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Politik: Das neue Vietnam?

AUFRUHR IM IRAK

Von Malte Lehming

Im Weißen Haus herrscht Kniegeschlotter. Ein Jubiläum naht. Am 1. Mai wird es ein Jahr her sein, dass George W. Bush spektakulär auf einem Flugzeugträger landete, vor einem Banner mit der Aufschrift „Mission erfüllt“ posierte und das Ende des Irakkriegs verkündete. Nichts war bei dieser Aktion dem Zufall überlassen worden. Hollywood hätte die Bilder kaum dramatischer inszeniert. Die Wahlkämpfer des US-Präsidenten freuten sich. Unschlagbar werde dieses Image sein, dachten sie.

Ihr Hochmut wird sich rächen. Zu drastisch fällt der Kontrast mit der Wirklichkeit aus. Man müsste an diesem 1. Mai nur die ungeschnittene Originalversion zeigen, unterlegt mit den mutmaßlichen Nachrichten des Tages: Geiseln bei Falludscha massakriert, Attentat auf US-Konvoi, Aufstand gegen die amerikanische Besatzung greift auf den Süden Iraks über. Längst sind nach dem Krieg mehr GIs gefallen als vor dem Krieg. Das V-Wort – Vietnam – spukt nicht mehr nur als bange Ahnung in den Köpfen herum, sondern wird offen ausgesprochen. Ist der Irak Bushs Vietnam? Wie bei jeder historischen Analogie liegen die Einwände auch bei dieser auf der Hand: Der Vietnamkrieg dauerte 18 Jahre und kostete 58000 amerikanische Soldaten das Leben. Das sind doch andere Dimensionen. Außerdem können die Amerikaner immer noch davon ausgehen, dass eine schweigende Mehrheit der Iraker froh ist über den Sturz Saddam Husseins. Eine flächendeckende Rebellion gegen die Besatzer gibt es nicht.

Ein anderer, wenig schmeichelhafter Vergleich trifft eher zu: Der Irak ist Bushs Libanon. Als Israels Truppen 1982 bis Beirut marschierten, gelang ihnen zwar die Vertreibung der PLO. Die Gesamtbilanz freilich fiel negativ aus. Die PLO reorganisierte sich, die Hisbollah erstarkte, die Feindschaft zu Israel nahm zu, am Ende zogen die Truppen, zermürbt von den täglichen Scharmützeln, Hals über Kopf ab. Bis heute ist der Libanon weder stabil noch demokratisch, große Teile werden von Syrien kontrolliert. Israels Abzug indes festigte in vielen Arabern die Überzeugung, der Westen sei durch steten Terror klein zu kriegen.

Immer mehr nagen an vielen Amerikanern die Zweifel. Weder wurden sie als Befreier begrüßt, noch sind sie sicherer geworden. Weder hatte Hussein Massenvernichtungswaffen noch Verbindungen zu Al Qaida. Wie soll aus den rivalisierenden Fraktionen des Landes jemals eine Nation entstehen, die auch nur entfernt einer Demokratie ähnelt? Alle Antworten auf die Sinnfrage sind zerbröselt. Das schmerzt. Mehr als drei Viertel der Amerikaner haben den Krieg unterstützt, darunter etwa auch John Kerry, der Herausforderer von Bush. Diese Mithaftung unterdrückt einstweilen eine kollektive Empörung. Nur langsam nehmen die Amerikaner Abschied vom Glauben daran, dass es falsch gewesen sein soll, Saddam Hussein zu stürzen.

War es denn falsch? Das ist die Grundfrage, der niemand ausweichen kann. Wer nur die Hände über die täglichen Horrormeldungen ringt, weicht ihr aus. Wäre es besser für die Welt, der Diktator säße in Bagdad noch an der Macht, könnte sein Volk drangsalieren und seine Massengräber ungeniert füllen? Vielleicht muss man das bejahen. Vielleicht war Hussein eine Krankheit, die nur durch eine Medizin behandelt werden konnte, deren Nebenfolgen schlimmer sind als die Krankheit selbst. Wen diese Einsicht nicht belastet, ist ein moralischer Lump. Vor knapp einem Jahr triumphierte Bush in arroganter Pose. Ihm das in gleicher Überheblichkeitsmünze heimzahlen zu wollen, verbietet sich. Wer einen Ausweg aus der Sackgasse kennt, der trete vor – und schweige!

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