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Politik: Das Leben ist ihre Baustelle

Nur raus aus dem langweiligen Berlin: Wie die deutsche Galeristin Katrin Lewinsky einen Johannesburger Stadtteil verwandelt

Juni 2010. Katrin Lewinsky tippt im Hinterzimmer ihrer Galerie CO-OP in den Laptop, wischt sich die Haare aus der Stirn, ein Heizkörper auf Rollen soll ihre verfrorenen Nieren wärmen. Sie nimmt die „Runway Order“ ab – die Reihenfolge, in der die Models über den Laufsteg gehen sollen: „Dieser Michael, war das jetzt der Hässliche oder der mit den Anabolika-Armen?“ Es ist Africa Fashion Week in Johannesburg, die Premierenshow von Lewinskys Männer-Label „Noir“ ist schon morgen. Morgen! Innerhalb von nur wenigen Wochen hat sie mit einer Partnerin eine Kollektion mit 20 Outfits produziert – und wird diese nun im Sandton Convention Center einem internationalen Publikum präsentieren.

Kein Grund zur Nervosität. Lewinsky, 37, hat bereits 2008 die erfolgreiche Joburg Art Fair aus dem Boden gestampft. Sie ist eine dieser Frauen: Was sie in die Hand nimmt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch zu Gold. So gesehen passt sie ins gerade mal 124-jährige Johannesburg – „eGoli“ sagen die Zulu, „Stadt des Goldes“. Es ist eine Stadt der Glücksritter, das wirtschaftliche Herz Südafrikas.

Dass sich dort etwas tut, hat sogar Amerika erreicht: Die „New York Times“ verglich den Stadtteil Braamfontein, wo Lewinsky seit drei Jahren lebt und arbeitet, mit SoHo. Der Vergleich mag ein bisschen übertrieben sein, doch die Tendenz stimmt: In vormals verlassene Gebäude ziehen Künstler ein, die Kapital mitbringen und entsprechende Kundschaft anziehen. Eine Infrastruktur für Studenten bildet sich, in einer alteingesessenen Eckkneipe feiern plötzlich die Jungen ihre Nächte durch, ein schickes Straßencafé und ein Pop-up-Restaurant eröffnen. Zuletzt hat ein Investor einen ganzen Block gekauft. Vor nicht allzu langer Zeit hätte die These „Braamfontein ist das neue SoHo“ bloß höhnisches Gelächter hervorgerufen, aber da war Katrin Lewinsky eben auch nicht in Johannesburg, sondern noch in Berlin.

Juni 1995. Lewinsky, Anfang 20, schleppt ihren großen Koffer durch die Kreuzberger Eisenbahnstraße. Mit dem Zug ist sie aus dem Schwarzwald nach Berlin gekommen – und bereit für ein großes Abenteuer. Es ist schon dunkel, hinter einer Scheibe wetzt ein Mann ein großes Messer, vor ihm scheint sich ein Gegenstand zu drehen. Sie flieht in die Wohnung ihres Cousins, beschreibt, was sie gesehen hat. „Das nennt man Döner“, erklärt der. Am nächsten Tag verzehrt Lewinsky todesmutig ihr erstes Schabefleisch.

Das Mädchen aus dem Schwarzwald ist zu allem entschlossen, doch leider merkt es: Die Bewerbungsmappe für die Hochschule der Künste liegt noch im Zug.

Ihr Wunsch: Sie will Kunst studieren. Sie fertigt blitzschnell eine neue Mappe an, wird aber nicht genommen. Stattdessen schreibt sie sich an der Freien Universität für Englisch und Kunst ein, nachts bestimmt Techno ihren Takt. Sie feiert im „Frisör“, einen illegalen Technoclub nahe dem Potsdamer Platz, der damals eine Brache ist.

Lewinsky mag an Berlin, was in den 90er Jahren viele an Berlin mochten: die Leerstellen, das Unfertige, die Brachen, die Gegensätze. Sie schöpft aus den Möglichkeiten, die daraus erwachsen, freundet sich mit Partyveranstaltern, Künstlern und Musikern an. Nach zwei Jahren in Berlin zieht sie in eine Wohngemeinschaft in die Lottumstraße nach Mitte. „Hardcore“, sagt sie über diese Zeit. Die Freunde stammen aus dem Umfeld des Clubs „Eimer“ an der Rosenthaler Straße, auf dem Küchentisch liegen Drogen. Die Lautsprecher glühen. Ständig kommt Besuch, ganze Familien campieren in der Wohnung. Weil es im Winter so kalt ist, ziehen sich alle Skianzüge, dann tanzen sie. In der Wohnung stehen kleine Allesbrenner, in denen sie den Müll verbrennen, es riecht die ganze Zeit nach Qualm. Geld ist natürlich keins da.

