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Politik: Das Versprechen am Grab

EU-Ratspräsident: Serbien wird Teil Europas sein / Delegationen aus 60 Ländern bei Trauerfeier für den ermordeten serbischen Premier

„Unser Land ist ebenso unfertig wie diese Kirche“, sagt Anna Nikolic und wischt sich die Tränen weg. „Wir müssen sie nun ohne Djindjic ebenso vollenden, wie die Reformen in unserem Land.“ Die junge Frau ist am Samstag zum Trauergottesdienst für den ermordeten Premier Zoran Djindjic zur Kirche des Heiligen Sava gekommen. Nikolic gehört zu den Zehntausenden, die draußen bedrückt und schweigend verharren. Die Trauerzeremonie wird über Lautsprecher übertragen.

Das riesige Gotteshaus ist eines der Wahrzeichen der Hauptstadt, aber seit Jahrzehnten eine Baustelle. So findet der feierliche serbisch-orthodoxe Gottesdienst im unfertigen Rohbau statt. Vorne am Altar ist der Betonboden mit einem roten Teppich belegt, Ikonen schmücken die ungeputzten Wände, aber die zahlreichen Blumen und Kerzen lassen es in diesem Provisorium nicht an Würde fehlen. Die Atmosphäre ist feierlich und ergreifend – in der Live-Übertragung auf allen Fernsehprogrammen ist der Baustellencharakter ohnehin nicht zu sehen. Noch vor wenigen Wochen hatte sich Djindjic mit viel Engagement bei der serbischen Exilgemeinde in Frankfurt am Main um Spenden bemüht, um diese größte Kirche auf dem Balkan bis 2004 fertig zustellen.

Nun gaben ihm hier an diesem symbolischen Ort Staatsgäste aus 60 Ländern die letzte Ehre. In seiner Trauerpredigt würdigte Erzbischof Amfilohije den ermordeten Politiker, weil er Europa und der Welt die Hand gereicht habe, trotz der vom Ausland in der Vergangenheit zugefügten „großen Leiden" gegen das serbische Volk. Dabei nannte der Erzbischof die Kriege im ehemaligen Jugoslawien, aber auch die Nato-Luftangriffe von 1999. Djindjic sei von einer Hand des „blinden Bruderhasses" gemeuchelt worden, sagte der Kirchenmann. Neben Familie von Djindjic war die gesamte politische Führung Serbien-Montenegros und der Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche, Pavle, gekommen. Alle Nachbarstaaten, sogar das benachbarte Kroatien, hatten ihre Premiers entsandt. Die EU-Staaten waren fast alle durch ihre Außenminister vertreten.

Aus Deutschland waren Außenminister Joschka Fischer und die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul angereist. Die USA waren nur durch den US-Diplomaten Lawrence Eagleburger vertreten. Die Chefanklägerin des UN-Tribunals, Carla Del Ponte, war entgegen einer Ankündigung jedoch nicht gekommen. Der Radiosender B 92 hatte am Freitag berichtet, Außenminister Goran Svilanovic habe zunächst vergebens versucht, ihr den Besuch auszureden. Die Trauerfeier fand unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Viele Straßen blieben den ganzen Tag lang gesperrt. Überall in der Stadt waren bewaffnete Polizisten postiert.

Später zog der Trauerzug unter großer Beteiligung der Bevölkerung kilometerweit durch die Stadt bis zum Neuen Friedhof von Belgrad. „Jetzt, wo er tot ist, wissen wir, was wir verloren haben“, sagt die Studentin Tanja Vulic, die in den Arm ihres Freundes geschmiegt sichtbar bedrückt am Rand steht. Der heutige Tag erinnert die beiden jungen Leute an ihre Demonstrationen gegen das Milosevic-Regime. „Damals wurde Djindjic unser Idol", sagt der Freund Petar Micic. „Nun ist völlig ungewiss, was die Zukunft bringt." Um eine Perspektive aufzuzeigen, tritt auf dem Friedhof der griechische Außenminister und derzeitige EU-Ratspräsident Giorgos Papandreou als erster Redner an Djindjics Grab. Er verspricht Serbien dabei zu helfen, den Traum von der Integration in Europa zu verwirklichen. „Ich gebe hier feierlich, Dir, Zoran, und Serbien folgendes Versprechen: Ihr werdet ein Teil Europas sein. Wir versprechen, Deinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.“

Gemma Pörzgen[Belgrad]

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