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DEBATTE UMS JUGENDSTRAFRECHT Schärfere Gesetze oder mehr Hilfe für Jugendliche?: In Manndeckung

Wie die Bremerhavener Polizei mit persönlichen „Scouts“ für junge Täter die Kriminalität senkt

Seit sieben Jahren setzt die Bremerhavener Polizei erfolgreich Mitarbeiter ein, die persönlich für einzelne Straftäter zuständig sind: Die 15 Jugendsachbearbeiter der Polizei verstehen sich als Scouts, die straffällige oder gefährdete Jugendliche mit persönlicher Ansprache auf den Pfad der Tugend bringen wollen. Offenbar mit Erfolg: Die Zahl der jugendlichen Straftäter an der Wesermündung ist innerhalb der letzten fünf Jahre um ein Drittel gesunken, trotz Arbeitslosen- und Hartz- IV-Quote auf ostdeutschem Niveau.

Sieben Jahre ist es her, dass die von Fischerei- und Werftenkrisen geplagte Hafenstadt nach neuen Wegen suchte, um die damals besonders hohe Jugendkriminalität zu bekämpfen. Als eine der ersten Behörden Deutschlands führte die Bremerhavener Polizei das „Scout-Prinzip“ ein, das man auch als Patenschaft oder Manndeckung bezeichnen könnte. Jugendtypische Straftaten werden seitdem nicht mehr von wechselnden Fachkommissariaten verfolgt, sondern jeder Tatverdächtige bekommt einen bestimmten Sachbearbeiter zugeordnet. „Er begleitet die Person so lange, bis sie keine Straftaten mehr begeht – oder bis sie zu einem Intensivtäter geworden ist, wo wir nicht mehr die helfende Hand darüber legen, sondern wo die Bestrafung in den Vordergrund rückt“, erläutert Polizeihauptkommissar Heinz Teichgräber das Konzept.

Aber dass jemand zum Dauerkriminellen wird, ist selten: „Die Masse tritt nur einmal in Erscheinung, wird erwischt und ist dann geläutert“, sagt Teichgräber. „Einige wenige fallen zweimal auf und nur ganz wenige häufiger.“

Die polizeilichen Jugendsachbearbeiter bekommen jeden Morgen einen Stapel Anzeigen auf den Tisch, in denen Kinder, Jugendliche oder Heranwachsende bis 21 Jahre als Täter verdächtigt werden. Ist ein Beschuldigter namentlich bekannt, aber bisher noch nicht auffällig geworden, dann sammelt sein künftiger Scout zunächst dessen Daten: wie alt, welche Schule, wer ist der Vater, wer die Mutter? So schnell wie möglich werden dann die Eltern kontaktiert und nach Abstimmung mit ihnen der Sohn oder die Tochter vernommen. Das kann schon am nächsten Tag sein, bei besonders eiligen Fällen passiert es sofort. Wenn nötig, schalten die Beamten auch das Jugendamt oder die Schule des Kindes ein. So betreuen sie den Fall, bis er zur Anklage oder Verfahrenseinstellung an die Staatsanwaltschaft abgegeben wird.

Im ersten Halbjahr 2007 (neuere Zahlen liegen noch nicht vor) kümmerten sich die Polizei-Scouts der 115 000-Einwohner-Stadt um rund 800 junge Tatverdächtige – vom 21-jährigen Graffitisprayer bis zum achtjährigen Ladendieb, der zwar noch nicht angeklagt, aber in Anwesenheit der Eltern polizeilich ermahnt wird. Nur bei Banküberfällen, Tötungsdelikten oder anderen nicht jugendtypischen Taten sind die Paten mit ihrem Latein am Ende – dann müssen die Fachkommissariate ran.

Neben der Aufklärung und Ahndung von Straftaten betreiben die 15 Männer und Frauen in Zivil auch Vorbeugung. Sie besuchen Schulen, reden dort mit Kindern und Klassenlehrerinnen, fahren zu Spielplätzen und anderen Jugendtreffpunkten, suchen den Kontakt zu gefährdeten Jugendlichen. „Wir haben ein gutes Verhältnis zu unseren ‚Kunden‘. Die sind freundlich, wenn wir kommen. Manche gehen sogar von allein zur Dienststelle und suchen das Gespräch mit ihrem Scout“, berichtet Hauptkommissar Teichgräber. Wenn es mal knallt, dann führen die Beamten auch „Gefährdergespräche“: Einmal konnten sie nach einer größeren Prügelei nicht genau feststellen, wer zugeschlagen und wer nur angefeuert oder gegafft hatte. Da setzten sich die Jugendpolizisten mit allen Beteiligten und ihren Eltern zusammen und bläuten den Jugendlichen ein, dass sie sich künftig von allen Schlägereien fernhalten sollten. „Sofort war Ruhe“, erinnert sich Teichgräber.

Allein in den vergangenen fünf Jahren ging die Zahl der jugendlichen Straftäter in Bremerhaven um über 32 Prozent zurück. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt betrug der Rückgang (nicht Zuwachs, wie man angesichts der aktuellen Debatte glauben könnte) knapp sieben Prozent. „Zu behaupten, dass das ausschließlich an unserem Scout-Prinzip liegt – so vermessen will ich nicht sein“, meint Teichgräber. „Aber es hat maßgeblich dazu beigetragen.“

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