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Blick in den Plenarsaal des Bundestages in Berlin.

© dpa/Rainer Jensen

Update

Debatte im Bundestag nach Clausnitz und Bautzen: "Immer wieder Sachsen"

Die fremdenfeindlichen Vorkommnisse in Clausnitz und Bautzen haben nicht nur in Deutschland Entsetzen und Empörung ausgelöst. Am Mittwoch befasste sich der Bundestag mit diesem Thema.

Von Matthias Schlegel

Eine Stunde hatte sich der Bundestag am Mittwoch als Zeitrahmen gesetzt: Die fremdenfeindlichen Pöbeleien bei der Ankunft von Flüchtlingen in Clausnitz und der Brandanschlag auf eine geplante Asylbewerberunterkunft in Bautzen hatten schon vor Beginn der Debatte die Emotionen hoch schlagen lassen. Die Reaktionen bewegten sich zwischen Unverständnis, blankem Entsetzen und Schuldzuweisungen an die derzeitige Landesregierungen und die Vorgängerkabinette. Wenig aber sagten sie aus über die möglichen Ursachen und geeignete Strategien, mit denen solche Vorfälle künftig verhindert werden können. Stark kritisiert wurde von Linken und Grünen, dass kein Minister der Bundesregierung an der Debatte teilnahm. Am Ende waren es anderthalb Stunden, die die Debatte im Parlament dauerte. Aber dass sie Deutschland im Umgang mit fremdenfeindlichen Attacken weiterbringt, war kaum zu erkennen.

"Dumpf und zynisch": Der Unionsabgeordnete Günter Krings spricht davon, dass solche Menschenverachtung, wie sie in Clausnitz und Bautzen und anderswo vorkomme, nur auf das Schärfste verurteilt werden könne. Dies werde nicht zugelassen, egal, ob den betroffenen Flüchtlingen der dauerhafte Schutz der Bundesrepublik zustehe oder nicht. Nichts sei so falsch wie der dort vorgebrachte verlogene Schlachtruf "Wir sind das Volk". "Dumpf und zynisch" würden damit die Werte der friedlichen Revolution mit Füßen getreten. Diese Menschen bildeten genau das, was sie selbst ablehnten: eine Parallelgesellschaft in unserem Land. Denen, die den Kopf für den Schutz der Flüchtlinge hinhielten, müsse hingegen der Rücken gestärkt werden. Er warnte davor, aus einer 90 Sekunden währenden Videosequenz das Geschehen beurteilen zu wollen.

Brand in der geplanten Flüchtlingsunterkunft in Bautzen in der Nacht zu Sonntag.
Brand in der geplanten Flüchtlingsunterkunft in Bautzen in der Nacht zu Sonntag.

© Rico Löb/dpa

Eine Kurzintervention schiebt Britta Haßelmann (Grüne) ein: Sie fordert, dass von dieser vereinbarten Debatte "ein starkes Signal" ausgehen müsse. Die Gemeinsamkeiten der Demokraten müssten gestärkt werden. Sie finde es ein "Unding", dass kein einziger Minister an der Debatte teilnehme.

"Es muss eine Regierungserklärung geben": Der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch äußerte die Erwartung, dass die Bundeskanzlerin eine Regierungserklärung zu den fremdenfeindlichen Vorfällen in Deutschland geben müsse. Bartsch sagte, es sei "kein Zufall, dass dies alles in Sachsen geschieht". Und zu Krings gewandt, der die Polizei in Sachsen verteidigt hatte: Traumatisierte Flüchtlingskinder müsse man in den Arm und nicht in den Würgegriff nehmen.

