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Heikles Thema. Gesundheitsminister Jens Spahn macht sich bei Organspenden für eine Widerspruchsregelung stark.

© Christian Spicker / imago

Debatte im Bundestag: Mehrheit der Abgeordneten gegen Widerspruchsregelung bei Organspende

Soll künftig jeder als Organspender gelten, der dem nicht ausdrücklich widerspricht? Im Bundestag wird darüber erstmals diskutiert - und viele warnen.

Diese Bundestagsdebatte war ungewöhnlich – sogar im Vergleich zu bisherigen Ethik-Disputen ohne Fraktionszwang, die im Nachhinein gern als Sternstunden des Parlaments bezeichnet werden. „Orientierung“ lautete ihr Motto für satte zweieinhalb Stunden. Dabei ging es um die Frage, wie sich die erschreckend niedrige Zahl der Organspenden in diesem Land erhöhen lässt. Und ob es nicht hilfreich wäre, künftig einfach jeden Bürger zum Organspender zu erklären, der dem nicht ausdrücklich widersprochen hat.

Entschieden werden soll darüber erst Mitte 2019. Aber auf der Tagesordnung stand das Thema schon jetzt - obwohl dazu bislang noch kein einziger Antrag formuliert ist und so gut wie keine Grüppchenbildung stattgefunden hat. Das gibt es nicht oft im Bundestag. Und weil so etwas leicht ausufern kann, war das Reglement besonders streng. Vier Minuten pro Redner, keine Zwischenfragen. Etliche waren das nicht gewohnt, schafften es kaum, ihre Statements zu Ende zu bringen. Doch immerhin: 38 der 709 Abgeordnete kamen dank dieser straffen Zeitvorgabe schon mal zu Wort.

Minister Spahn positioniert sich nur vorsichtig

Nimmt man ihre Beiträge als Gradmesser für die Stimmungslage, dann sieht es nicht gut aus für die Idee der sogenannten Widerspruchsregelung, mit der Gesundheitsminister Jens Spahn vor Kurzem vorgeprescht war. In der ersten Debattenstunde plädierten grade mal drei Redner dafür: Spahn selber, der SPD-Experte Karl Lauterbach und die Linken-Abgeordnete Petra Sitte. Wobei sich auch der Minister betont zurückhaltend positionierte. Er sei erst „nach langem Nachdenken“ und wegen der abgesackten Spenderzahlen zu seiner Forderung gelangt, bekannte er. Angehörige könnten einer Organentnahme auch nach diesem Modell noch widersprechen. Und es gebe „gewichtige Argumente auf beiden Seiten“.

Das Hauptargument der Änderungsbefürworter ist das Leid derer, die auf Spenderorgane warten. Mehr als 10.000 seien es, sagte Lauterbach. Jeder Fünfte sterbe auf der Warteliste, weil es zu wenig Spenden gebe. Ein Gesetzgeber, der hier das Optimum zu erreichen versuche, handle „ethisch richtig“. Bei einer Widerspruchsregelung werde keiner zur Organspende gezwungen, aber jeder habe sich mit dem Thema zu beschäftigen. Das sei „nicht zu viel verlangt“.

So sieht das auch der Minister. Eine Entscheidung sei jedem Bürger zumutbar, findet er. „Das einzige Recht, das damit beschnitten würde, wäre das Recht, sich keine Gedanken zu machen.“ Mehr als 80 Prozent der Bürger bewerteten Organspenden positiv, ergänzte die Linken-Politikerin Sitte. Es sei berechtigt, mit einer Gesetzesänderung „an dieser Mehrheit anzuknüpfen“. Der Staat habe auch eine Schutzaufgabe für Menschen, die Spenderorgane benötigten.

Missachtung des Selbstbestimmungsrechtes?

Die meisten anderen Abgeordneten aber äußerten Bedenken – manche auch sehr massiv. Die Widerspruchslösung missachte das Selbstbestimmungsrecht, warnte etwa die FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus. Es sei „absurd“, einerseits per Datenschutzverordnung jede Veröffentlichung ohne schriftliche Einwilligung zu untersagen und andererseits bei derart schwerwiegenden Eingriffen ein Schweigen als Zustimmung zu werten.

Dem deutschen Recht sei es "fremd, Schweigen als Zustimmung zu werten", assistierte ihr Parteifreund Wolfgang Kubicki. Axel Gehrke, gesundheitspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion und Kardiologe von Beruf, warnte davor, dass sich eine Widerspruchsregelung "nie aus dem Verdacht der Begehrlichkeiten Dritter“ befreien könne. Und auch Spahns Vorgänger Hermann Gröhe ging auf Distanz. Die angedachte Änderung stehe im Widerspruch zu allen Prinzipien von Medizinethik und Patientenrechten, mahnte der CDU-Politiker. Organspenden seien ein „Geschenk aus Liebe zum Leben“. Sie setzten Freiwilligkeit voraus, dabei müsse es bleiben.

Bedenken kamen auch von Abgeordneten, die sich selber zum Besitz von Organspendeausweisen bekannten – wie Katja Kipping (Linke), Kerstin Griese (SPD) oder Kirsten Kappert-Gonther (Grüne). Sie warnten davor, aus der Spende eine unfreiwillige „Abgabe“ zu machen und durch den damit verbundenen Vertrauensverlust womöglich das Gegenteil des Gewollten zu erreichen. In Frankreich zum Beispiel sei die Spendenzahl nach Einführung der Widerspruchslösung gesunken, sagte Kappert-Gonther. Und beim "Spenden-Weltmeister" Spanien sei sie auch nicht durch diese Regelung nach oben gegangen, sondern erst, als dort begonnen wurde, systematisch die Organspende-Strukturen zu verbessern.

Kompromissvorschlag: Verbindliche Abfragen im Bürgeramt

Das sei hierzulande ebenfalls nötig, verlangten viele, denen eine Widerspruchsregelung zu weit geht. Zwar lobten sie Spahns neues Gesetz, das den Krankenhäusern mehr Geld und mehr Ressourcen zubilligt, um potenzielle Spender zu identifizieren. Doch es müsse noch mehr kommen. Ein Kompromissvorschlag aus der Feder von Linken-Chefin Kipping und der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock lautet deshalb: Bei jeder Beantragung eines Führerscheins oder Personalausweises soll es künftig auch eine verbindliche Abfrage nach der Organspendebereitschaft geben. Mit dazugehöriger Speicherung in ein Register. Allerdings: Wer sich nicht entscheiden möchte, müsse das auch dort nicht tun.

Sie wolle nicht, "dass alles bleibt wie es ist und vielleicht ein paar Broschüren mehr verteilt werden", stellte Griese klar. Schließlich seien sich alle einig, dass es mehr Organspenden brauche. Bis auf einen: Der AfD-Politiker Paul Viktor Podolay äußerte die skurrile Ansicht, dass es schon jetzt zu viele Transplantationen gebe - und rechnete vor, was das die Beitragszahler koste. Es sei besser, sagte er, die Prävention zu intensivieren, als "sich erst die Gesundheit zu ruinieren und dann auf Organspenden zu hoffen“.

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