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Gefasst. Das Zerknirschte in seinem Ausdruck, dieser Anflug von Unsicherheit, den man noch vor zwei Monaten an Thomas de Maizière beobachten konnte – das alles ist verschwunden.

© REUTERS

De Maizière zu Euro-Hawk-Affäre: Der Neinsager im Untersuchungsausschuss

Thomas de Maizière sagt zu seinem Verhalten in der Drohnen-Affäre aus. Der Verteidigungsminister kann nicht erkennen, Fehler gemacht zu haben.

Von Antje Sirleschtov

„Nein.“ Ganze vier Buchstaben hat dieses Wörtchen und kann in seiner Wirkung doch so mächtig sein. „Nein“ meint eben nicht „vielleicht“, es öffnet keine Möglichkeiten. Es liegt etwas Klares in diesem Wort, aber auch etwas Trotziges. Etwas Abschließendes auf jeden Fall. Wer „Nein“ sagt, der will sich mit der Angelegenheit nicht mehr beschäftigen.

Thomas de Maizière benutzt das kleine scharfe Wörtchen an diesem Mittwoch oft. „Es ärgert mich ziemlich“, hatte er am 5. Juni gesagt und ein bisschen widerwillig angefügt, was jeder, der ihn kennt, bereits ahnte: Ihm, ausgerechnet ihm, dem preußischsten und korrektesten aller Politiker, musste so ein Fehler passieren. Damals war die Sache noch frisch, de Maizière noch sichtlich getroffen von der Wucht, mit der seine Fehler das Licht der Öffentlichkeit erreicht hatten.

Jetzt ist der Mann wieder gefasst. Das Zerknirschte in seinem Ausdruck, der Anflug der Unsicherheit, den man noch vor zwei Monaten an ihm beobachten konnte, das alles ist verschwunden. „Nein“, sagt dieser Mann jetzt mit fester Stimme. Als habe er es einfach abgeschnitten, das Schlechte und Faulige.

Knapp 600 Millionen Euro flossen schon in das Projekt "Euro Hawk"

Seit mehr als zehn Jahren weiß die Bundeswehr, dass sie dringend ein Fluggerät benötigt, um Einsatzgebiete aus großer Höhe erkunden zu können. Es ist eine Frage der Sicherheit für die Soldaten. Seit Jahren wird dafür ein unbemanntes Aufklärungsgerät entwickelt, eine Drohne namens „Euro Hawk“. Es sind schon knapp 600 Millionen Euro dafür ausgegeben worden. Und trotzdem stehen die Soldaten mit leeren Händen da. Denn am 13. Mai hat das Verteidigungsministerium das Projekt gestoppt. Und Thomas de Maizière, der verantwortliche Minister, hat davon erst erfahren, als alles schon entschieden war. Das steht fest.

An diesem Mittwochmorgen betritt de Maizière den Raum 4.900 im Bundestag mit einem Mäppchen in der Hand und mit erhobenem Kopf. Die Abgeordneten des Bundestages werfen ihm vor, er habe sich zu wenig um den „Euro Hawk“ gekümmert, das wichtige Rüstungsvorhaben nicht ernst genug genommen und schließlich mehr als eine halbe Milliarde Euro Steuergeld verschleudert, ohne dass die Bundeswehr die dringend benötigte Aufklärungsausrüstung bekommen hat. Es ist der letzte Tag der Zeugenbefragung im Untersuchungsausschuss „Euro Hawk“. Zwei Wochen lang wurden Soldaten, Ex-Minister, Beamte, Vertreter der Industrie und Staatssekretäre nach ihrem Wissen und ihrer Bewertung der Affäre befragt. Nun soll sich der Minister de Maizière äußern. Man könnte angesichts der Dimension des Debakels ein Wort des Bedauerns, eine Entschuldigung oder wenigstens das Eingeständnis von Fehlern dieses Ministers erwarten.

Doch Thomas de Maizière sitzt Stunde um Stunde auf seinem schwarzen Ledersessel, richtet ein ums andere Mal die vor ihm liegenden Papiere sorgsam parallel zur Tischkante aus, wischt einen Wasserfleck vor sich weg und sagt immer wieder dieses harte „Nein“.