Katrin Lewinsky wechselt an die Hochschule der Künste. Es hat doch noch geklappt, und sie hofft, sich endlich „den Schwarzwald und die ganze Spießigkeit auszutreiben“.

Städte im Wandel – dafür hat Katrin Lewinsky ein Faible. Berlin nach dem Mauerfall, Johannesburg nach dem Ende der Apartheid. Bis heute kann sie es sich nicht vorstellen, irgendwo zu bleiben. Es gibt ja noch Indien und Asien! Dafür sind ihre Ideen sesshaft: Wenn die sich eingenistet haben, kommen sie immer wieder und verfestigen sich, bis sie nicht mehr anders kann, als loszulegen.

März 2010. In Johannesburg streikt die Müllabfuhr, Arbeiter blockieren die Nelson-Mandela-Brücke, die Braamfontein mit Newtown verbindet. Die Zeitungen berichten groß, auf einem Foto ist auch Lewinsky zu sehen: Sie fährt gerade mit ihrem Fahrrad am Stau vorbei. „This German girl has to be crazy“, sagen die Einheimischen und schlagen sich entgeistert vor die Stirn. Man fährt in dieser Stadt einfach nicht Fahrrad, schon gar nicht als weiße Frau! Katrin Lewinsky ist das egal. Sie rast ja auch mit dem offenen Cabrio durch finstere Gegenden, die Handtasche liegt auf dem Beifahrersitz.

Eine SMS: „Fox 286, Dach“. Das Hochhaus scheint unbewohnt und liegt vollkommen im Dunkeln am Ende einer Sackgasse, die Fensterscheiben sind zersprungen. An der Frontseite liegt eine Einfahrt, auch sie nicht unbedingt einladend. Anruf bei Katrin Lewinsky. Kein Netz.

Zwei Wächter weisen den Weg zum Baustellenaufzug. Auf dem ungesicherten Dach die ziemlich unspektakuläre Installation eines Schweizer Künstlers, und dort, am Grill, steht Katrin, sie hat sich eine Decke um die Schultern gelegt und sagt: „Coolio! Wie Berlin früher, ne?“ Unter ihr leuchtet das Lichtermeer Johannesburgs, die Absätze der Schuhe versinken in der weichen Dachverkleidung.

Irgendwie ergibt bei ihr alles einen Sinn. Zum Beispiel dies: Eines ihrer Lieblingsworte lautet „coolio“. „Coolio“ ist gleichzeitig der Name des Interpreten von „Gangster’s Paradise“. Und Gangster’s Paradise, das seufzen die Südafrikaner oft, wenn sie ein Nummernschild aus der Provinz entdecken, in der Johannesburg liegt: Gauteng Province, „GP“. Auf solche Ideen kommt wirklich nur, wer mit Lewinsky zu tun hat.

Berlin, 1997. Sie beginnt mit freier Kunst – Installationen zunächst, dann fotografiert sie Objekte, Formen und Flächen wie abstrakte Gemälde. Warum? „Malen kann ich nicht“, erklärt sie. Und dann trifft sie Nils Eichberg, einen Architekten aus Kiel, der die 80er Jahre in West-Berlin miterlebte, im „Dschungel“ nur am Rand der Tanzfläche stand, aber nie, wirklich nie, tanzte, der es kategorisch ablehnt, Jeans anzuziehen und in Jacketts durch die Berliner Clubs der 90er Jahre zieht. Sie heiraten, das Paar zieht in eine Wohnung hinter dem Admiralspalast. Es ist einfach Zeit, findet Katrin. Das Leben am Rande des Nervenzusammenbruchs, das Verbrennen von Abfällen zur Wärmegewinnung und die Versteckspiele vor dem Vermieter, das alles ist nun vorbei.

