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Raed Saleh (l, SPD), Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus, und Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister.

© Jörg Carstensen/dpa

Landesparteitag in Berlin: SPD sucht nach Haltung zur Enteignungsfrage

Deutsche Wohnen & Co enteignen? Die Frage wird kontrovers debattiert. Derweil gibt es neue Zahlen zur Finanzierung.

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Enteignen und zahlen – damit das Wohnen in Berlin nicht noch teurer wird. So ungefähr lautet die Forderung der Volksinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die in der kommenden Woche mit dem Sammeln der Unterschriften beginnt.

Jetzt hat der Senat noch einmal nachgezählt, was das den Haushalt kosten würde – und das ist die Gretchenfrage, weil das Geld an anderer Stelle fehlen würde, sagen die Gegner.

Das wichtigste vorweg: Das Land schwenkt auf die Linie der Initiatoren des Volksentscheids um und rechnet nunmehr den Aufwand im Falle einer Finanzierung der Entschädigungen auf Pump. „Der Finanzierung liegt die Annahme zugrunde, dass diese Kosten vollständig mit Hilfe von Krediten finanziert werden“. Die Zinsen am Kapitalmarkt sind günstig.

Aber trotzdem, zum Nulltarif wären die Wohnungen der Konzerne nicht zu haben. Im Gegenteil, die Vergesellschaftung wäre aus Sicht des Senats ein Zuschussgeschäft: Trotz der Mieteinnahmen seien bei unveränderten Einnahmen aus den Wohnungsmieten „voraussichtlich 100 bis 340 Millionen Euro jährlich“ aufzubringen – aus dem Haushalt.

Dieser hohe Preis für die Erweiterung der in öffentliche Hand übernommenen Wohnungen ist aus Sicht der Initiative „politisch teuer gerechnet“. Tatsache ist, dass der Senat bei der neuen Kostenberechnung nicht abweicht von seiner bisherigen Auffassung, wonach bei der „Vergesellschaftung“ aller Firmen mit mehr als 3000 Wohnungen eine Entschädigung zum Marktwert der Wohnungen erfolgen müsste.

Die Initiative weist das zurück, führt andere staatliche Enteignungen ins Feld, wo Eigentümer für verstaatlichte Grundstücke oder Immobilien viel weniger als deren Marktpreis zur Entschädigung bekamen. Der Senat dagegen bleibt dabei: 28,8 bis 36 Milliarden Euro käme die Vergesellschaftung.

Fast zwei Milliarden für Nebenkosten

Zu dem Preis der Immobilien kämen Nebenkosten für Notare, Anwälte und andere beim Kauf erforderlichen Leistungen rund 180 Millionen Euro an Nebenkosten hinzu. Außerdem rechnet der Senat mit weiteren 1,5 bis 1,9 Milliarden Euro „für Erfassung und technische Bewertung der Immobilien, Entschädigungen für unbebaute Grundstücke, Ausgleichszahlungen für Wertminderungen und Personalüberhänge der betroffenen Unternehmen“.

Initiative: Senat rechnet falsch

Allerdings erkennen die Sprecher der Volksinitiative doch eine leichte Absetzbewegung des Senats von dessen bisheriger Haltung im Kleingedruckten der neuen Kostenschätzung: „Der Senat stimmt uns zu, dass eine Entschädigung deutlich unter Verkehrswert möglich ist, und schlägt selbst eine Unterschreitung des Verkehrswerts vor“, kommentieren sie die neue Vorlage.

Der Senat wolle nämlich selbst die „Wertsteigerungen der Immobilien herausrechnen will, die nicht auf Eigenleistungen der Unternehmen beruhen“. Die Folgen aus dieser Annahme ziehe der Senat allerdings nicht, kritisieren die Befürworter der Vergesellschaftung. Nach deren Überzeugung ergäbe sich beim Herausrechnen der nur über Buchungsmanöver aufgewerteten Wohnungen, deren Wohnwert sich nicht durch Modernisierungen oder andere praktische Eingriffe verbessert hätte, „zu einer Entschädigung von nur 18,1 Milliarden Euro, nicht 28,8 Milliarden Euro“.

SPD-Landesparteitag will über Enteignung debattieren

Von welchen Argumenten, auch hinsichtlich der Kosten für die Steuerzahler, sich die Berliner Sozialdemokraten überzeugen lassen, bleibt mindestens bis Samstagnachmittag offen, wenn der SPD-Landesparteitag über die Enteignung von Wohnraum, einen zeitlich begrenzten „Mietendeckel“ und weitere wohnungspolitische Vorhaben diskutiert.

Zur Entscheidung steht: Das heikle Thema Enteignung auf den nächsten Parteitag im Herbst zu verschieben, um bis dahin „in einer breiten innerparteilichen Diskussion“ zu klären, ob die SPD die Forderung nach der Sozialisierung großer Wohnungsbestände in Berlin unterstützt. Oder die Genossen folgen den Jusos und dem Kreisverband Mitte und beschließen, dass „die Ware Wohnen dem kapitalistischen Markt entzogen“ werden soll.

SPD-Landeschef Michael Müller, der Enteignungen ablehnt, will verschieben. Unterstützt vom linken Vize-Landeschef Julian Zado und mehreren Bezirksverbänden. Andere Teile der Partei, und zwar sowohl Vertreter der Linken wie der Rechten, wollen das Thema jetzt entscheiden.

So oder so. In der letzten Sitzung des Geschäftsführenden Landesvorstands vor dem Parteitag spiegelte sich dieser Konflikt wieder. Es würden noch Gespräche geführt, hieß es am Freitag. Zuerst wird über eine Vertagung abgestimmt, die möglicherweise doch eine Mehrheit findet. Sollte in der Sache entschieden werden, dürften die Enteigner in der Mehrheit sein.

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