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Der Bundestag, auch ein Schutzwall: Ermittlungen gegen Abgeordnete muss das hohe Haus prinzipiell genehmigen.

© Reuters/Fabrizio Bensch

Debatte um Abgeordneten-Rechte: Immunitätsausschuss wehrt sich gegen Lammert-Vorstoß

Das zuständige Gremium im Bundestag will am Schutz vor Strafverfolgung festhalten. Die Sorge vor staatlicher Willkür sei nicht erledigt, heißt es

Der Widerstand im Bundestags-Immunitätsausschuss gegen eine mögliche Abschaffung des Strafverfolgungsschutzes für Abgeordnete wächst. „Dem Grundgesetz kommt hier auch eine Mahn- und Wächterfunktion zu. Die historisch gut begründete und grundsätzliche Funktion der Immunität ist für die parlamentarische Demokratie so bedeutend, dass ich keinen Änderungsbedarf sehe“, sagte die SPD-Politikerin Christine Lambrecht (SPD) dem Tagesspiegel zu Forderungen von Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU), die geltenden Regeln zu streichen.

„Der Verfassungsgeber hat hiermit eine Lehre aus der Geschichte gezogen: Strafverfolgung wurde auch in der neueren Geschichte regelmäßig eingesetzt, um politische Gegner aus dem Feld zu räumen“, sagte Lambrecht. Sie erinnerte an die Nazis, die missliebige SPD-Abgeordnete verhaften ließen. Immunität sei kein Privileg. „Der Bundestag wacht lediglich darüber, dass die Staatsanwaltschaften nicht sachfremd oder willkürlich gegen die Abgeordneten vorgehen.“ Zuvor hatten sich bereits der Ausschuss-Vorsitzende Johann Wadephul und seine Vize Kristina Schröder (beide CDU) gegen die von Lammert geforderte Abschaffung ausgesprochen.

Sonja Steffen (SPD) betonte den „Schutz vor willkürlichen Staatsakten“. „Gerade in der aktuellen Zeit ist es wichtig, dass geprüft wird, ob der Abgeordnete möglicherweise Ziel einer Sanktion sein soll, die ihn nur trifft, weil er den Abgeordnetenstatus hat. Wenn beispielsweise die Staatsanwaltschaft nur gegen Mandatsträger im Zusammenhang mit einer Sitzblockade oder einer politischen Aktion ermittelt, obwohl auch weitere Personen an der Handlung beteiligt waren, dann ist es schon wichtig, dass der Bundestag klärt, ob dies ein willkürliches staatliches Handeln darstellen kann oder nicht.“ 

Allerdings stünden solche Ermittlungsmaßnahme besonders im Fokus, meint Steffen: „Wenn gegen Herrn Müller wegen einer Unfallflucht oder eines Ladendiebstahls ermittelt wird, dann gerät dieser Fall nicht unbedingt an die Öffentlichkeit. Wenn es sich jedoch bei Herrn Müller um einen Abgeordneten handelt, dann gerät sein Delikt wegen der Immunitätsprüfung zwangsläufig an die Öffentlichkeit.“ Dem Abgeordneten selbst sei mit der Immunität nicht unbedingt geholfen. Das Immunitätsrecht bleibe aber ein „hohes Gut“, dem eine leidvolle historische Entwicklung vorausgegangen sei. Es sei deshalb „weiterhin geboten, an der Immunität festzuhalten“

Britta Haßelmann (Grüne) plädiert dafür, von der Verfassung die Finger zu lassen:  „Auch heute kann der Schutz der Immunität sinnvoll sein.“ Allerdings warnt sie vor einer möglichen Prangerwirkung: „Mit Sorge sehe ich, dass dieser Vorgang immer wieder Anlass zum Durchstechen von Informationen an die Presse und zu Unwerturteilen über Betroffene führt. Veröffentlichungen in so einem frühen Verfahrensstadium sind zumindest heikel, weil sie Persönlichkeitsrechte schwerwiegend tangieren. Das gilt für alle Betroffenen.“

Die Linken-Abgeordnete Petra Sitte hält die Immunität weiter für „berechtigt“: „ Wir hatten Fälle, bei denen gerade Abgeordnete unserer Fraktion anders von der Staatsanwaltschaft behandelt wurden als Verdächtige in ähnlichen Fällen oder gar Abgeordnete anderer Fraktionen in ähnlichen Fällen. Dies betraf sämtlich Delikte, die mit Meinungsäußerungen oder Aktionen des zivilen Ungehorsams in Zusammenhang standen.“ Niemand könne in die Zukunft sehen und die Dynamik gesellschaftlicher Veränderungen in diesen Zeiten vorausahnen, sagte die Politikerin. Das Immunitätsrecht sei ja gerade ein Recht zum Schutz der parlamentarischen Demokratie in Krisenzeiten. „Die haben wir derzeit nicht, aber die genannten Fälle geben einen Ausblick darauf, wie die Arbeitsmöglichkeiten der Abgeordneten bei kippenden Stimmungen im Land  in Gefahr geraten könnten.“

Dennoch ist Sitte offen für Reformen: „Denkbar wäre eine mäßige Ausweitung der Tatbestände, für die zu Beginn der Legislaturperiode die Immunität pauschal aufgehoben wurde. Da wir allerdings selbst schon Erfahrungen mit von Rechtsextremen angezeigten vermeintlich von Abgeordneten begangenen Verkehrsdelikten gemacht haben, würde ich hier für Vorsicht plädieren.“

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