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Politik: „Das ist eine Phantomdebatte“

Gesundheitsministerin Schmidt über Vorwürfe der CSU, Verlässlichkeit in der Politik – und Bewährungshelfer

Frau Ministerin, fühlen Sie sich als Kleinkriminelle?

(lacht) Sie meinen, weil Herr Söder mir „Bewährungsfristen“ setzt? Nein, so fühle ich mich nicht. Selbst wenn der CSU-Generalsekretär sich bei mir als Bewährungshelfer bewerben würde – er hätte keine Chance.

Söder wirft Ihnen vor, dass Sie bei der Gesundheitsreform tricksen und täuschen.

So ein Quatsch. Die Gesundheitsreform wurde sorgfältig so umgesetzt, wie wir es in den Eckpunkten und in wochenlangen Verhandlungen mit allen Beteiligten gerade auch aus der CSU verabredet hatten.

Warum sind Sie zur Watschenfrau der CSU geworden?

Ich sehe, dass die CSU-Spitze derzeit eine Reihe interner Probleme hat. Da ist es eine Möglichkeit, davon auf diese Weise ablenken zu wollen. Es ist eher ärgerlich, wenn deswegen ein solches Theater veranstaltet wird. Eines habe ich in meiner langen politischen Laufbahn gelernt: Bevor die CSU-Spitze in Berlin – oder früher in Bonn – Ja zu etwas sagt, schreit sie in München Nein. Außerdem kommt die CSU morgen zur Klausur in Wildbad Kreuth zusammen. Da soll es eben im Vorfeld krachen.

Ist es denn nur Polemik, wenn CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer Ihnen Politik „im Geist des Klassenkampfs“ und „Gesundheitssozialismus“ vorwirft?

Das ist von gestern und gehört in die Mottenkiste. Da fehlen offenbar die Argumente, weil man etwas nicht verstanden oder gelesen hat. Es wäre nützlich, wenn die Herren aus Bayern, die so lautstark auftreten, einmal einen konkreten Vorschlag machen würden, was sie denn im Gesetz noch ändern wollen.

Warum sagen Sie dem Koalitionspartner nicht: Stopp, es reicht?

Viele aus der Union beteiligen sich ja nicht an diesem absurden Theater. Nehmen Sie etwa die Verhandlungsführer aus CDU und CSU. Die wissen, was verhandelt worden ist, und lösen Probleme – wenn nötig – intern.

CSU-Chef Edmund Stoiber aber nicht. Er hat die Diskussion losgetreten, dass Bayerns Krankenkassen angeblich mit Milliardenbeträgen belastet werden.

Das ist eine Phantomdebatte. Im Gesetz steht, dass die zusätzlichen Belastungen in den Ländern auf maximal 100 Millionen Euro pro Jahr begrenzt werden, übrigens auf ausdrücklichen Wunsch des bayerischen Ministerpräsidenten. Und jedes Wort und jedes Komma des entsprechenden Paragrafen stammt aus der bayerischen Staatskanzlei. Mehrere Gutachten belegen, dass dieses Auffangnetz eigentlich nicht gebraucht wird, weil die zusätzlichen Belastungen ohnehin begrenzt sind.

Söder geht aber weiter. Er fordert nun, dass die Bayern selbst die knapp 100 Millionen Euro kompensiert bekommen.

Dann hätte er schon im Sommer sagen müssen: Stopp. Dass es beim Gesundheitsfonds zu – sehr begrenzten – Umverteilungen kommt, war politisch von allen gewünscht. Denn alle Beteiligten waren der Auffassung: Die medizinische Versorgung soll nicht dadurch beeinflusst werden, dass die Einkommen der Versicherten in den Bundesländern unterschiedlich hoch sind. Solidarität darf nicht an den Ländergrenzen haltmachen. Das Prinzip einer Sozialversicherung ist, dass starke Schultern mehr tragen als schwache. Heute bekommen die Krankenkassen die Unterschiede bei den Einkommen ihrer Versicherten zu 92 Prozent ausgeglichen, künftig werden es 100 Prozent sein. Das halte ich für gerecht. Die Begünstigten sind vor allem die Menschen in den neuen Bundesländern. Dort ist es immer noch am schwierigsten, in allen Regionen eine gute medizinische Versorgung zu sichern.

Wie soll die Bevölkerung denn Vertrauen in die Gesundheitsreform haben, wenn die Koalition sich so darüber zerstreitet?

