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Politik: Das vorletzte Mittel

Moskau will den neuen Partner USA nicht verprellen – aber einem Irak-Krieg auch nicht zustimmen

Es war die Aufgabe des Außenministers, Russlands Sinneswandel in der Irak-Debatte zu verkünden: Moskau sehe derzeit keine Notwendigkeit für eine neue UN-Resolution, die Gewaltanwendung gegenüber Bagdad sanktioniert, sagte Außenminister Igor Iwanow. Das Problem der Massenvernichtungswaffen im Irak könne mit politischen Mitteln gelöst werden. Russland, so der Diplomat weiter, sei für die Fortführung der Tätigkeit der Inspekteure, die dazu ein Mandat und entsprechende Vollmachten haben. „Wenn sie dazu weitere Unterstützung in Form einer Resolution brauchen, sind wir bereit, das zu prüfen“, sagte Iwanow.

Moskau habe nie die Möglichkeit der Annahme einer oder mehrerer neuer Resolutionen ausgeschlossen. Es gehe jedoch nicht um die Zahl, sondern vielmehr prinzipiell um den Inhalt und das Ziel einer neuen Resolution. Gewaltanwendung, das habe Russland stets betont, könne nur das „letzte Mittel“ sein. Die gemeinsame Erklärung, die Putin mit Pakistans Staatschefs Pervez Musharraf am Donnerstag unterzeichnete, schloss „einseitige Gewaltanwendung“ noch völlig aus. Bei der Lösung des Problems dürften nur politische und diplomatische Mittel in strikter Übereinstimmung mit den Normen des Völkerrechts und ausschließlich unter UN-Ägide zur Anwendung kommen, hieß es dort.

Der offenbare Sinneswandel, mit dem Moskau sich weitgehend der französischen Position annähert, hat mit dem Irak selbst nur sehr wenig zu tun. Umso mehr dafür mit eigenen Interessen Russlands – geostrategischen wie innenpolitischen. Das in der späten Jelzin-Ära heftig unterkühlte russisch-amerikanische Verhältnis hat sich nach Putins uneingeschränktem Engagement in der Anti-Terror-Koalition zu einem partnerschaftlichen – manche sprechen sogar von einem bündnisähnlichen – Verhältnis gewandelt.

Der Irak ist trotz handfester wirtschaftlicher und politischer Interessen aus russischer Sicht keine Konfrontation mit den USA wert, die das Erreichte wieder zerstört. Gelegentlicher verbaler Theaterdonner soll Washington nur daran erinnern, dass Moskau kein schwacher, sondern ein starker Partner ist. In einem Telefonat mit Bush sagte Putin denn auch bereits „enge Zusammenarbeit“ und einen schärferen Ton gegenüber Bagdad zu. Ein Ja zu einer Kriegsresolution ist von Moskau indes kaum zu erwarten: Damit würden die Vereinten Nationen so überflüssig wie seinerzeit der Völkerbund. An einer solchen Situation aber ist derzeit niemandem weniger gelegen als Moskau.

Russland will mittelfristig bei den UN nicht nur das Gewicht wiedererlangen, das die Sowjetunion hatte. Das Land will außerdem auf die Annahme von zwei Grundsatzdokumenten drängen, die ein im Januar vorgestelltes, von einem hochkarätigen Expertenteam erarbeitetes Strategiepapier nennt: Eine Charta, die definiert, was unter den internationalen Terrorismus fällt, und eine weitere, die den internationalen Umgang mit den so genannten „nicht anerkannten Staaten“ regelt. Hintergrund für beides ist das nach wie vor ungelöste Tschetschenienproblem, das durch nahende Wahlen – im Dezember für die Duma, im März nächsten Jahres muss Putin sich selbst um eine zweite Amtszeit bewerben – zusehends an Brisanz gewinnt und angesichts der Unmöglichkeit, die Rebellenrepublik zu befrieden, mehr denn je auf eine politische Lösung drängt.

Angesichts dieser Zwänge dürfte Moskau versuchen, Zeit zu gewinnen, um Saddam ins Exil zu zwingen. Als mögliches Exil-Land käme Weißrussland in Frage, dessen Staatschef Lukaschenko nicht nur wirtschaftlich am Moskauer Tropf hängt.

Sollte es dennoch im Sicherheitsrat zur Abstimmung über Krieg und Frieden kommen, wird mit einer Stimmenthaltung Moskaus gerechnet.

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