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Datenschutz: Studie bestätigt Gegner der Vorratsdatenspeicherung

Eine neue Studie soll den Unsinn der Vorratsdatenspeicherung belegen. Welche Folgen hat das?

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Rechtzeitig zum Europäischen Datenschutztag am heutigen Samstag präsentierte das Bundesjustizministerium eine neue Studie zur Vorratsdatenspeicherung und belebte damit die Debatte um Nutzen und Gefahren des Ermittlungsinstruments – sowohl in der Koalition als auch bei Regierung und Opposition.

Was für eine Studie ist das?

In Auftrag gegeben hat das Gutachten das Justizministerium. Bewertet wurden die Daten vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg. Die Studie untersucht die Aufklärungsquoten von Delikten für den Zeitraum von 1987 bis 2010. In diesem Zeitraum war die Vorratsdatenspeicherung für etwas mehr als zwei Jahre in Kraft, von Januar 2008 bis März 2010. Damals wurden alle Telefon- und Internetverbindungsdaten von den Anbietern sechs Monate lang gespeichert, auf Anfrage konnten die Ermittler darauf zugreifen. Die Juristen haben versucht, festzustellen, ob es dadurch einen Unterschied bei den Ermittlungserfolgen gab. Sie führten außerdem Interviews mit Polizisten und fragten sie nach ihrer Einschätzung.

Was sagt die Studie?

Die Studie bewertet den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung sehr skeptisch. Im Vergleich zu den Jahren ohne Langzeitspeicherung sei keine Veränderung der Aufklärungsquote festzustellen. Die Juristen untersuchten dabei verschiedene Gesetzesverstöße, besonders solche Delikte, die in der öffentlichen Debatte um die Vorratsdatenspeicherung häufig als Beispiele für die Notwendigkeit des Datenspeicherns genannt werden. Dazu gehören der „Enkeltrick“, also Vergehen, bei denen Kriminelle ältere Menschen betrügen, indem sie sich telefonisch als deren Verwandte ausgeben und Kinderpornographie. Eine eindeutige Verbesserung der Aufklärungsquote durch die Vorratsdatenspeicherung sehen die Juristen nicht. Eine „Schutzlücke“ stellen sie allerdings in Bezug auf die Speicherfristen von IP-Adressen fest, also der Nummernkennung, mit der sich ein PC im Netzwerk anmeldet und über die er eindeutig identifiziert wird. Ohne, dass die IP-Adresse einem Nutzer zugeordnet werden kann, sehen die Autoren Probleme bei der Aufklärung von Internetkriminalität. Bei all dem betonen die Autoren die unzureichende Datenlage. Es handelte sich um eine „Momentaufnahme“ auf „sehr unsicherer statischer Datengrundlage“.

Freiheit oder Sicherheit - der Streit um die Vorratsdatenspeicherung wird zur Glaubensfrage.

Gibt es weitere Untersuchungen?

Ermittlungsbehörden, Regierung, Opposition und Netzaktivisten versuchen seit längerem, ihre Positionen zu unterfüttern. Die Ergebnisse fallen sehr unterschiedlich aus, wobei der größere Teil der Untersuchungen keinen oder nur einen geringen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung sieht. Das Bundeskriminalamt selbst stellt in einer Studie von 2005 fest, dass die Aufklärungsquote durch die Vorratsdatenspeicherung nur sehr gering erhöht wird. Zu einem ähnlichen Schluss kommen, teilweise mit Bezug auf die BKA-Zahlen, auch zwei Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Ländern sei der Nutzen gering, so die Autoren. Laut einem Evaluationsbericht der Europäischen Kommission hingegen trägt die Vorratsdatenspeicherung zur Verbesserung der Sicherheit in Europa bei. Die Kommission hatte mit ihrer Richtlinie die gesetzliche Einführung der Datenspeicherung in Deutschland angestoßen. Die Datenbasis dieses Berichts wird aber kritisch gesehen. Fest steht, dass seit Aussetzen des Speicherns viele Anfragen der Ermittlungsbehörden an Telefon- und Internetanbieter ins Leere laufen. Eine Auswertung des BKA von 2010 ergab, dass nun von rund 5000 Anfragen der Polizei nach den Namen hinter Computerkennnummern rund 4300 unbeantwortet blieben, weil die Daten fehlten. Dies sei besonders bei der AAufklärung von Internetkriminalität hinderlich, so BKA-Chef Jörg Ziercke bei einer Podiumsdiskussion am gestrigen Freitag. Er betonte, Zahlen seien nicht allein relevant. „Es kommt auf die Art der Delikte an“, so Ziercke. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, hingegen forderte weitere Belege für den Nutzen der Speicherung.

Was bezweckt das Justizministerium mit der Veröffentlichung?

Der Koalitionsstreit um die Datenspeicherung schwelt schon seit längerem. Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich zugelassen, aber von der Bundesregierung gefordert, das Gesetz zu verbessern. Die FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aber wehrt sich grundsätzlich dagegen. Die Studie soll ihren Widerstand untermauern, wurde aber prompt infrage gestellt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und der Innenexperte der CDU, Wolfgang Bosbach, wiederholten am Freitag, dass die Vorratsdatenspeicherung nötig sei und erklärten, die Studie sei nicht valide. Tatsächlich findet der Gegenvorschlag der Justizministerin, das „Quick-freeze-Verfahren“ (also das anlassbezogene Speichern der Daten), beim Max-Planck-Institut ebenfalls keinen Anklang. Darin werde „über alle Berufsgruppen hinweg kein taugliches Äquivalent gesehen“.

Warum fordern Ermittler die Vorratsdatenspeicherung – obwohl sie wenig bringen soll?

Weil sie noch etwas bringen könnte. Niemand weiß, wie sich Kriminalität entwickelt. Sicher aber ist, dass Telekommunikation dabei immer eine Rolle spielen wird. Polizei und Staatsanwaltschaften sind dabei in einer schwierigen Situation. Einerseits sollen sie sich von den Kriminellen nicht technisch abhängen lassen; andererseits erhöht die Zahl von Verbindungsdaten und -kanälen in der modernen Massen- und Individualkommunikation die Gefahr möglicher Grundrechtseingriffe oder -verletzungen. Abstrakten Chancen für die Ermittler stehen also abstrakte Risiken für die Bürger entgegen.

Wird die Vorratsdatenspeicherung damit zur Glaubensfrage?

Bei allem Respekt vor dem Wert empirischer Studien – sie ist es längst geworden. Oder besser: Eine Gefühlsfrage. „Die Studie zeigt, dass die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung nicht empirisch belegt, sondern nur ein Gefühl der Praktiker ist“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Max Stadler. Das mag zutreffen, gleiches gilt aber auch umgekehrt: Die Bedrohung durch die Datenmassen ist auch nur ein Gefühl. Das Bundesverfassungsgericht hatte wesentliche Teile in seinem Urteil dazu 2010 auf kollektive Emotionslagen gegründet, von einem „Gefühl des ständigen Überwachtwerdens“ ist die Rede, von einer „diffusen Bedrohlichkeit“ und „Vertraulichkeitserwartungen“ der Bürger. Empirische Belege nannten die Verfassungsrichter damals ebenso wenig. Gefühle stehen hier also gegen Gefühle so wie Chancen gegen Risiken. Letztlich ist eine politische Entscheidung, zwischen diesen Chancen und Risiken abzuwägen.

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