Nein, er sah keinerlei Veranlassung, das Projekt „Euro Hawk“ zur Chefsache zu machen, als er 2011 Minister wurde. Zwar sei er rasch nach Amtsantritt von seinen Mitarbeitern darauf hingewiesen worden, dass es Schwierigkeiten gebe, die in den USA entwickelte Drohne für den Flugbetrieb in Deutschland zuzulassen, sagt der Minister. Einen Grund dafür, die Sache klären zu lassen, sah er aber nicht. „Wenn ich den Eindruck habe, dass an einer Lösung von Problemen gearbeitet wird, muss ich nicht nachfragen.“ Er „setze auf die fachliche Arbeit meines Hauses“.

Staatssekretär Beemelmans habe die Beendigung des Projekts beschlossen

Nein, der Verteidigungsminister will sich auch nicht anrechnen lassen, viel Geld für nichts ausgegeben zu haben. Als er Minister wurde, sei bereits mehr als 85 Prozent des Geldes weg gewesen, „565 Millionen Euro“, um es korrekt zu sagen, und „damals waren der Leitung (des Ministeriums) keine Probleme bekannt“. Er, de Maizière, habe sogar dazu beigetragen, dass „zusätzlicher Schaden verhindert“ wurde. Denn ein Teil des „Euro Hawk“, das Aufklärungsgerät „Isis“, wird nun noch bis Ende September in einem Prototyp getestet, damit man es später irgendwann einmal in ein anderes Flugzeug schrauben kann.

Und nein, er hat auch für die Zeit nach dem 13. Mai, als das ganze Debakel bekannt geworden war, keinerlei Fehler einzugestehen. Dass er am 5. Juni dem Bundestag und auch der Öffentlichkeit erklärt hatte, er habe von den Problemen des „Euro Hawk“ nur einmal, im März 2012 und dann erst wieder im Mai 2013 erfahren, als sein Staatssekretär Stephane Beemelmans ihm die Entscheidung zur Beendigung des Projektes vorgelegt und um Billigung gebeten habe – ein „unzutreffender Eindruck“, der in der Öffentlichkeit entstanden sei, nennt das der Minister nun. Nur das „bedauert“ er. Gerade so, als habe nicht er selbst seinerzeit vor den Abgeordneten und Journalisten davon gesprochen, sondern als ob die ihre eigene Bewertung zum Maßstab der Dinge erklärt hätten.

Das Motto der letzten zehn Jahre: "Wir wollen die Drohne, koste es, was es wolle."

Und auch später, als reihenweise Dokumente in den Zeitungen auftauchten, die beweisen, dass der Minister eben doch immer wieder Kenntnis davon bekommen haben musste, dass der „Euro Hawk“ womöglich nie wird fliegen können, und er sich dann darauf hinausgeredet hat, das alles sei ihm immer als „lösbar“ vorgetragen worden. Ein Versäumnis des Ministers? Eine „Lüge“ gar, wie es die SPD bewertet? Aber nein! Heute listet der Minister reihenweise Dokumente auf, die in „Anlagen“, wie er es nennt, auf die größer werdenden Probleme hingewiesen haben.

Aber die Fehler, das aufziehende Unheil des „Euro Hawk“-Problems nicht erkannt zu haben, lagen nicht bei Thomas de Maizière, sondern bei seinen Mitarbeitern. Die würden „sich manchmal selbst entlasten“, sagt er, indem sie ihm „eine Info in die Mappe legen“. Oft werde er mit Informationen überschüttet, könne gar nicht alles lesen. Eine „Entscheidungsvorlage“, also ein Dokument, in dem steht, dass der Laden bereits lichterloh brennt und dass der Minister nun den Einsatz von Feuerlöschern befehlen müsse, ein solches Dokument habe er nicht bekommen, sagt de Maizière und weist als „Unterstellung“ scharf zurück, er habe irgendwann einmal im Verfahren gelogen. Nein, ein Thomas de Maizière lügt nicht.

