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Datenspuren im Netz: Lebensentwürfe in Zeiten von Prism

Der eine gibt im Internet alles preis, Kontostand, Terminkalender, Drogenkonsum. Der andere will gar keine Spuren hinterlassen, er verschlüsselt jede Mail, meidet Facebook. Eine Reportage über zwei Leben im digitalen Zeitalter.

Wer wissen will, wie Max Kamp aussieht, muss ihn treffen. Im ganzen Internet gibt es kein Bild von ihm. Jedenfalls nicht von dem Max Kamp, der angeblich in Berlin lebt. Von dem diese Geschichte handeln soll.

Über Christian Heller weiß man fast alles. Um welche Summe im letzten Monat sein Guthaben auf dem Sparkassenkonto geschrumpft ist (1218,56 Euro), dass er im vergangenen Jahr Pfandflaschen im Wert von 28,84 Euro zurückbrachte, dass er vorigen Freitag ab 14.20 Uhr einen Döner gegessen hat, dazu Schokopudding. Steht alles im Tagebuch auf seiner Homepage, für jeden und jederzeit einsehbar.

Max Kamp und Christian Heller kennen sich nicht. Trotzdem haben sie viel gemeinsam: sind 28, wohnen in Berlin in der Nähe des Volksparks Friedrichshain, ihre Wohnungen liegen keinen Kilometer Luftlinie auseinander. Vor allem aber verfügen sie über erstaunliche Internet-Biografien. Die sich lohnen, genauer betrachtet zu werden, gerade jetzt nach Bekanntwerden von Prism und Tempora, da klar wird, wie groß das Interesse der Geheimdienste ist, auch noch die belangloseste Kommunikation von Privatpersonen im Netz zu erfassen – und wie klein das der Bundesregierung, sich zu empören. Innenminister Friedrich hat gesagt: Die Deutschen sollen ihre Daten doch selbst schützen.

Kann das wirklich die Lösung sein? Und falls ja: Wie viel Aufwand ist nötig und gerechtfertigt? Bei den meisten bleibt vor allem: eine tiefe Verunsicherung.

Max Kamp und Christian Heller haben sich bereits vor Jahren entschieden, wie viele Daten sie online von sich preisgeben wollen: der eine alles, der andere praktisch gar nichts. Während der eine penibel darauf achtet, im Internet möglichst keine Spuren zu hinterlassen, versucht der andere, möglichst keine Frage über sich oder sein Privatleben offenzulassen.

Max Kamp zu treffen, ist kompliziert. Er öffnet Mails nur, wenn sie verschlüsselt sind. Das heißt codiert, damit kein Dritter, der vielleicht heimlich mitliest, sie entziffern könnte. Er wird auch ganz sicher nicht seine Handynummer herausgeben, hat der gemeinsame Bekannte gesagt, der ihn empfahl.

Das Verschlüsseln von Mails klingt machbar. Bis man dann vorm Rechner sitzt und es tatsächlich versucht. Man muss sich mit Dingen vertraut machen, die Namen tragen wie „PGP“ oder „Key Import“ oder „Browser-Extensions“. Über den Bekannten ließ Kamp einen Code übermitteln, der mit „iQEcBAEBAgAGBQJR0xt ZAAoJE“ beginnt und dann noch ewig so weitergeht. Diese Buchstabenkombination müsste in das Feld des Verschlüsselungsprogramms kopiert werden, aber in welches? Und weshalb führt sich dieser Max Kamp so auf, als besitze er geheime CIA-Dokumente – wo er doch bloß ein gewöhnlicher Student ist, den man auf einen Kaffee einladen und nach seinen Erfahrungen im Internet befragen möchte?

Er sieht nicht aus wie eine Rampensau

Bei Christian Heller läuft es anders. Mail hin, Mail her, schon steht der Termin, Dienstagnachmittag zu Hause bei ihm in Friedrichshain. Eine Einzimmerbude im Hinterhaus. Es liegt viel Zeugs rum, Kabel, Bücher, Zeitschriftenstapel, die Jalousien sind runtergezogen und lassen nur Dämmerlicht rein. Es müsste mal gelüftet werden. Christian Heller ist heute Morgen erst um 5.10 Uhr ins Bett gegangen. Hat dann bis 10.45 Uhr geschlafen, anschließend Mails gelesen, gedöst, gearbeitet, im Internet gesurft, Kram organisiert. So steht es im Tagebuch.

Er trägt Bart plus schwarzes T-Shirt plus schwarze Jeans. Zurückhaltend und unauffällig sieht er aus, gar nicht wie eine Rampensau, die große Bühnen sucht, die von allen bestaunt werden möchte. Sein kleines schwarzes Netbook liegt aufgeklappt auf dem Bett. Von dort aus aktualisiert Heller meistens seine Internetseite, sagt er. Mit dem Rücken zur Wand, an ein blaues Stoffkissen gelehnt, die Beine ausgestreckt, gern auch übereinandergeschlagen. Auf der Rückseite des Monitors kleben Aufkleber, die wirken ziemlich abgewetzt. So sieht kein Netbook aus, das bloß ein paarmal am Tag zum Maillesen gebraucht wird.

