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Der internationale Impfausweis wird vermehrt von Betrügern gefälscht.

© dpa/Sophia Kembowski

„Das ist kein Bagatelldelikt“: Geschäfte mit gefälschten Impfausweisen – wie groß ist die Gefahr?

Wer eine Corona-Schutzimpfung vorweisen kann, darf wieder mehr Freiheiten genießen. Das ruft Betrüger auf den Plan. Ein digitaler Ausweis lässt auf sich warten.

Von Thomas Sabin

Nicht nur im Darknet, überall im Netz sind gefälschte Impfausweise derzeit zu finden. Die aktuell beschlossenen Corona-Lockerungen für Genesene und Geimpfte machen das einst unscheinbare gelbe Heft aktuell zu einem der wertvollsten Dokumente. Bei solchen, die aufgrund der Impfpriorisierung noch nicht an der Reihe waren, wächst daher die Ungeduld. Andere wiederum wollen sich nicht impfen lassen, wohl aber die Vorzüge genießen, die Geimpften nun zuteil werden.

Kriminelle haben das längst erkannt und sich zu Nutze gemacht. In zahlreichen Gruppen des Messengerdienstes Telegram, im Darknet, einer Plattform für illegale Geschäfte oder auf der Straße werden Impfausweise zum Kauf angeboten. Je mehr Rechte Geimpften zurückgegeben werden, desto mehr floriert das gefährliche Geschäft.

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Wo eine Nachfrage ist, gibt es auch einen Markt. „Die Käufer zahlen mit digitaler Währung anonym“, sagt Markus Schlemmer, Leiter Kriminalpolizei Aschaffenburg und Vorsitzender der Bundeskommission der Kriminalpolizei dem Tagesspiegel. Eine Lieferung erfolge erst nach Vorkasse. Die Kosten für die falschen Impfausweise lägen in der Regel zwischen 100 bis 200 Euro.

Sich an der Corona-Pandemie zu bereichern, ist ein Trend, der seit Pandemie-Beginn anhält. Zuerst riss man sich um Desinfektionsmittel. Es wurde verdünnt, überteuert verkauft oder in riesigen Mengen gehortet. Menschen erschlichen sich mithilfe falscher Identitäten Corona-Hilfen. Später folgten dubiose Maskendeals von Politikern. Einige mussten daraufhin zurücktreten.

Jetzt wird Freiheit in Form des gelben Impf-Heftes verkauft. Und dies sei kein Kavaliersdelikt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert vergangene Woche in der Bundespressekonferenz. „Wer so etwas tut, gefährdet die Gesundheit anderer Menschen. Das ist das eine. Er macht sich aber auch strafbar. Das ist ganz klar eine nach dem Strafgesetzbuch strafbewehrte Urkundenfälschung. Und strafbare Handlungen werden verfolgt.“

Was das bedeutet, zeigt einer von vielen Fällen aus Berlin. Ein Mann stromert Ende April durch den Stadtteil Lichterfelde. Er trägt gefälschte Impfausweise bei sich. Die Aufkleber im Heft weisen eine Corona-Impfung nach. Auch er hat seine Ware über Telegram angeboten. 80 Euro das Stück.

Und er fand auch Käufer: Polizisten in Zivil. Der Mann wird festgenommen. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung finden die Beamten 46 Impfausweise. Dazu können die Ermittler 33 Aufkleber, Falschgeld, Drogen und tausende Euro Bargeld sicherstellen. Dem Mann droht nun eine Anklage wegen gewerbsmäßiger Urkundenfälschung.

Impfausweis bekommt noch nicht dagewesene Bedeutung

Der Kauf von gefälschten Impfausweisen soll vor allem bei Impfgegnern beliebt sein, die sich so erhoffen, an den Corona-Lockerungen partizipieren zu können: „Die potenziellen Käufer gefälschter Impfausweise sind gerade in dieser Gruppe zu finden.“ Bisher habe es nur wenige Fälle geben, in denen der Impfausweis als Nachweis herangezogen werden musste, bei Auslandsreisen zum Schutz der eigenen Gesundheit zum Beispiel, erklärt Kriminalpolizist Schlemmer.

