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Politik: Das Schreien der Lämmer

Von Peter von Becker

Heute hätte der als „Real-Horrorfilm“ angekündigte deutsch-amerikanische Streifen „Rohtenburg“ in den Kinos starten sollen. Es geht darin um die Geschichte des Mannes, der vor fünf Jahren im hessischen Rotenburg einen anderen Mann auf dessen Wunsch vor einer Videokamera getötet und später aufgegessen hat. Der Fall, so grauenvoll monströs und bisher einzigartig, hat den geständigen Täter Armin Meiwes als „Kannibalen von Rotenburg“ seitdem weltbekannt gemacht. Auch Hollywood meldete sich, und Meiwes tat kund, dass er bereit sei, über Film- und Buchrechte zu verhandeln. Den ohne seine Einwilligung gedrehten Film „Rohtenburg“ aber ließ er, nachdem eine erste Instanz dies noch abgelehnt hatte, soeben durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit einstweiliger Verfügung stoppen.

Rein geschmacklich wird man auf Kannibalismus im Kino durchaus verzichten können. Trotz Hannibal Lecter, der uns im „Schweigen der Lämmer“ gelehrt hat, wie selbst solche Krudität zum Kunstwerk taugt. Die Frankfurter Entscheidung aber betrifft keinen fiktiven Unhold, sondern einen wirklichen Menschenfresser. Und der möchte über seine Biografie und die Darstellung seiner Person – jenseits der aktuellen, durch die Pressefreiheit ohnehin geschützten Gerichtsberichte – am liebsten selbst bestimmen. Dies ist ein Präzedenzfall. Und damit von einiger Bedeutung: für die Kunst- und Medienfreiheit in Deutschland.

Man erinnert sich an die jüngsten Prozesse gegen Bücher der Schriftsteller Maxim Biller („Esra“) und Alban Nikolai Herbst („Meere“). Dort wehrten sich weithin unbekannte Privatpersonen dagegen, im Schleier von Romanen auf dünn verhüllte Weise öffentlich bloßgestellt zu werden. Der Fall Meiwes aber liegt anders. Ein außergewöhnliches Tötungsdelikt erregt internationales Aufsehen – und der Täter geht selbst an die Öffentlichkeit, mit Interviews und einem im Frankfurter Urteil zitierten „Vertrag über die mediale Vermarktung seiner Lebensgeschichte“. Das wiederum unterscheidet den Fall vom berühmten Lebach-Urteil, auf das sich das OLG Frankfurt mehrfach beruft. Vor über 30 Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht dem ZDF die Ausstrahlung eines dokumentarischen Spielfilms über den Soldatenmord von Lebach untersagt, weil einer der Tatbeteiligten, der nach Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe vor seiner Entlassung stand, in seiner resozialisierenden Wiedereingliederung in die Gesellschaft gefährdet wurde.

Der Kannibale aus Rotenburg ist noch nicht rechtskräftig verurteilt. Ob es sich um Mord oder einen besonders bizarren Fall von Tötung auf Verlangen handelte, darüber wird in Frankfurt noch in zweiter Instanz verhandelt. Also spielt die Unschuldsvermutung, in dubio pro reo, hier keine Rolle. Es ist kein Zweifelsfall. Vielmehr: ein Verzweiflungsfall, was die Abgründe des Menschenmöglichen betrifft. Und darüber zu sprechen, zu spekulieren und sogar (spekulative) Filme zu drehen oder Bücher zu schreiben, ist ein kaum zu unterdrückender Reflex. Die Kunstfreiheit schützt hierbei auch krude Reflexe, sogar Geschmacklosigkeiten – man hat es erst jüngst bei der Diskussion um den türkischen Irak–Kriegsreißer „Tal der Wölfe“ betonen müssen.

Der Menschenschlachter ist, wie das Gericht bestätigt, eine „relative“ Person der Zeitgeschichte. Seine Tat indes gehört schon absolut zur Kriminalhistorie. Und wegen des höchstpersönlichen Akts, angeblich eine Einverleibung aus „Liebe“, kann sie von der Persönlichkeit des Täters nicht getrennt werden. Nun bestätigt das Urteil, dass der Film sich haarklein an die wahre traumatische Biografie des Kannibalen halte. Dennoch schließt das Gericht – ohne den Film gesehen zu haben – aus der Ankündigung als „Real-Horrorfilm“ auf eine „einseitige Horrordarstellung“. Was aber heißt das, wenn es eben um Horror geht? Genauso empfindlich könnten sich KZ-Kommandanten und andere exzeptionelle Straftäter (oder ihre Erben) gerieren – und ein Teil der Filmgeschichte, von „Rififi“ über „Schindlers Liste“, den „Totmacher“ bis jüngsthin „Capote“, stünde so zur Disposition. Das ist weder rechtlich noch realistisch haltbar.

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