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Beim Gebet. Die afghanische Armee und zivile Helfer versorgen die Überlebenden im Tal mit Hilfsgütern. Rund 300 Menschen starben.

© REUTERS

Das Panjshirtal in Afghanistan: Mit dem Stolz der Löwen

Massive Lawinen treffen das Panjshirtal mitten im politischen Neuanfang in Afghanistan heftig.

Die fünf goldfarbenen Löwen am Kreisverkehr in Bazarak hat der Schnee noch nicht begraben. So überflüssig die Skulpturen im afghanischen Panjshirtal sein mögen – mitten in der schwersten Lawinenkatastrophe seit 30 Jahren symbolisieren sie auf ihre Art den Stolz und Trotz der Menschen. Das Tal der fünf Löwen, wie es übersetzt heißt, ist auch Heimat des Nationalhelden Massood, der dort den Sowjets und später den Taliban die Stirn bot. „Im Moment kümmern sich alle nur um eins: Hilfe und Rettung“, berichtet ein Helfer am Telefon. In manche Orte haben sie noch immer keine Verbindung.

Nach ersten Zählungen starben im Land bisher mehr als 300 Menschen, das Panjshirtal traf es besonders hart. Der Leiter des nationalen technischen Hilfskomitees kennt das Tal gut, er stammt von dort. Provinzgouverneur Abdul Rahman Kabiri lässt sich die Koordinierung am Ort aber nicht nehmen. In der Provinz selbst spielen angesichts der elementaren Bedrohung Differenzen über Zuständigkeiten offenbar derzeit keine Rolle. Auch die Mitglieder des Provinzrates packen mit an.

Nach Bazarak führt eine asphaltierte Straße – seit es derart schneit und immer wieder Lawinen ins Tal donnern, gibt es allerdings nur noch eine Fahrspur. Zivile Helfer sind im Einsatz, auch die afghanische Armee. Zehn mobile Klinikteams wurden per Hubschrauber eingeflogen, Pakistan hilft ebenso wie die verbliebene internationale militärische Mission „Resolute Support“ und die UN, vor allem deren humanitärer Arm Ocha.

Europäische Frauen sind hier ungewohnt

Aber auch Mitarbeiter der politischen Mission Unama fahren weiter regelmäßig die rund 150 Kilometer von Kabul nach Bazarak. Ihr Hauptziel ist es, den gerade geknüpften Kontakt zu den neuen Provinzräten nicht abbrechen zu lassen. Sie wurden gewählt, um die Interessen der Bevölkerung zu vertreten. Dafür braucht es deren Leidenschaft, die aufrechtzuerhalten oder zu entflammen gar nicht so einfach ist. Nach all den Jahren internationaler Hilfe sind auch viele Menschen hier gewöhnt, erst einmal nach externer (finanzieller) Hilfe zu fragen. Die Übernahme von Aufgaben bei der Entwicklung der eigenen Region aber ist offenbar noch ungewohnt.

Ungewohnt ist für die Männer in der konservativen Provinz zunächst offenbar auch, dass die Europäerin mit dem beigen Schal überm Haar die Team-Chefin ist. Die gebürtige Holländerin Annemarie Brolsma und ihr Team begleiten die Provinzräte auf dem Weg zur politischen Verantwortung. Ende Januar haben sie diesen Rat zum ersten Mal getroffen, als dieser gerade zwei Monate im Amt war. Als Brolsma sich deutlich in die Mitte der Versammlung setzt und klare Fragen stellt, ist das aber schnell klar – und akzeptiert.

Mehrere Stunden saßen sie in einem Raum, umrahmt von Plastikblumensträußen bei Nüssen und Tee. Draußen schneite es, drinnen bollerte ein Gasofen. Drei Männer folgten interessiert den Ausführungen über politische Grundlagen und die Rolle von Unama, einer gab rasch den Wortführer. Einer gähnte ständig, andere waren erst gar nicht da. Die beiden Frauen zollten vor allem ihren Handys Aufmerksamkeit. Kollektives Desinteresse? Unsicherheit? Oder ist es die ungewohnte Rolle, selbst Vorschläge machen zu sollen? Doch bisher wurden ihnen wohl allzu oft Projekte angetragen. Nun werden sie selbst Prioritäten setzen und mit ihren Leuten diskutieren müssen, denn alles auf einmal ist nicht zu schaffen. Nicht zuletzt, weil mit der sinkenden internationalen Präsenz der Wettbewerb ums Geld härter wird. Wenn sie also für ein Projekt Geld aus anderen Töpfen haben möchten, müssen sie dafür werben, bei der Zentralregierung, bei Gebern; vielleicht auch im Verbund mit anderen. Die UN-Leute können ihnen Ansprechpartner vermitteln und beim Vernetzen mit anderen Räten helfen. Selbst vergeben sie aber kein Geld. Im Moment gibt es auch Streit um die Kompetenzen der gewählten Provinzräte. Werden die – vom Präsidenten eingesetzten – Gouverneure sie kontrollieren oder werden ihre Rechte beschnitten? Viele Provinzräte streikten deswegen. Nach der Winterpause des Parlaments steht das Thema wieder an.

Viele Kabuler saßen im Dunkeln

Die Ratsmitglieder wissen im Prinzip genau, was sie brauchen: gute Ausbildung, Sicherheit, Frieden, Menschenrechte, transparentes Regierungshandeln, Durchsetzung der Gesetze, Unterstützung der Frauen. Vor allem für die Frauen in dem recht abgeschnittenen Tal ist es nicht einfach, ihre Rechte durchzusetzen. Egal, was Gesetz und Lippenbekenntnisse sagen. Schon der Weg zum Wahllokal ist eine Hürde. „Bei uns gibt es fast keine Liebesheiraten und viele Ehrenmorde“, erzählt später eine Frau. So etwas hört der Gouverneur gar nicht gern. Solche Fragen klären sie hier lieber zwischen den Familien – meist zulasten der Frauen. Die selbstbewusste Afghanin gehört zu einer Gruppe, die Frauen hilft, deren Männer gewalttätig werden: „Wir melden die Gewalt der Polizei und unterstützen die Frauen, dass sie in ihre Familie zurückkehren können.“ Dass Familien eine Tochter wieder aufnehmen, ist hier nicht selbstverständlich. „Und wenn Frauen Oberhaupt einer Familie sind, fördern wir sie, dass sie weiter ihr Geschäft führen können.“

Auch wenn bisher nur eine Hauptstraße ins Tal führt, könnte sie künftig für das Land eine wichtige Rolle spielen – bei der Energieversorgung. Die Schneestürme haben auch Kabel am nahen Salang-Pass weggerissen, viele Kabuler saßen im Dunkeln. Längst gibt es Pläne, den Fluss am Eingang des Tals zu stauen. Derzeit ist aber ein Baustopp verhängt. Wenn die aktuelle Katastrophe gemeistert ist, dürften die Kraftwerkspläne auf mancher Prioritätenliste wohl nach oben wandern.

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