"Immer wieder Sachsen": Es sei kein Zufall, dass die Landkarte von Dunkeldeutschland gerade in Sachsen so viele Schandflecke habe, sagte Uli Grötsch (SPD). Es sei ein Resultat der jahrelangen Nachlässigkeit im Umgang mit der Gefahr von Rechts. "Was sind das für Menschen, die vor brennenden Unterkünften jubeln", fragte Grötsch - und er stimmte der Bezeichnung von

"Wir müssen diesen Menschen Sicherheit bieten": Genau dabei hätten die Behörden in Sachsen versagt, beklagte Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen. "Das darf sich nicht wiederholen. Nirgendwo." Es sei eine Schande für unser Land. Die Vorfälle verdeutlichten, dass wir nicht nur ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit, sondern auch mit den Sicherheitsbehörden hätten. Es handle sich hier um einen "Fall von institutionellem Rassismus". Dafür trage die sächsische Landesregierung, trage die sächsische CDU eine Mitschuld. Wie Bartsch sprach auch Hofreiter von einem "25-jährigen Wegschauen". Wenn Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) bei der Erklärung der Vorfälle auf Ereignisse wie den Protest gegen "Stuttgart 21" verweise, deute das auf die verfehlte Sicht auf die Dinge hin. Rassismus entstehe nicht aus dem Nichts. Wer Hysterie schüre, Ressentiments pflege, bereite solchen Vorkommnissen den Boden. "Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen", sagte er.

"Für uns alle unerträglich": Der sächsische Bundestagsabgeordnete Günter Baumann (CDU) verwahrte sich gegen einen "Frontalangriff gegen alle Sachsen". "Wir sind stolz auf unser weltoffenes Sachsen", sagte er. Bei Wirtschaft, Tourismus und Kultur stehe das Land gut da, das könnten auch keine Menschen zunichte machen, die mit fremdenfeindliche Parolen auf die Straße gingen. "Als Bürger Sachsens möchte ich mich für die pöbelnden Menschen entschuldigen." Es werde mit Recht die Frage gestellt, warum es in Sachsen mehr Vorfälle dieser Art als anderswo geben. Dies müsse genau untersucht werde. Er stellte die Frage, ob die vorhandenen Programme gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass effektiv verwendet würden oder ob es zu wenig seien. Bevor Asylbewerber kämen, müsse vorher ausführlich mit den Anwohner gesprochen werden. "Sachsen ist nicht rechtsradikal und nicht ausländerfeindlich", sagte er. Ursachenforschung in Bezug auf die Vorfälle sei gleichwohl unabdingbar.

"Das sind keine Einzelfälle": Caren Lay, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, sagte, an Baumann gewandt: "Wenn Sie von Einzelfällen sprechen, haben sie den Schuss wirklich nicht gehört." "In Sachsen herrscht eine Pogromstimmung gegen Flüchtlinge. Das sage nicht ich, sondern der Polizeipräsident von Leipzig", betonte sie. Da will ich von den 26 Angriffen auf mein Bürgerbüro gar nicht reden. Solange Tillich an der Spitze von Sachsen stehe, werde das Land das Problem nicht los werden, sagte Lay. Es gebe ein weltoffenes Sachsen, aber die CDU gehöre nicht dazu, sagte Lay.

"Ehrenamtliche brauchen Anerkennung": Die SPD-Abgeordnete Susanne Rüthrich machte in ihrer Rede auf jene Bündnisse und Netzwerke in Sachsen aufmerksam, die unermüdlich gegen Rassismus, Fremdenhass und rechte Gewalt mobil machen. Von denen sei nicht zu hören: "Grenzen dicht". Aber sie bräuchten Anerkennung - von der Bürgermeisterin bis zum Ministerpräsidenten. Ihnen müsse der Rücken gestärkt werden. Es brauche auch Zeit und Geld für gesellschaftliche Bildung. Es könne nicht sein, dass Ehrenamtliche immer noch draufzahlten. "Ihr Pöbler seid nicht Sachsen, Ihr seid nicht das Volk. Ihr werdet die demokratische Gesellschaft nicht verhindern", sage sie.