Der Streit muss aufhören. Denn sonst könnte mehr in Misskredit geraten als ein Stück Reformpolitik. Ich halte es nicht für ein Zeichen großer politischer Verantwortung, zu Beginn des neuen Jahres eine solche Debatte anzuzetteln. Damit werden die Menschen nur verunsichert. Mich ärgert das besonders, weil unser Land im Moment in einer Phase steckt, in der so viele Zeichen positiv sind. Es geht nach vorne. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Die gute Konjunktur hält an. Die Koalition muss daher Zuversicht und Verantwortung zeigen und nicht den eigenen Erfolg zerreden. Wir dürfen den Aufschwung nicht durch überflüssige Streitereien gefährden.

Warum quält sich die Koalition so mit dieser Reform? Sind die Differenzen zwischen Union und SPD zu groß, oder machen die Ministerpräsidenten zu viel Krawall?

Dass wir unterschiedliche Interessen haben, finde ich nicht schlimm. Einige in der Koalition müssen allerdings noch lernen, was es bedeutet, wenn Volksparteien Kompromisse schließen. Das beinhaltet, dass man nicht alles durchsetzen kann. Aber einen Kompromiss zu schließen, nutzt nichts, wenn man nachher nichts mehr davon wissen will.

Die Union stört sich vor allem an den Veränderungen für die private Krankenversicherung. Sind Sie hier noch zu Zugeständnissen bereit?

Ich bin immer bereit, über Details zu reden. Auf der Fachebene führen wir konstruktive Gespräche. Es kommt aber nicht infrage, dass die Eckpunkte gekippt werden. Mir, der SPD sowie Teilen der Union geht es vorrangig darum, unversicherte Menschen zu schützen. Dann muss auch die private Krankenversicherung diejenigen zu einem bezahlbaren Tarif aufnehmen, die in ihr System gehören. Manchen in der CSU geht es offenbar nur darum, die Versicherungsunternehmen zu schützen. Der Sozialstaat muss aber dafür da sein, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen, Unternehmen können sich auf neue Bedingungen einstellen. Ein Stück mehr Solidarität – und auch mehr Wettbewerb – tun auch der privaten Krankenversicherung gut.

Was würden Sie bei der Gesundheitsreform anders machen, wenn Sie noch einmal bei null anfangen könnten?

Das ist schwer zu sagen, denn die Ausgangspunkte lagen sehr weit auseinander. Aber: Mehr Verlässlichkeit wäre gut gewesen. Die Koalitionsspitzen haben Tage und Nächte zusammengesessen, um zu einem Kompromiss zu kommen, der dann doch wieder infrage gestellt wurde. Einige tun plötzlich so, als ob sie mit der Gesundheitsreform nichts zu schaffen hätten. Auch für meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind Grenzen erreicht worden. Sie haben mit den Ländern und Fraktionen jede Gesetzesformulierung abgestimmt. Nachher sind sie dafür beschimpft worden. Das geht nicht.

Bei der Pflegereform werden Sie also ein anderes Verfahren wählen?

Ich werde Eckpunkte und dann einen Gesetzentwurf vorlegen. Dann können die Fraktionen darüber beraten, ebenso die Länder.

Ist nicht trotzdem damit zu rechnen, dass der Koalitionshickhack von vorne losgeht? Die Union fordert bereits eine Kopfpauschale…

Selbstverständlich wird es Diskussionen geben, aber wir haben sehr genaue Festlegungen im Koalitionsvertrag. Daraus wird klar, dass sich auch die Privatversicherungen stärker an der Finanzierung der Pflege beteiligen müssen.

Wird es mehr private Vorsorge geben?

Private Vorsorge ist immer gut, viele Menschen machen das bereits. Bei der Reform der Pflegeversicherung haben wir mit der Union eine kapitalgedeckte Demografiereserve verabredet. Das ist etwas anderes als eine Kopfpauschale. Über die Finanzierung der Reserve wird noch zu reden sein. Ich bin sehr dafür, dass wir auch in der Pflege eine Reserve aufbauen, damit konjunkturelle Schwankungen oder ein notwendiger Ausgabenanstieg nicht sofort zu Beitragsanhebungen führen. Jeder muss nur wissen: Das kostet Geld.

Braucht die Koalition nach den Mühen mit der Gesundheitsreform erst mal eine Verschnaufpause?

Wir beginnen mit der Pflegereform, sobald die Gesundheitsreform verabschiedet ist. Durch zusätzliche Einnahmen und die anziehende Konjunktur wird bei den Rücklagen der Pflegeversicherung erst Ende 2008 die kritische Grenze unterschritten. Eine Zeit lang sah es so aus, als wäre dies schon Ende 2007 der Fall. Wir können also die Pflegereform in aller Sorgfalt diskutieren und dann so verabschieden, dass sie 2008 in Kraft tritt.

