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Anti-Corona-Protest am Samstag auf der Friedrichstraße.

© imago images/Christian Spicker

Debatte über Demonstrationsrecht: Wo sind die Grenzen der Versammlungsfreiheit?

Nach der Corona-Großdemo diskutiert die Politik weiter über Konsequenzen. Die Mehrheit der Bürger hat laut Umfragen eine eindeutige Meinung.

Vielfach ohne Maske und ohne Abstand demonstrierten am Wochenende in Berlin rund 20.000 Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen. Die Proteste haben eine große Debatte über das Demonstrationsrecht in Pandemie-Zeiten ausgelöst. Muss das Versammlungsrecht eingeschränkt werden? Und sollten Verstöße gegen die Hygieneregeln geahndet werden?

Laut einer Umfrage würde es eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland befürworten, wenn bei der Missachtung von Abstandsregeln oder Maskenpflicht bei Demonstrationen Strafen verhängt werden. 77 Prozent sprachen sich in einer am Dienstag veröffentlichten YouGov-Umfrage dafür aus. 14 Prozent lehnen Strafen ab. Der größte Zuspruch kommt von Wählern der Grünen (87 Prozent), der geringste von Wählern der AfD (45 Prozent).

Einer nicht-repräsentativen Umfrage des „Tagesspiegels“ zufolge sind 65 Prozent für ein Verbot von Großdemos während der Coronakirse. An der „Frage des Tages“ hatten sich 31.000 Leser beteiligt.

Die Politik ist unterdessen geteilter Meinung, wie man mit den Corona-Demos umgehen sollte. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wendet sich gegen Einschränkungen des Versammlungsrechts.

„Ich finde es ganz wichtig, dass wieder Demonstrationen stattfinden können und Menschen dort ihre Meinung, auch zur aktuellen Corona-Politik der Bundesregierung, frei und öffentlich äußern können“, sagte sie dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.

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Zugleich verlangte Lambrecht jedoch ein konsequentes Durchgreifen der Polizei bei Verstößen gegen Auflagen. Lambrecht nannte es „verstörend und nicht hinnehmbar“, wenn bei Demonstrationen „bewusst und provokativ gegen die geltenden Corona-Schutzvorschriften verstoßen wird“.

Werde gegen Regeln und Auflagen verstoßen, müssten die Vorschriften von Behörden vor Ort konsequent angewendet werden, „unabhängig davon, welches Ziel die jeweilige Demonstration hat“.

Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ruft zu einem konsequenteren Vorgehen auf. „Das Versammlungsrecht ist ein viel zu hohes Gut, um eingeschränkt zu werden. Aber die Logik des deutschen Versammlungsrechts ist durchzusetzen, dass der Veranstalter die erteilten Auflagen für die Versammlung erfüllt“, sagte Ramelow der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.

„In dem Moment, da die Auflagen nicht eingehalten wurden, hätte der Veranstalter in Haftung dafür gehen müssen“, sagte Ramelow. Über deren Teilnehmer sagte der Linken-Politiker: „Sie schreien, der Staat nehme ihnen die Freiheit - und dann nehmen sie sich selbst die Freiheit, keine Schutzmasken zu tragen und den Mindestabstand nicht einzuhalten. Und sie nehmen sich das Recht heraus andere anzustecken.“

Wenn bei Versammlungen gegen Auflagen verstoßen wurde, sei schon immer die Konsequenz gewesen, dass die Polizei sie auflöse. „Ob das einst gegen die Anti-Atomkraftbewegung in Wackersdorf war, oder ob es die Krawalle beim G20-Gipfel in Hamburg waren. Da wurde hart durchgezogen. Am Samstag hätte es auch so sein müssen“, sagte Ramelow. Das Versammlungsrecht müsse einfach nur angewendet werden.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer fordert bei Genehmigungen von Versammlungen gegebenenfalls restriktiver vorzugehen. Zwar seien Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung „hohe, allen Bürgern garantierte unveränderliche Grundrechte“, schrieb der CSU-Politiker in einem Gastbeitrag für die „Rhein-Neckar-Zeitung“. „Allerdings eben immer nur so weit, als die Rechte Dritter oder die öffentliche Sicherheit nicht erheblich verletzt werden“.