Es ist die Zeit, als Berlin langsam zu einem Schmelztiegel der Kunstszene wird. Die billigen Ateliermieten locken Künstler aus der ganzen Welt, der Däne Olafur Eliasson wohnt seit 1994 an der Spree und bereitet von hier aus seine Installationen vor. Christo verhüllt den Reichstag. Eine Galerie nach der anderen eröffnet, in der Auguststraße locken die privat gegründeten Kunst-Werke immer mehr Besucher an. Im Sommer 2001 spricht Lewinsky bei Kunst-Werke-Mitgründer Klaus Biesenbach vor: „Hallo, ich will hier arbeiten.“ Das Croissant, das sie als Bestechungsversuch mitgebracht hat, war eine Fehlinvestition: Biesenbach hat eine Weißmehlallergie. Er stellt sie trotzdem ein, als seine Assistentin.

Biesenbach kuratiert die Ausstellung „Loop“ in München. Am 13. September 2001 soll sie mit großem Brimborium in München eröffnen und danach durch die Welt ziehen, auch in den Kunst-Werken Station machen. Doch die Terroranschläge in Amerika verhindern die Pläne. Die früh angereisten Künstler aus den USA wollen zurück, die später gebuchten können nicht fliegen. Es ist eine verrückte Situation, niemand will sich mit Kunst befassen, aber für Lewinsky ist es auch „eine wertvolle Zeit“. Katrin Lewinsky lernt Sammler und Kuratoren kennen – die grauen Eminenzen des Kunstbetriebs.

Biesenbach und Lewinsky schweißt das Chaos zusammen. Sie wird offiziell Projektmanagerin an den Kunst-Werken. Plötzlich ist sie Teil eines Teams, das später die Kunstszene der ganzen Welt mitbestimmen wird. Klaus Biesenbach wird einige Jahre später der erste deutsche Kurator am renommierten MoMA in New York, Ausstellungsleiter Anselm Franke ist heute Direktor der Kunsthalle Antwerpen, Maike Cruse arbeitet als Pressesprecherin der wichtigsten Kunstmesse, der Art Basel.

Das kann keiner zu Beginn des Jahrtausends absehen. Katrin unterstützt Modedesigner Hedi Slimane in Berlin, als er für ein Jahr zeitweise in Räumen der Kunst-Werke lebt. Der spricht nur Französisch, manchmal steht er einfach vor Lewinskys Schreibtisch im Erdgeschoss. Sie organisiert, wo der Chefdesigner von Dior und Christian Lacroix seine Wäsche waschen, essen gehen oder sich inspirieren lassen kann.

Johannesburg, Mai 2010. Eine SMS: „Morgen private Sale bei den Ladys von Houghton“. Lewinsky baut ihren Kleiderständer mit den Produkten lokaler Designer bei einer Dame im Wohnzimmer auf. Bei Sekt und farbenfroher Torte erzählen die Ladys auf der Terrasse von ihren Erlebnissen mit der omnipräsenten Gewalt in Johannesburg. Die Hausherrin berichtet, wie sie von einem Einkaufszentrum in Hyde Park bis vor ihre Haustür verfolgt und ausgeraubt wurde. Ihre Freundin erzählt, wie Einbrecher eine Bekannte im Bad überraschten und sie zu zweit von der Emailleschüssel der Toilette gehoben haben. „Immerhin, sie durfte sich vorher noch den Hintern abwischen“, sagt sie. Alle kichern, auch Lewinsky.

Sie glaubt nicht daran, dass es wirklich hilft, sich abzuschotten. Lewinsky ist davon überzeugt, dass nicht automatisch angegriffen wird, wer sich angreifbar macht.

Berlin, 2000. Katrin Lewinsky wird in den frühen nuller Jahren nie Teil nur einer Szene, dafür vereint sie zu viele unterschiedliche Ideen in sich. Sie liebt Charlottenburg und geht in Friedrichshain aus. Sie kann genauso gut von „Lost in Translation“ schwärmen wie von „Dude, wo ist mein Auto?“ Sie hört Pixies – und findet „Slow“ von Kylie Minogue toll. Sie sitzt gerne im Restaurant Cibo Matto, einem Treffpunkt der Mitte-Hipster, und liebt die Donnerstagabende in der „Black Girls Coalition“, einem leer stehenden Ladenlokal in Friedrichshain, in dem eine New Yorker Drag Queen zu verrückten Performances und Wodka aus Senfgläsern einlädt.

