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Politik: Das Recht zählt, nicht die Politik (Kommentar)

Muss er sich beugen? Ach, wie sie alle darauf warten!

Von Robert Birnbaum

Muss er sich beugen? Ach, wie sie alle darauf warten! Helmut der Große, der sie alle gebeugt hat in seinen besseren Tagen - die eigenen Leute unter sein Joch gezwungen, die Opposition immer und immer wieder niedergedrückt, Jahr um Jahr. Der unbeugsam war bis zuletzt, der lieber in eine aussichtslose Schlacht zog als sich der Einsicht zu unterwerfen, dass seine Zeit abgelaufen war. Der soll sich nun beugen müssen, gebeugt werden, notfalls unter Zwang? Beugehäftling Kohl?

Der Gedanke allein war vor ein paar Wochen schlechterdings nicht vorstellbar. Aber wir haben ja einiges dazu gelernt seither. Helmut Kohl hat das Recht - nein, nicht gebeugt: er hat es gebrochen. Und er hat das, nehmen wir seine Aussagen beim Wort, keineswegs aus Unkenntnis getan, sondern in vollem Bewusstsein.

Nicht aber in vollem Schuldbewusstsein. Einen "Fehler" habe er begangen, sagt Kohl. Das Wort ist der Tat völlig unangemessen. Ein Fehler ist etwas, was man im besten Falle wieder gut machen kann. Etwas Verzeihliches, auch Verständliches. Aber verständlich, gar verzeihlich ist Kohls Tun nur für den, der seine Sicht des Politischen teilt: Politik als Kampf, wir gegen die, die Guten gegen die Bösen, die Christen-Partei gegen die Roten. Was wäre das für ein Feldherr, der Geld für seine Kriegskasse ablehnt, bloß weil die Annahme regelwidrig ist! Als ob die anderen nur mit sauberen Mitteln kämpften!

Nun ist die Sprache des Politischen bis heute von Kriegsmetaphern durchsetzt: Wahlkampf, Angriff, Attacke. Aber wer das archaische Vokabular zum Nennwert nimmt, übersieht gewisse Fortschritte der Zivilisation. Der politische Kampf hat Regeln bekommen - informelle des Anstands wie formelle des Rechts. Wer sie verletzt, stellt sich selbst außerhalb des Bereichs von Politik. Dies nicht erkennen zu wollen, ist Kohls - hier ist das Wort am Platze - Fehler.

Er hält sich immer noch für den Herrn der Regeln. Und in seinem privaten Regelwerk steht das formale Recht nicht allzu weit oben. Darum auch weigert er sich, die Namen seiner Spender offen zu legen. Er tut es mit der Geste des Ehrenmannes, der ein gegebenes Wort nicht bricht. Aber es geht nicht um Ehre. Es geht darum, dass der Kanzler alle vier Jahre geschworen hat, das Gesetz zu achten. Diesen Schwur hat er gebrochen. Und er würde ihn weiter brechen, wenn er sein Ehrenwort als CDU-Chef höher werten würde als sein Kanzler-Ehrenwort.

Was Wunder, dass ein übereifriger SPD-Aufklärer das Wort von der "Beugehaft" in den Mund genommen hat: Der Mann hat sich vom Kohlschen Politikverständnis anstecken lassen. In dessen Logik liegt es, dem gefallenen Feind die Folterinstrumente zu zeigen. Mit der Strafprozessordnung hat das nichts zu tun: Wenn Kohl - wofür fast alles spricht - demnächst Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren wird, ist es sein gutes Recht, dem Staatsanwalt wie dem Untersuchungsausschuss des Bundestages jede Aussage zu verweigern, die ihn belasten könnte. Nicht politische Opportunität, nicht Ehrfurcht vor einem Kanzler a.D. schließt die Anordnung von Beugehaft aus, sondern das Recht. Beugen darf man einen Zeugen, niemals einen Beschuldigten. Und auch den Zeugen nur dann, wenn das Mittel verhältnismäßig wäre. Ob es das wäre - zweifelhaft.

Für Kohl ist das kein Trost. Wenn sie doch versuchen würden, ihn zu beugen! Es könnte ihm nur Recht sein. Denn ein Untersuchungsausschuss ist bei allen formalen Parallelen zum Strafprozes ein politisches Gremium, dem es wahrhaftig nicht nur um die Wahrheitsfindung geht. Das ist die Arena, in der sich der Kämpfer Kohl auskennt. Da wüsste er sich schon zu wehren. Es wird aber wohl anders kommen. Die Staatsanwaltschaft wird kaum umhin können, gegen Kohl, Bundeskanzler a.D., ein Verfahren zu eröffnen. Dann wird der Bundestag die Immunität des Abgeordneten Kohl (Oggersheim) aufheben. Das ist keine Vorverurteilung, auch wenn es viele so sehen werden. Es ist auch kein politischer Racheakt. Es ist der Gang des Rechts. Niemand wird Kohl beugen. Aber er wird sich der Einsicht beugen müssen, was er da angerichtet hat.

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