Ist die Pflegereform eine Gelegenheit für die Koalition zu zeigen, dass man eine Sozialreform auch zügig und ohne großen Streit hinbekommen kann?

Ich wünsche mir das, aber ich bin keine Wahrsagerin. Es wäre zumindest ein guter Vorsatz fürs neue Jahr.

Auch beim Nichtraucherschutz hat die Bundesregierung kein besonders professionelles Bild abgegeben: Sie haben nicht die Kraft besessen, Rauchverbote in Gaststätten durchzusetzen. Hat die Tabaklobby zu viel Druck gemacht?

Über Professionalität könnten wir lange streiten. Aber wenn es etwas gibt, das immun ist gegen Tabaklobbyisten, dann unser Ministerium. Es geht auch nicht um Kraft, sondern um Zuständigkeiten. Die Bundesregierung hat nur die Zuständigkeit für eine unmittelbare Abwehr von Gesundheitsgefahren. Die entscheidende Frage war: Ist ein Rauchverbot eine unmittelbare Abwehr der Gefahr, an Krebs zu erkranken oder nicht? Die Verfassungsexperten haben gesagt, ein Rauchverbot auf dieser Grundlage werde einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten. Ich hätte es – gesundheitspolitisch gesehen – gern anders gehabt. Aber ich halte nichts davon, etwas auf den Weg zu bringen, das dann beim Verfassungsgericht hängenbleibt. Die Länder wollen bis April ihre Vorschläge machen. Ich bin da sehr gelassen: Länder, die keine Rauchverbote verhängen, werden ganz schnell unter Druck stehen, mit den anderen gleichzuziehen.

Und wenn die Länder nichts tun? Sollte der Bund dann über den Arbeitsschutz, für den er eindeutig zuständig ist, aktiv werden?

Das Problem beim Arbeitsschutz ist, dass wir in Gaststätten nur die angestellten Kellner schützen können. In Lokalen, die von einem selbstständigen Wirt betrieben werden, dürfte weiter geraucht werden. Es bestände die gleiche Gefahr wie bei der Scheinselbstständigkeit: Damit geraucht werden dürfte, bekäme jeder Kellner einige Tische und liefe dabei unter dem Stichwort Selbstständiger. Auch private Haushalte können als Arbeitgeber gelten. Wie will man das kontrollieren? Beim Arbeitsschutz könnte man keine Ausnahmen mehr machen. Dafür kann man als Gesundheitspolitiker sein. Aber ein besonders praktikabler Weg ist das nicht.

So können Sie nur an die Länder appellieren und auf einheitliche Lösungen hoffen?

Ich hätte es lieber anders gehabt, schneller vor allem. Aber ich bin froh, dass wir endlich über ein Rauchverbot in Deutschland ernsthaft diskutieren. Früher gab es dafür weder eine Mehrheit im Parlament noch eine Bereitschaft in den Ländern. Jetzt sind wir so weit, dass Deutschland hier nicht mehr abseitsstehen wird.

Musste es so eine Blamage sein? Eine Arbeitsgruppe verkündet ein Vorgehen des Bundes und wird dann zurückgepfiffen. Hätte man die verfassungsrechtlichen Probleme nicht vorher klären können?

Es gab Gutachten in beide Richtungen, und es war immer klar, dass die Verfassungsressorts der Bundesregierung noch zustimmen müssen. Die haben übereinstimmend und klar davor gewarnt, dass eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht die Folge wäre. Das hätte also nichts gebracht. Jemand wäre vors Verfassungsgericht gezogen, es hätte eine Niederlage gegeben. Aber sie haben recht: Es wäre schöner gewesen, wenn man gleich gesagt hätte, das geht nicht.

Hoffen Sie, dass der Bundestag noch einmal aktiv wird?

Wenn die Länder nichts tun, kann das Parlament fraktionsübergreifend den Weg über den Arbeitsschutz gehen. Das wird dann, wie gesagt, komplizierter und schwieriger. Ich hoffe also auf die Einsicht der Länder. Eine Erfahrung gibt es ja aus allen europäischen Ländern: Rauchverbote führen nicht zu Umsatzrückgängen in der Gastronomie. Diese Angst ist völlig unbegründet. Menschen genießen es, in rauchfreien Räumen zu speisen. Ich merke das ja bei mir selbst: Ich mag nicht mehr dort sitzen, wo viel gequalmt wird, obwohl ich früher selbst mal geraucht habe. Und ich möchte auch mit meinen Enkelkindern essen gehen können, ohne dass sie zugequalmt werden.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Rainer Woratschka, das Foto machte Mike Wolff.

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