Und sie lernt die prekäre Situation der Kreativen kennen. Ihr Honorar erlaubt keine großen Sprünge, ihr Mann zieht zwei Jahre nach Moskau, weil es in Berlin zu viele Architekten gibt. Die Kluft zwischen dem, was Katrin Lewinsky eigentlich will und dem, was sie erreichen kann, wird größer. Klaus Biesenbach arbeitet ab 2004 beinahe komplett in New York, die Kunst-Werke setzen mit der „RAF“-Ausstellung im Januar 2005 noch einmal starke Akzente. „Das war aufregend“, gibt Katrin zu – die Diskussion, wie weit Kunst in eine zeithistorische Debatte eingreifen kann und darf.

Gedanklich ist sie bereits woanders. Sie verlässt das Haus 2005, entwirft eine Yoga-Modekollektion, hilft befreundeten Galeristen, aber hat zunehmend das Gefühl, dass Berlin nicht mehr ihre Stadt ist. Zu öde. Die Strukturen in der Kunst verfestigen sich, der Freigeist der 90er Jahre ist einem organisierten Event-Treiben gewichen. „Rossmänner und Dussmänner“, sagt Lewinsky. „An jeder Straßenecke. Das ist der Tod.“

Anfang 2007 spaziert sie am Schiffbauerdamm entlang und entdeckt ein Werbeplakat für die Fußball-WM 2010 in Südafrika. „Warum nicht Afrika?“, denkt sie, „Hauptsache etwas anderes, Hauptsache warm.“ Im Mai 2007 sind Lewinsky und ihr Mann zum Essen eingeladen, das befreundete Paar erzählt von seinem Plan, nach Johannesburg zu ziehen. Im Container sei noch etwas Platz, ob man sich vielleicht beteiligen wolle? Im Juli 2007 teilen sie sich bereits ein Haus in Bryanston, zerstreiten sich jedoch wegen unterschiedlicher Auffassungen über das Sicherheitskonzept. Lewinsky und ihr Mann ziehen ins alte Stadtzentrum, sind schnell der Mittelpunkt eines Netzwerks aus Galeristen, Künstlern und Designern. Lewinskys Galerie CO-OP arbeitet bald mit der renommierten Kapstädter Galerie Whatiftheworld zusammen. Eines Tages schwatzt sie den Bauarbeitern, die vor ihrer Galerie die Straße machen, ein bisschen Farbe ab. Statt einer aufgemalten Parkbucht prangt auf der Juta Street jetzt ein großes „Hello!“. Sie zeigt Künstler wie Michael Taylor und den jungen Zimbabwer Kudzanai Chiura.

Anfang Juli 2010. Lewinsky läuft ihre Straße entlang, hebt eine leuchtend grüne Gottesanbeterin vom Bürgersteig auf und setzt sie an einen Baumstamm. Sie ist auf dem Weg zu einem ganz besonderen Ort: der Schwarzwaldbäckerei, die nur drei Blocks entfernt ist. Dort begrüßt sie eine Frau in geblümter Kittelschürze: „Guten Morgen, was darf’s denn sein?“ Sie bestellt ein großes Glas heißes Wasser, ihr Leib- und Magengetränk, und ein Laugengebäck. So ganz austreiben kann sie sich den Schwarzwald nicht.

Hier in Johannesburg, erklärt sie, ist natürlich auch nicht alles Gold, was glänzt. Die Reichen und ihr abgeschottetes Leben zum Beispiel: „Superfrau, Superkind, Superhund, Super-Convenience-Essen, Superauto – alles Endprodukte einer Produktionskette.“ Trotzdem findet sie hier, was sie in Berlin vermisst hat: die Brachen, und davon mehr als genug. Das Gefühl, dass etwas möglich ist.

Ende Juli 2010. Sie läuft die Rosenthaler Straße in Mitte entlang. Das Amano-Hotel, das Easy-Hotel, das Circus-Hotel und das Camper-Hotel haben die Baugerüste abgeschüttelt und zeigen ihre glänzenden Fassaden. Alles ist fertig, es gibt nichts mehr zu tun. Vor dem Luigi Zuckermann, einem Coffeeshop, bleibt sie stehen. „Netter Laden“, meint sie. Dann tritt sie einen Schritt zurück und lacht: „Hier war doch der ,Eimer‘!“

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