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Steuerschätzung ergibt wieder ein Plus.

© Tobias Hase/dpa

Debatte nach Steuer-Plus: Der Basar ist eröffnet

Das Plus bei der Steuerschätzung befeuert die steuerpolitische Wahlkampfdebatte. Entlastungen werden kommen. Doch die Bürger sollten nicht zu viel erwarten.

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Alle halbe Jahre wird das finanzielle Potenzial der Deutschen geschätzt, und (nahezu) alle halbe Jahre verkünden die Finanzminister eine frohe Botschaft: Die Steuereinnahmen steigen wieder etwas stärker als gedacht. Was kein Wunder ist, denn eine wachsende Wirtschaft führt zu Mehreinnahmen, weil die Gewinne steigen, die Einkommen zulegen und der Konsum wächst. Am Donnerstag hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die neueste Schätzung mitgeteilt und kommentiert. Seine Zusatzbotschaft, schon in den Wahlkampf hinein gesprochen: Die scheidende schwarz-rote Koalition (und damit nicht zuletzt ihr Finanzminister) hat gut gewirtschaftet und damit Vorsorge geleistet, dass die nächste Regierung Spielraum hat, eigene Schwerpunkte zu setzen. Will heißen: Geld ist da, es kann verteilt werden. Die große Koalition habe den Etat ausgeglichen und dann zusätzlich investiert. „Nun kann in der nächsten Legislatur die Steuersenkung folgen.“ Der Forderungs- und Ankündigungsbasar ist eröffnet.

 Was ergibt die Steuerschätzung

Der Arbeitskreis Steuerschätzung – Vertreter der Finanzministerien, von Verbänden und Wirtschaftsinstituten – rechnet damit, dass der deutsche Staat in der laufenden Finanzplanungsperiode bis 2021 deutlich mehr einnehmen wird, als man noch im November bei der vorigen Schätzung angenommen hat. Und zwar 54,1 Milliarden Euro binnen fünf Jahren. Insgesamt steigen die Steuereinnahmen nach der Prognose von 732,4 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 852,2 Milliarden Euro im Jahr 2021. Das ist ein Plus von immerhin gut 16 Prozent. Der Zuwachs ist dabei beim Bund etwas geringer als bei Länder und vor allem Kommunen – was daran liegt, dass der Zentralhaushalt bei der Verteilung der Steuermilliarden auf Einnahmen zugunsten der anderen Ebenen verzichtet, wegen der Integrationskosten für Flüchtlinge etwa oder weil im Bund-Länder-Finanzpaket, über das der Bundestag am kommenden Freitag abstimmt, auch Verlagerungen stattfinden. Diese leichte Ungleichentwicklung könnte in der kommenden Diskussion über die Verwendung der Mittel eine Rolle spielen. Denn Bund, Länder und Kommunen teilen sich die wichtigsten Steuerarten – Lohn- und Einkommensteuer sowie Umsatzsteuer -, weshalb damit zu rechnen ist, dass Bundespolitiker auf einen geringeren Spielraum im Bundesetat verweisen, während Landespolitiker den herausgehandelten Zuwachs nicht unbedingt gleich wieder für Steuersenkungen abgeben wollen. Allzu üppige Erwartungen, was Entlastungen angeht, dürften also schnell im Bund-Länder-Hinundher zerrieben werden. Zudem zeigen die Äußerungen der Parteien links der Mitte, dass vor allem sie neben gezielten Entlastungen auch an höhere Investitionen denken.

 Was plant die Union?

