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Politik: …das TV-Programm neu definiert wird

Um zu grundlegenden Erkenntnissen über den deutschen Fernsehzuschauer zu kommen, müssen wir nicht einmal fernsehen. Es reicht ein Blick ins gedruckte Programm: Der Zuschauer ist verrückt nach Talkshows und Volksmusik.

Um zu grundlegenden Erkenntnissen über den deutschen Fernsehzuschauer zu kommen, müssen wir nicht einmal fernsehen. Es reicht ein Blick ins gedruckte Programm: Der Zuschauer ist verrückt nach Talkshows und Volksmusik. Ein bisschen Kochen, etwas Fußball, aber vor allem: Talkshows und Volksmusik. Gelänge es Sabine Christiansen, ihre üblichen Dauergäste nach dem üblichen Dauerzank einvernehmlich „Lebt denn der alte Holzmichl noch?“ intonieren zu lassen, würde sie einen Quotengipfel erklimmen, neben dem sich die Zugspitze wie der Kahle Asten ausnimmt.

Dachten wir. Und nun das! Die deutschen Fernsehzuschauer, behauptet jedenfalls die notorisch kompetente „Hörzu“, wollen mehrheitlich weniger Talkshows und Volksmusik sehen. Weniger! Keine scheindebilen Zitherspieler mit Sepplhose und Gamsbart mehr, keine parlamentarischen Geschäftsführer in Flanell. Was die Leute dagegen mehr sehen wollen, trat nicht annähernd so deutlich zu Tage. Deutsche Filme, politische Magazine, nun ja.

Möglicherweise lag es an der Fragestellung. Denn was die Deutschen wirklich immer mehr sehen wollen, sind Gerichtsmediziner. Leute, die durch orangefarbene Plastikbrillen nach Blutspuren suchen, die furchtlos hinter dem Brustbein nach Projektilen vom Kaliber 7,65 kramen und, während sie im Mageninhalt eines Mordopfers herumgraben, zu ihrem kollabierenden Azubi Sätze sagen wie „Das ging mir bei meiner ersten Wasserleiche auch so“.

Die Sache kommt langsam auf Touren. Sämtliche US-Serien zum Thema werden längst komplett in Deutschland weggesendet, die hiesige Produktion läuft unerbittlich an; in Kürze wird die ARD mitteilen, dass sie Robert Atzorn und Christiane Hörbiger als zwei verfeindete Gerichtsmediziner für die Serie „Auf Milz und Nieren“ gewonnen hat. Das ZDF kontert gedankenschnell mit der Guido-Knopp-Serie„Hitlers willige Obduzenten“, „Plusminus“ deckt auf: Skalpelle bergen enorme Verletzungsgefahren. Und bei RTL moderiert Sonja Zietlow „Die zehn schrecklichsten Leichenöffnungen der Neunziger“.

Thema erledigt? Nicht im deutschen Fernsehen. Selbst die Talkshows hätten Zukunft, würden sich beispielsweise die Gäste gespannt um verblichene Politiker versammeln und dem Obduzenten zusehen, wie er behutsam deren soziales Gewissen freilegt. Ja, selbst die Frage nach dem Schicksal des Holzmichls ließe sich nun zu gedämpfter Blasmusik neu aufrollen und endgültig beantworten. Nein, hieße es, er lebt nicht mehr, er ist tot. Der Obduzent hat es doch gerade vor laufender Kamera bewiesen. bm

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