht getragen werden darf. Wer jetzt vor einem Gesetz warnt, darf sich nicht bei mir beklagen. Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine gesetzliche Grundlage.

Jetzt heißt es: Verboten sind alle Symbole, die den Schulfrieden gefährden könnten. Welche sind das außer dem Kopftuch?

Entscheidend ist die Verbindung eines Symbols beziehungsweise einer Darstellung mit einer politischen Botschaft, die mit Grundüberzeugungen von Grundgesetz und Landesverfassung nicht vereinbar ist.

Wie verträgt sich dies mit der Gesetzesforderung, religiöse Symbole gleich zu behandeln?

Das Kopftuch ist nicht nur ein religiöses Symbol. Wäre es das, gäbe es darüber nicht eine so hitzige Debatte in Europa. Religiöse Symbole werden gleich behandelt. Religionsfreiheit ist kein Monopol der Christen. Aber von uns kann doch auch erwartet werden, dass wir nicht ignorant sind gegenüber den Signalen, die vom Kopftuch einer Muslimin über die religiöse Symbolik hinaus ausgehen können.

Was transportiert das Kopftuch noch?

Über die Rolle des Kopftuchs gibt es seit Jahren eine heftige innerislamische Debatte. Islamische Vertreter sagen uns, es stehe auch für eine bestimmte Auslegung des Islam im Sinne des politischen Islamismus. Damit sei eine Sicht der Frau verbunden, die mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar ist. So sehr für manche Muslimin das Kopftuch auch Zeichen ihres Selbstbewusstseins ist, so kann doch niemand leugnen, dass es auch Teil einer Unterdrückungsgeschichte der Frau ist. Das deuten nicht wir in das Kopftuch hinein, das ist Teil der Debatte im Islam.

Karlsruhe wird sich wieder mit dem Problem befassen müssen. Werden Sie auch Kreuze und Nonnentrachten aus dem Unterricht verbannen, wenn das Gesetz wegen fehlender Gleichbehandlung der Religionen scheitert?

Nein, es kommt doch niemand auf die Idee, damit politische Botschaften zu verbinden, die grundgesetzwidrig sind. Im Übrigen gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kreuz in den Schulen.

Dennoch könnte es passieren. Was ist dann der bessere Weg – Kopftücher zuzulassen oder auch christliche Symbole zu verbieten?

Der bessere Weg gegenüber dem Laizismus ist nach meiner Überzeugung das sehr freiheitliche Modell im Verhältnis von Religionsgemeinschaften und Staat, das zur Tradition in Deutschland gehört. Dafür gibt es gute Gründe. Hier stimme ich mit dem Bundespräsidenten überein. Auch ich will keinen Laizismus. Aber wer in einer religiös pluraler werdenden Gesellschaft diese Tradition wahren will, muss, wenn der Eindruck zweideutiger Botschaften auszuschließen ist, von einer Beamtin in einer öffentlichen Schule Diskretion und die Vermeidung von Provokation erwarten. Auch das ist ein Beitrag zur Integration und Mehrung von Toleranz.

Wieso sehen Sie das Kopftuch nur bei Lehrerinnen als Problem? Könnte eine Strafrichterin mit Kopftuch über einen islamistischen Terroristen urteilen?

Ich sehe bei Richterinnen dasselbe Problem wie bei Lehrerinnen.

Warum erwägen Sie dann nicht ein Verbot im gesamten öffentlichen Dienst wie Berlin?

Es besteht derzeit kein Handlungsbedarf. Das Urteil aus Karlsruhe bezieht sich nur auf die Schulen. Ich will aber nicht ausschließen, dass das Verbot in Zukunft auch andere Berufe betrifft. Es geht uns jetzt darum, kulturelle und religiöse Freiheit einerseits zu bewahren, andererseits aber gegenüber Gefahren durch Fundamentalismus wachsam zu sein. Dieser Weg ist nicht einfach. Ich bin jetzt sieben Jahre an dem Thema dran. Es ist das schwierigste meiner Amtszeit.

Sollte die EU die Türkei aufnehmen?

Die Türkei ist an einem Scheidepunkt angelangt, und Europa ist es auch. Wir können die Aufnahme weiterer Mitglieder in die Gemeinschaft nicht einfach davon abhängig machen, ob sie die Kopenhagener Kriterien erfüllen. Da wüsste ich nämlich viele Staaten von hier bis ans andere Ende der Welt. Aber wir müssen doch auch über Geografie reden und über Grenzen. Den Gedanken, dass Europa an Staaten wie Irak, Iran und Syrien angrenzen soll, finde ich abwegig.

Soll die EU der Türkei also klar sagen: Mit einer Mitgliedschaft wird es nichts?

Ja, das sollten wir klar sagen. Wir sollten aber zugleich das Angebot machen, enge Beziehungen aufzunehmen, eine Art privilegierter Partnerschaft. Und wir sollten dies nicht nur anbieten, sondern sofort darangehen, konkret auszuarbeiten, was das heißt.

Schluss also mit der Linie Helmut Kohls, der Türkei für die ferne Zukunft doch eine Chance auf EU-Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen?

So ehrlich sollten wir sein. Aber genauso wichtig ist die konkrete Gestaltung einer privilegierten Partnerschaft. Es geht ja nicht darum, ein Gespräch zu beenden. Es geht um Klarheit über das Ziel von Gesprächen und die Form künftiger Partnerschaft.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum, Andrea Dernbach, Anja Kühne und Jost Müller-Neuhof.

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