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Politik: Deckel drauf

Schröder und Chirac wollen Europas Agraretat begrenzen – nun müssen sie die anderen EU-Länder überzeugen

Von Thomas Gack, Dagmar

Dehmer und Albrecht Meier

Der Überraschungscoup war perfekt. Was noch wenige Stunden vorher die Finanzexperten der Brüsseler EU-Kommission für höchst unwahrscheinlich hielten, war knapp eine Stunde vor Beginn des EU-Gipfels am Donnerstagabend in Brüssel Realität: Frankreichs Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder verständigten sich rechtzeitig zum Auftakt des Brüsseler EU-Gipfeltreffens über die Zukunft der Agrarfinanzierung. Bei ihrem dritten Treffen innerhalb weniger Wochen gelang es den beiden, den deutsch-französischen Agrarstreit zu beenden. Offenbar reichte das einstündige Gespräch im Brüsseler Nobelhotel ,,Conrad" an der eleganten Avenue Louise, um die letzten Gegensätze zu überbrücken.

Die Einigung ebnet auch der EU-Erweiterung den Weg, und so hatten am Ende der zähen Gesprächsserie wohl beide, Schröder und Chirac, Grund zur Zufriedenheit. Zumindest bis Ende 2006 bleibt für Frankreich bei der Agrarfinanzierung alles beim Alten. Und Schröder hat auch erreicht, was er wollte: Eine Deckelung der Agrarkosten von 2007 an. Die deutsche Seite wollte sich am Donnerstagabend noch nicht darauf festlegen, wie genau sich der Kompromiss zwischen Schröder und Chirac langfristig auf die Höhe der deutschen EU-Nettobeiträge auswirken wird. Zufrieden zeigte man sich in deutschen EU-Kreisen aber angesichts der Begrenzung der Agrarausgaben ab dem Jahr 2007. Wenn man bedenke, dass die EU vom Jahr 2004 an auf 25 Mitglieder anwachse, gleichzeitig die Agrarausgaben insgesamt aber begrenzt würden, dann komme das einer Kürzung der Direktbeihilfen für die alten EU-Mitglieder gleich, hieß es. Auch wenn ein Inflationsausgleich für die Landwirte vorgesehen ist, ist man auf deutscher Seite mit der allgemeinen Richtung zufrieden: „Dies ist eine Einigung, die dem deutschen Ziel entspricht, die Ausgaben langfristig zu begrenzen,“ sagte der Sprecher der deutschen Vertretung in Brüssel am Donnerstagabend.

Und auch in Berlin lobte Landwirtschaftsministerin Renate Künast die Einigung zwischen Schröder und Chirac. Sie wies am Donnerstagabend jedoch darauf hin, dass mit der Begrenzung der Direktbeihilfen noch keine Vorentscheidung über die Agrarreform gefallen sei. Über die Förderung des ländlichen Raums werde im Zuge der Halbzeitbilanz voraussichtlich erst beim EU-Gipfel im Juni 2003 abgestimmt. Künast fügte hinzu, dass sich Frankreich auch nicht mehr gegen eine obligatorische Modulation wehre. Dabei werden die Direktzahlungen für die Bauern gekürzt und die so eingesparte Summe noch einmal um denselben Betrag aufgestockt. Die gesamte Summe fließt anschließend in Umweltprogramme der nationalen Haushalte.

Aber auch wenn das Verhandlungsergebnis in Berlin und Paris gelobt wurde – ganz sicher ist es noch nicht, ob die übrigen 13 EU-Mitglieder der deutsch-französischen Lösung heute folgen werden. Unter Chiracs stärksten Widersachern, die an den Agrarausgaben sparen wollten, gilt es noch die Briten, die Niederländer und die Schweden zu überzeugen.

Frankreich will Kürzungen im Agrarbereich weitgehend verhindern, denn das Land profitiert von der gemeinsamen Agrarpolitik am meisten. Aus grundsätzlichen Überlegungen unterstützte Frankreich deshalb die Forderungen der Kandidatenländer, die vom Beitritt an auch bei den direkten Beihilfen die Gleichstellung ihrer Bauern fordern. Die vier Nettozahler Deutschland, Großbritannien, Niederlande und Schweden hatten es abgelehnt, den Bauern der neuen Mitgliedsländer hohe Einkommenssubventionen zu zahlen. Doch auch in diesem Punkt herrscht zumindest zwischen Berlin und Paris seit Donnerstagabend Klarheit: Schröder und Chirac vereinbarten, die Beitrittskandidaten ab 2004 – auf geringerem Niveau – in die Direktzahlungen einzubeziehen. Nach einem Vorschlag der EU-Kommission sollen die Direktzahlungen für die neuen EU-Staaten dann bis 2013 auf 100 Prozent steigen.

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