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Politik: Das Land der feindlichen Brüder

Den Serben geht der UN-Plan zu weit, die Albaner wollen völlige Unabhängigkeit für den Kosovo

Tränengas beißt in den Augen. Schrill tönen die Sirenen der Sanitätswagen. Über dem Zentrum von Pristina knattert der Rotor eines Militär-Helikopters. Rot glänzt eine Blutlache auf dem Asphalt. Vor dem Regierungssitz am Bulevar Nena Tereze suchen vermummte Demonstranten vor den Gummigeschossen der anrückenden Sicherheitskräfte hinter herbeigerollten Müllcontainern Schutz. „Nieder mit den Unterhändlern“, „UN – go home !“, krächzt eine heisere Stimme aus dem Megafon. „Selbstbestimmung“ skandieren Tausende in der Hauptstadt des Kosovo. Ein Mann weist erregt auf die umgehängten Fotos seiner Angehörigen: Die Serben hätten seinen Vater und zwei Brüder umgebracht. „Sollen wir ihnen dafür Kosovo überlassen?“

Wieder ringen die Diplomaten in den Machtzentralen der Welt um das Schicksal des Kosovo. Während die EU und Washington bislang vergeblich mit Moskau und Belgrad nach einem einvernehmlichen Weg zur Unabhängigkeit von Serbiens abtrünniger Provinz suchen, nehmen im Kosovo selbst die Ungewissheit und die Spannung zu. Der Plan des UN-Vermittlers Martti Ahtisaari, der eine international überwachte Unabhängigkeit für den Kosovo vorsieht, versage diesem die Souveränität, klagt kurz vor seiner Verhaftung der Demonstrationsorganisator Albin Kurti dem Tagesspiegel. Mit den Autonomie-Regelungen für die Serben drohe dem Kosovo das gleiche Schicksal wie dem zerstückelten Bosnien. Wortreich warnt der schlaksige Studentenführer vor der „Verlängerung des Kolonialsystems“, in dem die internationale Verwaltung mit Hilfe einer korrupten Politikerkaste nach Belieben schalte und walte: „Der Ahtisaari-Plan dient nur den Serben. Wir waren 1999 der Unabhängigkeit näher als jetzt.“

Vierzig Kilometer nördlich der Hauptstadt flattern serbische Fahnen über der Menschenmenge in Mitrovica. „Im Namen Gottes – gebt das heilige Land den Albanern nicht als Geschenk!“, fordert ein Banner auf der Rednertribüne im serbischen Norden der geteilten Stadt. Busse haben Tausende von Kosovo-Serben aus dem Umland zur Demonstration gegen den „Terrorplan“ Ahtisaaris in deren Hochburg gekarrt. „Russland, hilf uns!“, „Rettet unsere Seele“, lauten die Losungen auf den selbstgemalten Plakaten. Der „in Washington geschriebene“ Plan wolle die Serben in „Indianerreservate“ sperren, die Albaner würden für „ethnische Säuberungen“ belohnt, erregt sich Marko Jaksic, der Chef des Rats der Kosovo-Serben: „Er gibt den Albanern alles, uns nichts.“ Die Stimme des Serbenführers Milan Ivanovic, der unter tosendem Beifall vom albanischen „Banditenstaat“ spricht, überschlägt sich: „Sie wollen ein serbisches Guantanamo schaffen. Doch wir geben Kosovo niemals preis!“

Stacheldrahtrollen und ein schwedischer Kfor-Soldat schützen zehn Kilometer südlich von Pristina die Klostermauern in der serbischen Enklave Gracanice. Im Gegensatz zu den Serbenführern von Mitrovica wiegt Vater Zoran seine Worte eher sorgfältig ab. „Sollte der Kosovo unabhängig werden“, sagt der bärtige Pope, „dann wandert die Mehrheit ab.“ Verhandeln sollte man über den Ahtisaari-Plan schon: „Er ist nicht die Heilige Schrift und lässt sich noch ändern.“ Jede Art der Unabhängigkeit sei jedoch „nicht zu akzeptieren“: "Der Kosovo ist das Herz Serbiens.“

Die Serben sollten „endlich realistisch“ sein und sich von ihren „Mythen befreien“, sagt südlich der Brücke von Mitrovica der Ingenieur Hodha Bayran. Manchmal klagten seine Kinder und die Frau schon, warum er sie vor sieben Jahren aus Berlin zurück nach Kosovo gebracht habe, erzählt der Albaner. Seine Wohnung im Norden der Stadt werde nun von einem Serben bewohnt: „Ich habe ihn angerufen. Ich würde ihm die Wohnung ja verkaufen. Aber er hat mich nur gefragt, ob ich ihn etwa bedrohen wolle.“ Den Kosovo habe Serbien schon mit dem Krieg vor acht Jahren verloren und er sei für Belgrad ohnehin nur „ein Mühlstein am Hals“, sagt der hagere Mann kopfschüttelnd. Ahthisaaris Plan nennt er „nicht optimal, aber vernünftig“. Noch könne Kosovo wirtschaftlich nicht auf eigenen Beinen stehen, sei die Lage alles andere als stabil, grassiere Korruption und sei die Demokratie „nicht richtig verwurzelt“. Deswegen sehe er zur internationalen Kontrolle vorläufig keine Alternative. „Unabhängig zu sein, ist nicht leicht. Und es wäre unsinnig, dies nun sofort alleine zu versuchen.“

Die Demonstration am Samstag hat übrigens ebenfalls Opfer gekostet: Nach Angaben des Sprechers der UN-Verwaltung starben zwei Demonstranten, einer durch ein Gummigeschoss, das vermutlich rumänische UN-Polizisten abfeuerten. Der andere stürzte, als er auf einen Balkon klettern wollte, in den Tod. Ein dritter schwebt noch in Lebensgefahr.

Thomas Roser[Pristina]

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