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Politik: DDR: Hiebe auf die Seele

Eine "kommode Diktatur" nannte der Literaturnobelpreisträger Günter Grass die DDR. Sicher, verglichen mit dem Schreckensregiment ihrer kommunistischen Gesinnungsgenossen Stalin, Mao, Pol Pot oder Kim II Sung gingen Ulbricht und Honecker fast schon zimperlich zu Werke.

Eine "kommode Diktatur" nannte der Literaturnobelpreisträger Günter Grass die DDR. Sicher, verglichen mit dem Schreckensregiment ihrer kommunistischen Gesinnungsgenossen Stalin, Mao, Pol Pot oder Kim II Sung gingen Ulbricht und Honecker fast schon zimperlich zu Werke. Das Böse in der Gestalt der Staatssicherheitsbeamten kam - im Unterschied zu den Massenmördern des Dritten Reiches - eher banal daher. Geheime kleine bis sehr große Gemeinheiten gegen die politisch Verfolgten lösten in der Ära Honecker zudem den Terror des Genickschusses in der stalinistischen Anfangsphase der DDR ab. Weniger gemütlich als aus dem Blickwinkel des westlichen Schriftstellerschreibtischs war die DDR für ihre politisch Verfolgten jedoch allemal.

Die umfangreiche Berücksichtigung der Opferperspektive ist die Stärke von Johannes Raschkas Buch. 576 ehemals von der Stasi Drangsalierte beantworteten seinen - in dem Buch leider nicht abgedruckten - Fragebogen, mit 24 von ihnen führte er Gespräche. Zudem fließen die von Verfolgten zur Verfügung gestellten Akten der Staatssicherheit sowie von Haftanstalten in die Untersuchung ein. Im Dokumentationsteil, der mehr als die Hälfte des Buches umfasst, präsentiert Raschka Auszüge aus den Interviews mit politisch Verfolgten und aus den Akten der Verfolger.

Auf der Grundlage der Dokumente beschreibt Raschka die Wirkungsweise der Methoden der Staatssicherheit von der Bespitzelung über die "Zersetzung" bis hin zur Inhaftierung. Besonders perfide sind die "Zersetzungsmaßnahmen", die von der Erzeugung von Misstrauen innerhalb einer Gruppe über die Diskreditierung des öffentlichen Rufs bis hin zur systematischen Organisation beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge reichten. Bei allem Eifer, den die Staatssicherheit bei der Verfolgung ihrer Opfer an den Tag legte, warnt der Verfasser vor ihrer Mystifizierung als "monolitische, ständig effizient arbeitende Repressionsmaschine". Bei als unwichtig eingestuften Fällen habe die Staatssicherheit vielfach geradezu "schlampig" gearbeitet. Ein Beispiel dafür ist jener Beamte, der einen Brief seines Opfers kontrollierte und diesen dann samt einer vergessenen Notiz darüber, welche Stasi-Dienststellen Kopien von dem Brief bekommen sollten, an den Adressaten weiterschickte. Ein anderes Mal fand der Empfänger statt des Originalbriefs eine Kopie mit dem Stempel der Staatssicherheit im Umschlag. Das Böse war manchmal offenbar auch etwas debil.

Das Dilemma der Staatssicherheit in der DDR arbeitet Raschka recht gut heraus: "Inoffizielle Beweismittel" gewann sie mittels konspirativer Methoden, mit diesen ließ sich vor Gericht jedoch keine Anklage untermauern. Der Grund war keineswegs rechtsstaatliche Zimperlichkeit, vielmehr fürchtete das MfS die Aufdeckung von Mitarbeitern. Bei der Umwandlung "inoffizieller" Beweise in "offizielle" war die Staatssicherheit daher erfinderisch. Ein abgefangener Brief, der "staatsfeindliche Hetze" enthielt, "legalisierte" das MfS, in dem es die Anschrift unleserlich machte. Die Post bekam den Brief zurück und durfte ihn, da er nun als "unzustellbar" galt, öffnen. Wegen der verfänglichen Passagen ging die Sendung nun an die Stasi weiter.

Meist war das MfS allerdings darauf angewiesen, während der Ermittlungsverfahren Geständnisse aus den Verfolgten herauszupressen. Raschka schildert das gesamte Schreckenskabinett Erich Mielkes von der Isolation der Untersuchungshäftlinge über ihre systematische Desinformation bis hin zu ihrer Zermürbung etwa durch Schlafentzug. Statt Schlägen auf den Körper setzte es Hiebe auf die Seele. So gehörte die angedrohte Verhaftung von Familienangehörigen oder der Heimeinweisung der Kinder zu den Ritualen der Vernehmer.

Raschka spielt den Trumpf des aussagekräftigen und spannenden Quellenmaterials. Fast könnte der Leser daher darüber hinwegschauen, dass der Autor zwar von den "Repressionen im Vorfeld von Verhaftungen" bis zu den "Repressionen nach der Haftentlassung" umfangreich berichtet, aber wenig Anstrengungen zur Analyse des Materials unternimmt. Wer auf der Suche nach einem detailreichen Gesamtbild der politischen Verfolgung in der Ära Honecker in abgestuften Grautönen ist, macht mit diesem Buch jedenfalls keinen Fehlgriff.

Steffen Kailitz

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