Christian Heller sagt, es bringe doch sowieso nichts, Daten zu verstecken. Denn selbst verschlüsselte Mails, die nach heutigem Stand absolut sicher erschienen, würden auf ihrer Reise zum Empfänger irgendwo von irgendwem gespeichert. Und die Technik werde sich weiterentwickeln, niemand könne ernsthaft bezweifeln, dass in der Zukunft alle ehemals verborgenen Nachrichten rückwirkend entschlüsselt werden könnten. Auch deswegen hat sich Heller für den radikalstmöglichen, entgegengesetzten Weg entschieden. Auf seiner Seite, sie lautet www.plomlompom.de, kann man sogar nachlesen, welche Bücher und DVDs bei ihm im Wohnzimmer stehen: Er hat die Inhalte sämtlicher Regale katalogisiert und als Listen aufgeschlüsselt. Wer draufklickt, erfährt, dass im ersten Regal auf der rechten Seite Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ direkt neben Machiavellis Hauptwerken steht, Sven Regeners „Herr Lehmann“ jedoch ganz woanders. Wer dann leibhaftig in der Wohnung zu Gast ist und kontrolliert, kann feststellen, dass die Angaben sogar stimmen.

Weniger offensichtlich ist, was das denn soll, diese Datenberge, diese totale Entblößung.

Es ist ein Experiment, sagt er. Eines, das nicht bloß herausfinden soll, ob sein eigenes Leben effizienter funktioniert, wenn er jede Alltagshandlung dokumentiert und am Tagesende jeweils weiß, was er getan hat und was wieder aufgeschoben. Nein, dieses Experiment soll vor allem klären, was genau passiert, wenn man all diese persönlichen Informationen der Allgemeinheit zugänglich macht. Ob jemand die gewonnenen Kenntnisse gegen ihn verwendet. Welche Konsequenzen bedingungslose Offenheit hat.

Nach vier Tagen meldet sich schließlich auch Max Kamp. Er hat tatsächlich eine unverschlüsselte Mail gelesen, geschrieben aus purer Verzweiflung und in einem flehenden Tonfall, dass einem schon der Gedanke peinlich ist, irgendein Geheimdienst dieser Welt könnte heimlich mitlesen. Okay, schreibt Max Kamp zurück, treffen wir uns. Samstagmittag im Café Schönbrunn.

Er ist zwei Meter groß und hat enorm viele buschige, dunkle Haare. Max Kamp wirkt wie Sideshow Bob, der Bösewicht aus der Fernsehserie Simpsons, der immerzu Bart töten will. Bloß in gut aussehend. Er sagt, er studiere Physik in Potsdam. Er bestellt einen Assam-Tee.

Mail-Verschlüsseln kostet Nerven

Ja, das sei der riesige Nachteil, wenn man achtgibt auf seine Daten: Es koste viel Energie und Nerven, zu kommunizieren. Und es könne einen sozial ausschließen. In seinem Austauschjahr im französischen Grenoble hat er nie gewusst, wo abends die Partys stattfanden. Die Termine wurden immer auf Facebook geteilt, und davon hält er sich ebenso fern wie von Xing, linkedin, stay friends oder jedem anderen dieser Netzwerke, in denen man persönliche Daten hinterlässt, am Ende sogar Bilder. Die einzige Feier, auf die Max Kamp im ganzen Jahr ging, war die Abschlussparty, bevor er nach Berlin zurückkehrte.

Man müsse lernen, mit diesem sozialen Ausschluss klarzukommen, sagt er.

Warum tut er sich das an? Weil er nicht wolle, dass die sich ein Bild von ihm machen können.

Die, das seien die Entitäten. Das Wort wird er an diesem Tag noch häufiger gebrauchen.

Wer mit Max Kamp im Café sitzt, begreift rasch, dass dieser Mann kein Freak ist und auch kein Paranoiker. Er glaubt nicht an Verschwörungstheorien, nicht mal an die Illuminaten. Eine Entität, sagt Kamp also, könne zum Beispiel ein Konzern sein, der Informationen über potenzielle Kunden sammelt. Natürlich auch eine staatliche Kontrollbehörde. Im Grunde jeder, der Interesse hat, sich ein Bild von jemand anders zu machen.

Den perfekten Schutz gebe es nicht. Man könne nur versuchen, den Entitäten möglichst viele Stolpersteine in den Weg zu legen, ihnen das Leben schwer zu machen, sagt Kamp. Die Mailverschlüsselung sei so ein Stolperstein. Oder dass mehrere Menschen dieselbe Mailadresse benutzten. Oder dass ein einziger Mensch viele verschiedene Mailadressen benutzt, genau so mache er es. Alles helfe, was anderen erschwere, aus vielen Mosaiksteinen ein ganzheitliches Bild einer Person zusammenzusetzen.