"Ein bundesweites Problem": Die sächsischen Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Grüne) warf der CDU Realitätsferne vor. Auch sie nannte Tillichs Vergleichs mit "Stuttgart 21" "Verharmlosung". Es fehle immer noch eine "klare Haltung" des Regierungschefs. Zugleich sei es ein Fehler, diese Vorkommnisse allein als sächsisches Problem zu betrachten. Die AfD erhalte auch bundesweit hohe Zustimmung.

"Brauchen handlungsfähige Polizei": Ebenfalls aus Sachsen kommt Marian Wendt, der Bundestagsabgeordnete gehört der CDU an. Endlich gebe es einen breiten Konsens der Rechtsstaat brauche eine handlungskräftige Polizei, der den Rechtsstaat dort beschützen müsse, wo er bedroht sei, sagte er. Die Pauschalisierungen, dass Sachsen ein Staat der Nazis sei, hätten "alle Sachsen getroffen". Eine kleine Minderheit beschädige den guten Ruf dieses schönen Landes.

"Sächsische Realität": Der Linken-Politiker Michael Leutert sagte, solche fremdenfeindlichen Vorfälle seien "sächsische Realität". Er berichtete aus eigener Erfahrung über Hindernisse, denen sich sächsische basisdemokratische Initiativen immer wieder ausgesetzt gesehen hätten, wenn sie sich gegen rechte Gewalt und Fremdenhass engagieren wollten. "In Sachsen fühlt sich der Rechte sicher", spitzte der Linken-Politiker zu und forderte dazu auf, die Zivilgesellschaft zu stärken.

"Wo führt das hin?": Michael Kretschmar, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion und sächsischer CDU-Generalsekretär, sagte, er sei angesichts der Vorgänge in Clausnitz und Bautzen "tief erschüttert" Er habe sich gefragt: Wo führt das hin? "Wenn der Wohnort zum Tatort wird, ist jeder Einzelne gefragt." "Wir wollen uns nicht die Köpfe einhauen, sondern vernünftig miteinander reden." Wir brauchen eine Brandmauer. Wer Rettungsarbeiten verhindert, ist selbst ein Brandstifter. Hier muss das Strafrecht verschärft werden. Der Ruf "Wir sind das Volk" habe während der friedlichen Revolution einen "ganz anderen Klang und einen anderen Geist" gehabt. Hass mit Hass zu beantworten, führe ins Verderben. Zur Wahrheit gehöre, dass der Verfassungsschutz in Sachsen genau darauf achte, wie Rechtsextreme Einfluss auf asylkritische Proteste zu nehmen versuchten. Es sei der Union ein Anliegen, "den rechtsextremen Sumpf auszutrocknen". Aber Rechtsextremismus könne nicht mit Linksextremismus bekämpft werden.

Kurzinterventionen: Volker Beck von den Grünen und Caren Ley von der Linken wollen die Äußerungen des sächsischen CDU-Generalsekretärs so nicht stehen lassen. Beck mahnte Kretschmar, die verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Asylrecht zu aktzeptieren. "Wir müssen Demokratie und Rechtsstaat erklären", sagte Beck. Ley kritisierte Kretschma, der von "könnte, müsste, sollte" gesprochen habe, aber als führender CDU-Landespolitiker doch seit Jahren selbst mit verantwortlich für die Verhältnisse in Sachsen sei. So sie die Soko Rechts abgeschafft worden und jede lokale Antifa wisse mehr über die rechtsextremen Strukturen in Sachsen als der sächsische Verfassungsschutz. "Gäbe es einen Preis für Heuchelei - sie hätten ihn heute verdient", rief sie dem CDU-Politiker zu.

Das wollte Kretschmar seinerseits nicht unwidersprochen lassen: "Wir stellen uns dem Kampf gegen Rechtsextremismus und werden künftig noch mehr tun", versicherte er. Aber Antifa sei kein Partner, sondern sei ein Problem bei der Lösung des Problems.

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