Mit der Corona-Pandemie bekommt der Impfnachweis eine bisher noch nicht dagewesene Bedeutung. Am Donnerstag hatte der Bundestag eine Verordnung der Regierung genehmigt. Mit ihr sollen vollständig gegen das Coronavirus geimpfte und vom Virus Genesene einige Freiheiten zurückbekommen. Am Freitag stimmte auch der Bundesrat zu.

Markus Schlemmer, Vorsitzender der Bundeskommission der Kriminalpolizei und Leiter Kriminalpolizei Aschaffenburg
Markus Schlemmer, Vorsitzender der Bundeskommission der Kriminalpolizei und Leiter Kriminalpolizei Aschaffenburg

© privat

Wer aber Impfausweise fälscht, müsse sich dem Straftatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen aber auch der Urkundenfälschung stellen, erklärt Schlemmer.

Dass die Impfausweise so leicht zu fälschen sind, hat für ihn einen einfachen Grund. „Es gab bisher keine Notwendigkeit den Impfausweis fälschungssicher zu gestalten. Gleiches galt für die vorgenommenen Eintragungen.“

Das Blatt hat sich nun gewendet. Die Atemwegerkrankung ist stark ansteckend und kann zum Tode führen. Fälschungen von Impfpässen stellen deshalb eine hohe Gefahr für die Gesellschaft dar, mahnt Schlemmer. „Der gefälschte Impfausweis kann dann gefährlich werden, wenn man hier Erleichterungen bekommt, die aber im Falle einer Infektion zu weiteren Ansteckungen führen.“ Die Folgen könnten schwerwiegend sein. Doch das Zeitfenster für das Geschäft mit den Impfpässen schließe sich.

Er gehe davon aus, dass es sich nur um ein kurzes Fenster handele, in dem eine solche Nachfrage an Fake-Pässen bestehe: „Zwischen Lockerungsregelungen für Geimpfte bis zum Impfangebot an alle.“ Sicher werde es in dieser Zeitspanne einige geben, die sich grundsätzlich nicht impfen lassen wollen oder aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können und illegal kaufen.

Schlemmer fordert von der Politik: „Es muss noch stärker darüber aufgeklärt werden, wie schwer dieses Verbrechen wiegt. Das ist kein Bagatelldelikt. Und im Idealfall müsste der digitale Impfausweis längst vorliegen.“

„Wer jetzt überrascht ist, muss sich Naivität vorwerfen lassen“

Dass es ein Problem mit Fälschungen geben werde, sei doch klar gewesen, sagt Jürgen Martens, rechtspolitischen Sprecher der FDP dem Tagesspiegel. „Wer jetzt überrascht ist, muss sich Naivität vorwerfen lassen. Wie damals die Fälschungen von Lebensmittelmarken vorhersehbar waren, sind es heute die Impfausweise.“ Der Impfausweis werde in Zukunft immer mehr Bedeutung gewinnen.

Unter den allgemeinen Bedingungen reiche der normale Impfausweis völlig aus. Gelte er nun als Eintrittskarte für einen Restaurantbesuch, kommen ihm weitere Funktionen zu, der er ebenfalls gerecht werden könne, sagt Martens. Werde er aber gefälscht, steht die Frage der Strafbarkeit im Raum. „Und diese wird mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe beantwortet.“ Aus Martens Sicht liege das Strafmaß im Rahmen.

