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Politik: „Das war kein spontaner Aufruhr des Volkes“

Der vertriebene Präsident Kirgisiens Akajew sieht sich als Opfer der USA – und warnt vor Drogenmafia und Islamisten

Grünweiße Holzhäuser ducken sich im scharf bewachten Wald südlich von Moskau. Ihr Interieur entspricht den Vorstellungen der Sowjet-Nomenklatura von Gutbürgerlichkeit: Kamin, Teppichboden, holzgetäfelte Wände, bemalt mit Berglandschaften im letzten Sonnenlicht. Ersatz für die Fünftausender des Tienschan, die der Bewohner von Staatsdatscha Nummer 15 von der Terrasse seiner Residenz bewundern konnte: Askar Akajew, 61, promovierter Physiker und bis zum 24. März Präsident der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Kirgisien.

Seither, sagt Akajew in seinem ersten Interview für westliche Medien nach der „Revolution der Tulpen“, sei er „Gast der russischen Staatsführung“. Er liebäugelt mit der Rückkehr in die Wissenschaft, will aber eine Rückkehr in die Politik nicht ausschließen. „Vielleicht wird meine politische Erfahrung noch mal gebraucht, in meinem Land oder bei internationalen Organisationen. Man muss ja nicht zwingend Präsident sein, um Politik zu machen.“ Momentan aber ist Akajew noch mit der Ursachenforschung für den gewaltsamen Machtwechsel beschäftigt.

Bei den Unruhen, die ihn am 24. März zur Flucht zwangen, seien „eine Menge Faktoren“ zusammengekommen, externe wie interne. Zu letzteren zählt Akajew „Armut, Arbeitslosigkeit und überzogene Erwartungen der Massen auf schnelle Verbesserungen nach dem Ende der Sowjetunion“. Dies sei „verständlich und für alle UdSSR-Nachfolgestaaten typisch“. Entscheidend aber sei etwas anderes gewesen. „Das war kein spontaner Aufruhr des Volkes, sondern ein sorgfältig organisierter verfassungswidriger Umsturz, der von den USA über deren nichtstaatliche Organisationen wie Freedom House, National Democratic Institut oder Republican Institut lange vorbereitet wurde.“

Obwohl Kirgisien weder Öl noch Gas besitzt und strategisch bei der Anti-Terror-Operation in Afghanistan nur eine Nebenrolle spielt. Doch für eine Revolution in Zentralasien habe es zu Kirgisien keine Alternative gegeben, meint Akajew. „Das funktioniert nur dort, wo es eine legale Opposition und unabhängige Medien gibt. Die USA haben daher bei uns ständig auf Tempo bei den Reformen gedrängt und ließen bei uns sogar die Zeitungen der illegalen Opposition in den Nachbarstaaten drucken. Deren Präsidenten waren stinksauer und rächten sich mit Wirtschaftssanktionen. Anders als Deutschland wollten die USA uns einfach ihre Standards aufzuzwingen. Ohne Rücksicht auf die Spezifik unserer Region.“

Der Erfolg halte sich in Grenzen. „Das georgische oder ukrainische Szenario hat bei uns nicht funktioniert. Den Oppositionsführern fehlte Unterstützung durch das Volk. Daher mussten sie auf die Kämpfer der Drogenbarone zurückgreifen. Zuerst im Süden, dann in Bischkek.“ Das, so fürchtet Akajew, werde Demokratisierungsprozesse bei den Nachbarn eher bremsen. Und es mache „den Weg für destruktive Kräfte frei – die Drogenmafia und islamische Extremisten.“ Zu besichtigen gewesen sei dies bereits Mitte Mai bei den Unruhen im usbekischen Teil des Fergana-Tals. Es werde auch bei den Wahlen in Kirgisien eine Rolle spielen: „Im Süden fordert die verbotene Hizb-ut-tahrir in Flugblättern schon dazu auf, für den Kandidaten zu stimmen, der das islamische Kalifat verspricht.“

Interimspräsident Kurmanbek Bakijew, der mit Felix Kulow als Premier ins Rennen geht, habe „den Geist aus der Flasche gelassen“, so Akajew. „Ich habe diesem Tandem gegenüber eine zwiespältige Meinung, wünsche aber beiden dennoch Erfolg. Wenn ihr Bündnis zerbricht, müssen wir uns auf das Schlimmste gefasst machen. Nicht nur wegen der Islamisten, auch wegen des Nord-Süd-Konflikts. Wenn einer der beiden sich von machtpolitischen Instinkten leiten lässt, drohen Kirgisien im schlimmsten Fall afghanische Zustände.“ Dort schlossen nach dem Ende der Sowjet-Ära Paschtunen und Tadschiken ein Bündnis, das schon nach sieben Monaten zerbrach. Der nachfolgende Bürgerkrieg rief die Taliban als Ordnungsfaktor auf den Plan.

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