Die Überwachung der Einhaltung der Hygieneregeln müsse weiter höchste Priorität haben, schrieb er. „Hier obliegt es den Landesbehörden abzuwägen, inwieweit Maßnahmen noch verschärft werden müssen und man aufgrund der negativen Erfahrungen des Demonstrationsgeschehens vom Wochenende bei der Genehmigung von Versammlungen zukünftig restriktiver zu entscheiden hat“, schrieb Mayer.

Mehrere Tausend Menschen waren bei der Demonstration und Kundgebung gegen die Corona-Politik.
Mehrere Tausend Menschen waren bei der Demonstration und Kundgebung gegen die Corona-Politik.

© imago images/Future Image

Auch der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, forderte, die Genehmigung solcher Demonstrationen genauer zu prüfen. „Die Behörden müssen sensibler sein, was die Genehmigung solcher Demonstrationen betrifft“, sagte Radek der „Augsburger Allgemeinen“. Dazu müsse die Politik Vorgaben machen.

Berlins Innensenator Andreas Geisel sagte dem „Spiegel“, man dürfe Grundrechte nur zeitlich beschränkt und mit guter Begründung einschränken. „In Berlin stehen alle Corona-Ampeln noch auf Grün. Da sind neuerliche Verbote schwer zu begründen. Wir setzen aber die Auflagen und Regeln für Demonstrationen konsequent durch“, versicherte der SPD-Politiker.

Der rheinland-pfälzische Innenminister und SPD-Landeschef Roger Lewentz sagte dem „Spiegel“: „Wir haben ausreichend Mittel, Versammlungen aufzulösen, die aus dem Ruder laufen.“ Eine Verschärfung sei nicht notwendig.

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Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl erinnerte daran, dass in Stuttgart die Versammlungsbehörde die Teilnehmerzahl an einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen begrenzt habe. „Das Versammlungsrecht bietet die Instrumente - nun muss man davon auch konsequent Gebrauch machen“, sagte der CDU-Politiker dem Nachrichtenmagazin.

Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner bezeichnete das Verhalten der Demonstranten in Berlin als „gemeingefährlich“. „Versammlungsbehörden müssen in der aktuellen Situation mit Blick auf das Virus Verbote und Auflagen entsprechend anpassen und entschlossen vorgehen, wenn sie gebrochen werden“, sagte Kellner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

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Der AfD-Ko-Parteichef Tino Chrupalla hat die Großdemonstration gegen die Corona-Politik hingegen begrüßt. „Wenn man diese Bilder gesehen hat, ist es lobenswert, dass so viele Menschen auf den Straßen Berlins unterwegs waren und für ihre Grundrechte demonstriert haben“, sagte Chrupalla am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“. Dass der Veranstalter die Demonstration von sich aus beendet habe, sei ebenso lobenswert.

„Bei Veranstaltungen dieser Größenlage ist es sicherlich schwierig, die Abstandsregeln einzuhalten“, sagte Chrupalla. Auf die Kritik an der Demonstration wegen der Missachtung der Corona-Regeln verwies Chrupalla auf „unterschiedliche Meinungen bei Virologen und Ärzten“. Die Infektionsgefahr sei unter freiem Himmel deutlich geringer als in geschlossenen Räumen.

AfD-Politiker Chrupalla spricht von Doppelmoral

Chrupalla beklagte eine „Doppelmoral“ von Politik und Medien und bezog sich damit auf die „Black Lives Matter“ Demonstration vor einigen Wochen in Berlin. Dort sei im Anschluss nicht über Abstand und Mundschutzregel diskutiert worden, sagte Chrupalla.

Am Samstag hatten in Berlin rund 20.000 Menschen aus ganz Deutschland gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen protestiert, vielfach unter Missachtung des Abstandsgebots und der Maskenpflicht. Gegen die staatlichen Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren am Samstag in Berlin Tausende auf die Straße gegangen.

An einem Demonstrationszug beteiligten sich nach Schätzungen der Polizei bis zu 17.000 Menschen. Etwa 20.000 waren es danach bei einer Kundgebung. Weil viele Demonstranten weder Abstandsregeln einhielten noch Masken trugen, löste die Polizei die Kundgebung auf. (Tsp/epd/dpa/AFP)

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