[Mehr zum Thema: Sommerurlaub in der Pandemie – Der digitale Impfpass ist das kleinste Problem]

Einen Zwang für Geimpfte, ihren Impfausweis mit sich zuführen, werde es nicht geben, sagt Martens. Wer sich jedoch nicht ausweisen kann, wird wohl oder übel als ungeimpft behandelt. Ziel müsse es jetzt sein, einen digitalen Impfausweis fälschungssicher zu gestalten und im europäischen Maßstab kompatibel zu machen. Grundsätzlich sei man aber viel zu spät dran. „Hier wird sichtbar, welche Schwachstellen die Pandemie offenbart. Der leicht zu fälschende Impfausweis ist hier noch das geringste Problem.“

Auch er glaubt, dass sich das Zeitfenster für Impfpass-Fälscher bald schließt. „Es verhält sich wie bei den Lebensmittelmarken: Ist genug Essen da, braucht es keine Fälschungen mehr.“

„Die Bundesregierung muss jetzt in die Gänge kommen“

Katja Keul, Sprecherin für Rechtspolitik der Grünen, sieht das größte Problem bei der Bundesregierung. „Dort ist man überhaupt nicht vorbereitet. Dass es bis jetzt kein sicheres Nachweismittel gibt, ist ein Armutszeugnis.“ Die Bundesregierung hätte längst einen sicheren digitalen Impfausweis entwickeln können, sagt sie. Das dauere alles viel zu lange. Sie empfiehlt sich auch international umzuschauen. Die Bundesregierung müsse da jetzt in die Gänge kommen.

Schon ab Sonntag ist per Verordnung ein Genesenen- oder Impfnachnachweis erforderlich, um auf Lockerungsangebote zugreifen zu können. Einen Zwang, den Impfausweis mit sich zu führen, gibt es nicht. Den sehe auch Keul nicht kommen. Den Impfausweis aber als Voraussetzung, um von den Lockerungen Gebrauch machen zu können zu nutzen, halte sie für vertretbar.

Zukünftig könne es zudem zu Gleichbehandlungsproblemen kommen, besonders im Zusammenhang mit Leuten, die sich nicht impfen lassen können. Es fehlt noch an Regelungen, wie mit diesen Menschen umgegangen werden soll.

SPD prüft Erhöhung des Strafmaßes

Johannes Fechner, SPD-Rechtsexperte und Mitglied der Bundestagsfraktion, erklärt, die SPD prüfe derzeit „ob die Straftatbestände der Urkundenfälschung und der Fälschung von Gesundheitszeugnissen praxistauglich für Fälschungen von Impfausweisen sind. Bisher ist das Strafmaß bei Fälschungen von Gesundheitszeugnissen niedriger als bei Urkundenfälschungen.“

[Mehr zum Thema: Der Weg zum Impftermin in Berlin – Ich möchte mich impfen lassen. Was kann ich tun? (T+)]. 

Angesichts der erheblichen Gefährdung der Bevölkerung durch gefälschte Impfnachweise prüfe man eine Erhöhung des Strafmaßes für die Fälschung von Gesundheitszeugnissen. „Zudem muss es mehr Kontrollen seitens der Ordnungsbehörden geben. Impfausweise müssen kritisch überprüft werden“, sagt Fechner dem Tagesspiegel. Herr Spahn habe das Thema verschlafen, bemängelt auch er. „Er hätte hier viel mehr Dampf machen müssen, auch auf europäischer Ebene.“

Der digitale Impfausweis wird also dringend gebraucht. Fälschungen wären dann kein Thema mehr. Für eine Übergangszeit sei es unumgänglich, dass Geimpfte ihren Impfpass oder eine Bestätigung ihres Arztes mitführten.

Die Entwicklung eines digitalen Impfpasses auf europäischer Ebene müsse schneller gehen, fordert auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD). Laut Bundesgesundheitsministerium soll er vor Veränderungen geschützt und gleichzeitig an ein Smartphone gebunden sein. Das soll einen möglichst umfassenden Schutz vor Fälschung bieten. Bis dahin muss die Polizei weiter in Zivil auf Verbrecherfang gehen, um die Gefahr, die mit den gefälschten Dokumenten einhergeht, einzudämmen.

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