Viel wichtiger aber ist das letzte „Nein“ des Politikers Thomas de Maizière in dieser Sache. Er sagt es an diesem Mittwoch im Ausschuss nur ganz leise. Vielleicht ist ja der Prozess des Abspaltens noch nicht ganz abgeschlossen. Letzte Reste eines schlechten Gewissens bei einem, der sich selbst nicht gestatten will, einen Fehler gemacht zu haben? „Nein“, sagt de Maizière, er habe der Bundeskanzlerin seinen Rücktritt nicht angeboten. Er will weitermachen. Bald sind Bundestagswahlen, Zäsuren im politischen Alltag, die Vergangenes schon öfter vergessen gemacht haben. Er setzt darauf.

"Die Probleme mit dem Euro Hawk wurden immer nur kleingeredet"

Und womöglich ist es ja auch gar nicht so schlecht, wenn einer den Schlamassel aufräumen muss, in den er gestrauchelt ist und dabei beinahe auf die Nase gefallen wäre. Und das muss man diesem Politiker de Maizière am Ende des Drohnen-Untersuchungsausschusses zugutehalten: Er hat erkannt, warum zehn Jahre lang Millionen in ein wichtiges Rüstungsprojekt investiert wurden und am Ende nichts dabei herausgekommen ist: „Die Probleme sind immer nur kleingeredet worden und der Geldhahn wurde aufgedreht.“

Zu Deutsch: Seit einem Jahrzehnt haben Ministerium, Bundeswehr und Ämter nach dem Motto gehandelt: Wir wollen die Drohne, koste es, was es wolle. Dass man schon zu Beginn wusste, dass zur Zulassung so eines unbemannten Fluggerätes in ganz Europa keine passenden Vorschriften vorhanden waren: Die Verantwortlichen haben das wohl erkannt, aber gehofft, es werde sich irgendwie eine Lösung finden. Dass die Amerikaner der Bundeswehr mit dem „Euro Hawk“ eine Drohne verkauft haben und versprachen, deren Betriebskosten seien niedrig, weil das Gerät auch in den USA fliege und zwischenzeitlich ihren eigenen Hawk als altertümlichen Schrott ausgemustert haben? Bei den Ingenieuren und Beamten im Verteidigungsministerium hat das die Euphorie nicht schmälern können. „Geburtsfehler“, nennt das der Minister und wirft all seinen Vorgängern vor: „Die Schwierigkeiten hätten früher gesehen werden können und müssen.“ Die Probleme wurden schlicht „unterschätzt“.

Und nun? Thomas de Maizière hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die Zulassungsprobleme in Deutschland, nicht nur für Drohnen, grundsätzlich auflösen soll, eine europäische Harmonisierung der entsprechenden Standards angestoßen und festgelegt, dass in Zukunft jeder Verteidigungsminister regelmäßig über den Stand der Abarbeitung aller großen Rüstungsvorhaben unterrichtet wird. Nicht erst, wenn ihm Übles schwant, sondern ohne Aufforderung.

Vielleicht gewinnt ja Angela Merkel mit ihrer Union die Bundestagswahl Ende September und de Maizière bleibt Verteidigungsminister. Er jedenfalls will den Job behalten, will beweisen, dass er dieses gewaltige Ministerium in den Griff bekommen und „ernten“ kann, was er „gesät“ hat.

Rainer Arnold fordert den Rücktritt des Verteidigungsministers

Die Opposition jedenfalls sah man an diesem Mittwoch mit hängenden Schultern am Brötchenstand vor dem Sitzungssaal 4.900 herumstehen. Mehrmals hatten Rainer Arnold von der SPD und auch die Abgeordneten der Grünen und Linkspartei versucht, den Minister anhand von Dokumenten der „Lüge“ zu überführen. Und irgendwie ist es ihnen sogar gelungen. Schließlich weiß jeder, der sich mit der Affäre beschäftigt hat, dass diesem Verteidigungsminister das brisante Rüstungsvorhaben einfach durch die Lappen gegangen ist.

Aber was hilft dem Jäger die Erkenntnis, dass das Wild angeschossen ist, wenn es auf und davon rennt? Rainer Arnold jedenfalls steht am Ende dieses letzten Tages im Untersuchungsausschuss vor den Kameras und fordert trotzig, der Minister könne nach all dem, was geschehen ist, nicht Minister bleiben. Und dann müssen alle los. Schließlich ist Wahlkampf, und das ist jetzt wichtiger.

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