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Politik: Das Wort hat der Richter

Lord Hutton untersucht die Affäre um den Tod des Waffenexperten Kelly – auch Premierminister Blair soll aussagen

Es begann mit Schweigen. Eine Minute Gedenken an den toten Regierungswissenschaftler David Kelly, dann kam der silberhaarige Lord im Gerichtsaal 73 der Royal Courts of Justice zu Sache – und ließ eine politische Bombe platzen. „Ich, und nur ich allein, entscheide, wer als Zeuge geladen wird“, erklärte der 72-jährige Sir Brian Hutton, der den Tod Kellys im Auftrag der Regierung untersuchen soll. Und während er mit einer in jahrzehntelanger Richterpraxis geübten Neutralität und Distanz 34 Minuten lang seine Marschroute beschrieb, zerstoben alle Hoffnungen, die Premier Tony Blair gehabt haben mochte, dass sich diese Untersuchung auf die engeren Umstände von Kellys Selbstmord im Wald bei Oxford beschränken könnte. Der ehemalige UN-Waffeninspekteur tötete sich, nachdem seine Identität von der Regierung preisgegeben wurde. Kelly war die Hauptquelle für einen BBC-Report, in dem behauptet wurde, dass die Regierung zu Kriegspropagandazwecken Geheimdienstberichte in einem Dossier mit Spekulationen aufgebauscht hat.

„Ich schlage vor, den Premierminister und den Verteidigungsminister, Mister Geoff Hoon, zur Zeugenaussage vorzuladen“, sagte Hutton mit höflicher Sachlichkeit. Aber nicht nur Tony Blair, sein Kommunikationsdirektor Alastair Campbell und Hoon, gleich das gesamte Führungsteam im Verteidigungsministerium wurde geladen. Auch die BBC muss sich bis hinauf in ihre höchsten Spitzen eine ungewohnt intensive Befragung gefallen lassen. Auch Journalisten anderer Medien, Parlamentarier, Ärzte und Geheimdienstler sollen gehört werden.

Hutton will ganz vorne beginnen, mit den Umständen, wie das umstrittene Dossier vom September 2002 zustande kam. „Wir werden eine Menge über das Wunderland der Irakdossiers erfahren“, freute sich Oppositionssprecher Oliver Letwin und gab zu, dass Hutton mit seiner Tätigkeit einer Untersuchung der Kriegsgründe ziemlich nahe kommen wird – wie seine Partei es schon lange gefordert hatte.

Die erste Phase der Anhörungen wird am 11. August, nach Kellys Beerdigung, beginnen. Ziel ist eine vollständige Chronologie der Ereignisse. In der zweiten Phase werden Diskrepanzen und Widersprüche aufgeklärt. BBC und Regierung haben bereits die Koryphäen unter den Rechtsbeiständen angeheuert. Doch Hutton stellte klar, dass er das Verfahren nicht in eine forensische Schlacht ausarten lassen wird: „Dies ist eine von mir allein geleitete Untersuchung, kein Prozess zwischen Konfliktparteien.“

Für Hutton gibt es keine Tabus: Neben den Hintergründen zum Irakdossier wird er auch die journalistische Praxis in der BBC und die Verflechtungen der Medien mit der Downing Street ausleuchten. Sein Bericht, glauben viele, wird Köpfe rollen lassen. Hutton rechtfertigte die Reichweite seiner Untersuchung mit dem öffentlichen Interesse. Mit wenigen Ausnahmen – wie der Vernehmung von Kellys Witwe Janice – wird die Anhörung öffentlich sein, doch will Hutton TV-Kameras nicht zulassen. Statt dessen werden Protokolle im Internet veröffentlicht.

Neues zur Kelly-Affäre kam am Freitag auch schon zu Tage: Der Wissenschaftler war offenbar schwer herzkrank. An seinem Körper wurden vier EKG-Elektroden gefunden. In dem Schreiben, in dem Kelly sich seinen Vorgesetzten als möglicher BBC-Informant zu erkennen gab, übte er außerdem Kritik am BBC-Journalisten Andrew Gilligan. „Er hat mein Treffen mit ihm beträchtlich ausgeschmückt – oder er muss andere Informanten gehabt haben, die wirklich intim mit dem Dossier vertraut waren.“

Matthias Thibaut

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