In der Union hat das Palaver über Entlastungen und Steuergeschenke schon begonnen. Schäuble selbst machte schon vor Monaten einen Spielraum von 15 Milliarden Euro aus, der jetzt auch etwas höher ausfallen könnte. Doch warnte der Finanzminister am Donnerstag vor vorschnellen Schlüssen. Das Schätzungsplus von gut 50 Milliarden Euro bedeute mit Blick auf den Bundesetat pro Jahr gut vier Milliarden Euro, was laut Schäuble „nicht so aufregend ist“. Eine maßvolle Entlastung sei aber möglich. Die Union wird ihr Steuerprogramm erst Anfang Juli verkünden, doch sicher ist, dass der Abbau des Solidaritätszuschlags dazugehören wird. Schäuble nannte zudem das Zuschnappen des Spitzensteuersatzes schon bei einem Einkommen von etwa 54000 Euro im Jahr  „absurd früh“, was auf eine Verschiebung nach oben schließen lässt. Deutschland habe zudem „ein Problem mit der Steuerprogression“. Eine Korrektur des Tarifverlaufs auch weiter unten und eine automatische Anpassung des Steuertarifs an die Inflation dürften daher ebenfalls im Unionsprogramm stehen. CSU-Chef Horst Seehofer hat ja schon „die größte Steuersenkung aller Zeiten“ angekündigt. Sie wird wohl vor allem Bezieher mittlerer Einkommen freuen.

 Was haben die Sozialdemokraten vor?

Die Sozialdemokraten sind auch noch nicht durch mit ihrem Katalog an Versprechungen. Doch die Linie ist klar. Bundestags-Fraktionsvize Carsten Schneider hat sie am Donnerstag skizziert: Entlastung nicht nur mittlerer, sondern auch kleinerer Einkommen, was dann nicht über die Einkommensteuer laufen müsste, sondern die Sozialabgaben. Schäuble merkte dazu an, dass vor allem die Rentenkasse schon jetzt zu stark über Steuern finanziert werde. Ob die SPD den Anteil der Steuerfinanzierung der Sozialkassen erhöht oder andere Wege geht, ist noch offen. Kanzlerkandidat Martin Schulz äußerte sich zurückhaltend zu Steuersenkungen: „Das, was wir jetzt an Überschüssen erzielen, sind einmalige Überschüsse. Jetzt hinzugehen und sie dauerhaft zu verteilen, da muss man prüfen, wie weit ist das möglich“, sagte er in Bonn. Bei den Kommunen gebe es einen riesigen Investitionsstau. Es müsse dringend mehr Geld für Bildung, Straßenbau und Digitalisierung ausgegeben werden. Schulz hat aber auch schon signalisiert, dass die SPD „Riesenvermögen“ stärker belasten will. Doch gibt es bisher keinen Konsens, auf welche Weise. SPD-Linke fordern, die vor 20 Jahren ausgesetzte Vermögensteuer wieder zu erheben. Pragmatiker in der Partei wie der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans sehne das jedoch mit Skepsis. Denn so lange die Grundstücksvermögen nicht neu bewertet sind (das geschieht demnächst im Zuge der Grundsteuerreform), bestehe das Risiko der Verfassungswidrigkeit einer Vermögensteuer, was 1996 zur Aussetzung geführt hat. Walter-Borjans verweist darauf, dass Reiche doch sehr viele Möglichkeiten hätten, ihre Steuerbelastung zu senken – ein Ansatzpunkt wäre also das Ende von Sparmodellen. Eine andere läge in einer höheren Einkommensteuerbelastung oder der Höherbesteuerung von Vermögenserträgen über die Abschaffung der Abgeltungsteuer. Walter-Borjans schlägt zudem vor, „den faulen Erbschaftsteuer-Kompromiss aus dem vorigen Jahr noch einmal auf den Prüfstand zu stellen“.

 Wohin tendieren die Grünen?

Die Grünen lehnen größere Entlastungen quer durch alle Steuerklassen ab. „Von den Steuersenkungsplänen der Union hat der Chefarzt deutlich mehr als die Krankenschwester“, sagt der Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler. Seine Partei strebt vor allem eine Umstellung der Familienförderung an. „Wir wollen mit zwölf Milliarden Euro Familien über eine Kindergrundsicherung und einen Kindergeldbonus unterstützen.“ Zudem soll es eine Garantierente für langjährig Versicherte geben, um Altersarmut zu verhindern. Zur Gegenfinanzierung solle das Ehegattensplitting größtenteils abgeschafft werden, sagt die Berliner Finanzpolitikerin Lisa Paus.

