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Russlands Präsident Wladimir Putin.

© dpa

Das Russland unter Wladimir Putin: Wir müssen reden

Allen Vorkommnissen zum Trotz: Europa und die Nato dürfen das Gespräch mit Russland nicht abreißen lassen. Im Gegenteil. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Und immer mehr summiert sich zur Anklage. Nein, nicht gegen Jan Böhmermann – gegen Wladimir Putin. Oder genauer: Putins Russland. Denn dieses Russland besetzt die Krim, führt immer noch einen mehr oder weniger verdeckten Krieg gegen die Ukraine, verliert jede Fasson, weil es beim europäischen Song Contest nicht gewinnt und jetzt auch noch Gefahr läuft, wegen Massendopings nicht bei den Olympischen Spielen in Rio starten zu dürfen. Was ist das für ein Land?

Zunächst einmal: bloß keine Verallgemeinerungen. Putin, Wladimir Wladimirowitsch, ist nicht Russland. Das größte Flächenland der Erde ist besiedelt von Menschen, die genauso ignorant oder tolerant sind wie die in, sagen wir, den USA. Zugespitzt gesagt: Was wissen die schon von anderen Ländern? Die Russen außerhalb Moskaus wissen in aller Regel das, was Moskau sie wissen lässt. Heißt: Es regiert, ähnlich wie früher, eine Nomenklatura, angeführt von Putin, ausgerichtet auf ihn wie weiland auf den KP- Generalsekretär, die ihre Interessen verfolgt. Das sind nicht selten die eigenen, ansonsten die „ihres“ Russlands, das ungeachtet des verblassten Mythos der eigenen Größe weltweit als Großmacht wahrgenommen werden soll. Und richtig, so groß wie die Landmasse ist das Atomwaffenarsenal – das größte überhaupt.

Deshalb ist es auf Dauer schon psychologisch gefährlich, eine Situation zuzulassen, in der ein Staat wie Russland sich permanent gereizt und dazu dann noch isoliert fühlt: eben weil kein lupenreiner Demokrat an der Spitze gereizt wird, der ein Vorbild an Toleranz oder Gelassenheit abgeben könnte, sondern ein Autokrat. Der füttert die Abermillionen Menschen, die meistenteils doch nur ihn hören, mit seiner Version. Mit der spinnt er sein Land ein in einen Kokon des Irrealen. Von außen gesehen. Von innen sieht es logischerweise anders aus.

Den Kokon durchstoßen!

Außerdem ein Unterschied zwischen irreal und irrational. Putin mag die, nennen wir sie: wahre Wirklichkeit nicht anerkennen, weil sie grundlegende Veränderungen nach sich ziehen müsste. Dagegen geht er aber geradezu strategisch rational vor. Der Kokon soll sicherstellen, dass er jede Kritik an welchem Verhalten auch immer abwehren kann. Alles nur Missgunst, alles nur der Versuch, ein Land auf die Knie zu zwingen, vom Kopf angefangen – so ungefähr lautet die Erzählung. Was im Übrigen am Rande an andere Autokraten erinnert, an Erdogan oder, wenn man den Gedanken auf die Spitze treibt, an den Nordkoreaner Kim Jong Un. Wobei der wahrscheinlich in seiner Art noch ein Sonderfall ist.

Mal anders ausgedrückt: Wer sich in das Gedankengebäude dessen begibt, der es errichtet hat, wird finden, dass sich niemand besser darin auskennt als ebender. Und darum gilt es, sich genau darauf nicht einzulassen. Den Kokon zu durchstoßen! Das ist das Gebot der Stunde. Wie das gehen kann? Indem man, genauer: indem Europa und auch die Nato (wegen der Raketen) das Gespräch nicht abreißen lassen, sondern es jetzt umgekehrt wieder suchen. Mit Breschnew oder Tschernenko oder Andropow wurde doch auch geredet, und zwar im Sinne positiver Verstärkung, nicht aggressiver Negation. Also: reden auf allen Ebenen, auf denen sich Putins Russland gereizt fühlt. Sonst wird es statt besser immer nur schlimmer. So schlimm, dass sich Russland zu allem, bloß nicht zur Demokratie herausgefordert fühlt.

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