Max Kamp hat auch nichts dagegen, dass der komplett in der Zeitung abgedruckt wird. Bloß für die Online-Ausgabe bitte mit einem anderen Nachnamen, sagt er (In dieser Version ist der Name bereits geändert). Seine Eltern haben sich bislang geweigert, ihre Mails zu verschlüsseln. Spätestens seit Prism sind sie aber bereit für das Programm. Beim nächsten Besuch wird er es ihnen installieren, so ist es ausgemacht.

Kamp erinnert sich, wie er in den späten 90er Jahren, da war er 14, zum ersten Mal davon hörte, dass es für Daten eine Größeneinheit namens Gigabyte gibt. Sein Kumpel sei dann ins Internet gegangen – damals hat das Einwählen noch ewig gedauert, und schrecklich gepiepst hat das Gerät auch – und habe nur aus Spaß in einem Forum nachgeschaut, was denn die größte theoretische Einheit sei, bei der sich Informatiker überhaupt die Mühe machen, ihr einen Namen zu geben. Er fand die Bezeichnung Yottabyte, das wäre eine 1 mit 24 Nullen. Vollkommen absurd, dachte er sich. Im Zuge des Prism-Skandals hat er neulich erfahren, wie viel Datenspeicher das neue Zentrum des US-Geheimdienstes NSA haben soll: genau ein Yottabyte.

Wenn man Christian Heller von Max Kamp und dessen Vorsichtsmaßnahmen erzählt, blickt er ein bisschen mitleidig. Weil der Aufwand, den Kamp betreibt, eben nicht nur potenziellen Datenschnüfflern das Leben erschwere, sondern auch ihm selbst. Weil es das Internet, diese Möglichkeiten-Maschine, gleich sehr viel unergiebiger und unattraktiver mache.

Die Mutter liest vom LSD-Konsum

Zugegeben, sagt Heller, sein akkurates Tagebuch bringe auch Nachteile mit sich. Da ist nicht nur die Zeit, die für Einträge draufgeht. Weil er seinen Terminkalender ständig aktuell hält, weiß auch jeder, der ihn liest, wann Heller sich in seiner Wohnung aufhält und somit erreichbar ist. Die Freundin, die Familie, die Bekannten. Heller kann nie untertauchen.

Er kann auch nicht verhindern, dass seine Mutter nachliest, wann er das letzte Mal LSD ausprobiert hat (1. Juni, 14.15 Uhr). Manchmal möchte sie dann mit ihm am Telefon darüber sprechen, aber mehr will er darüber nicht erzählen, denn genau hier ist für ihn die Grenze erreicht: Informationen über Dritte hält er zurück, es sei denn, sie geben ihm ausdrücklich die Erlaubnis. Jeder müsse selbst entscheiden, wie viel Datenschutz er brauche. Gibt es weitere Grenzen? Schon, zum Beispiel trage er ins Tagebuch „nicht alle Masturbations-Einheiten ein“. Allerdings auch deshalb, weil er meistens danach einschlafe, da sei er zu faul zum Eintippen. Er sagt das ohne Schmunzeln. Er meint das ernst.

Wie also ist das nun mit dem Experiment, gibt es eine Zwischenbilanz? Hat jemand die vielen Informationen im Tagebuch gegen ihn verwendet – welche Konsequenzen hat totale Entblößung?

Es sei erstaunlich, sagt Christian Heller. Die Konsequenzen seien bisher einfach ausgeblieben. Totalausfall. Na da. Da war kein geschriebener Satz, keine veröffentlichte Zahl, die er bereuen musste. Kein Unternehmen, das ihn mit genau der Werbung bombardiert hätte, die auf ihn zugeschneidert wäre. Keiner, der ihn wegen seines Kontostands oder wegen der gesammelten Pfandflaschen gehänselt habe.

Allerdings hat sich Heller auch noch nie um eine Stelle beworben, bei der ein Personalentscheider vorab hätte nachschauen können, wie es denn um seinen Kontostand aussieht oder den Drogenkonsum.

Stopp, Christian Heller fällt doch etwas ein. Einmal haben Unbekannte Daten auf seiner Webseite benutzt, um ihn bei den Zeugen Jehovas anzumelden. Die Armen standen dann mehrfach vor seiner Tür, weil sie dachten, er wolle Mitglied werden. Ein blöder Streich, sagt er. Das hätte jedem passieren können.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels war zu lesen, Christian Heller habe auf seiner Homepage einen Kontostand von -1218,56 Euro angegeben. Tatsächlich gibt er an, dass sich das Guthaben auf seinem Konto im vergangenen Monat um 1218,56 Euro verringert habe. Das Missverständnis entstand durch die Verwendung des Begriffs "Bilanz" auf der Reportage-Seite.

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