 Was schlägt die Linke vor?

Auch die Linke will das Steuerplus für einen Mix aus Entlastungen und Investitionen nutzen. „Wir wollen die Infrastruktur wieder in einen Zustand versetzen, dass sich Bürger nicht länger für ihre Stadt schämen müssen“, sagte Parteivize Axel Troost dem Tagesspiegel. „Wir brauchen auch mehr Geld für höheres Hartz IV und höhere Rentenbezüge. Für einen sozialen Staat brauchen wir ein entsprechendes Steueraufkommen.“ Eine Entlastung bei der Einkommensteuer plant die Linke bis hinauf zu Monatseinkommen von 7100 Euro. Damit das Gesamtaufkommender Steuer gehalten wird, sollen im Gegenzug höhere Einkommen stärker belastet werden. „Niedrigste Einkommen und Rentenbezüge bis 1050 Euro monatlich müssen gänzlich steuerfrei bleiben“, sagt Troost. „Das würde sowohl der Überbesteuerung kleiner und mittlerer Einkommen als auch der steuerlichen Entlastung von Spitzenverdienern seit Anfang des Jahrtausends Rechnung tragen.“

 Was ist von der FDP zu erwarten?

Die FDP bleibt sich treu: Ihr Steuersenkungsversprechen geht über alle anderen Parteien hinaus. Parteichef Christian Lindner kritisiert, „die Gier des Staates hat kleptokratische Züge angenommen". Den von Schäuble genannten Spielraum hält er für viel zu gering. „Angesichts der Mehreinnahmen sind 30 bis 40 Milliarden Euro jährliche Entlastung bis Ende des Jahrzehnts erreichbar", sagt er. Was immerhin offen lässt, wo er den Einstiegsspielraum sieht. Unterstützung findet die FDP auf dem Wirtschaftsflügel der Union, die ebenfalls eine stärkere Steuersenkung anpeilt als der Bundesfinanzminister. Schneller als die Union, nämlich sofort nach dem Auslaufen des Solidarpakts für den Osten im Jahr 2019, will die FDP den Solidaritätszuschlag abschaffen. CDU und CSU planen eine schrittweise Absenkung.  

 Was will die AfD? 

Die AfD will das Steuersystem gründlicher reformieren als alle anderen – sie verspricht damit, was einst die Freien Demokraten gern angekündigt haben. Auch das im Parteiprogramm genannte Stufensystem für die Einkommensteuer wurde schon mal von der FDP propagiert. Ziel der Rechtspartei ist es, ebenfalls kleinere und mittlere Einkommen steuerlich zu entlasten. Als einzige Partei sieht sie auch größeren Spielraum nach unten bei der Umsatzsteuer.

Wie sieht die Lage in Berlin aus?

Auch Berlin kann mit einem kräftigen Zuwachs bei den Steuereinnahmen (inklusive Finanzausgleich) rechnen. Für das laufende Jahr ergibt sich nach Berechnungen der Finanzverwaltung ein Plus von 355 Millionen Euro. 2018 können im Landeshaushalt zusätzlich 396 Millionen Euro und 2019 rund 408 Millionen Euro verbucht werden. Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) sprach von einer "sehr guten Nachricht". Die steigende Einwohnerzahl, aber auch die gute wirtschaftliche Entwicklung Berlins wirkten sich positiv auf die Steuereinnahmen aus. Andererseits sei abzuwarten, wie die Steuerpolitik der nächsten Bundesregierung aussehe. Schon die bisher bekannt gewordenen Steuersenkungspläne, so Kollatz-Ahnen, bedeuteten für Berlin jährliche Mindereinnahmen von 480 Millionen Euro. Deshalb dürften jetzt keine zusätzlichen Einnahmen dauerhaft verplant werden. Zumal ein wesentlicher Teil der Zuwächse auf die Unternehmenssteuern zurückzuführen seien, die konjunkturellen Schwankungen unterlägen. Dauerhaft strukturelle Mehrausgaben sollten aus solchen Steuermehreinnahmen im Landeshaushalt nicht finanziert werden.  

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