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Politik: Deckung unterm Blauhelm

SCHRÖDERS PLAN

Von Clemens Wergin

Nicht nur in Deutschland, in ganz Europa und der Welt ist sie spürbar: die Sehnsucht nach Frieden. Es droht ein Krieg, der Zehntausende das Leben kosten könnte; der die Gefahr heraufbeschwört, dass Saddam Hussein in einer letzten Verzweiflungstat todbringende Raketen nach Israel und andere Staaten der Region schickt. Da erscheint der deutschfranzösische Plan wie ein rettender Strohhalm: Eine große Zahl von Blauhelmen soll samt der verdreifachten Anzahl von Inspekteuren in den Irak geschickt werden, um das Land abzurüsten. Eine Idee, die endlich befreit aus der scheinbaren Zwangsläufigkeit eines Krieges – und die Deutschland aus der politischen Isolation herausführen könnte.

Wie so oft, wenn Gerhard Schröder in höchste Not gerät, zieht er ein Kaninchen aus seinem Kanzlerzylinder. Und der Vorschlag kommt ja so simpel wie überzeugend daher: Die UN könnten ein „robustes Abrüstungsregime“ installieren. Die Blauhelme würden gemeinsam mit den Inspekteuren eine Art landesweite Hausdurchsuchung machen und so alle Massenvernichtungswaffen entdecken können, die der Irak versteckt. Das geht nur mit Zustimmung der irakischen Regierung. Sollte sie diese verweigern, wäre die Bundesregierung ebenfalls aus dem Schneider. Dann könnte Rot-Grün behaupten, alles versucht zu haben – und doch noch einem militärischen Vorgehen im UN-Sicherheitsrat zustimmen. Bei näherem Hinsehen stellen sich aber drei Fragen: Kann ein solches Abrüstungsregime wirklich funktionieren? Wie sieht es mit den Chancen aus, dass dieses Konzept verwirklicht wird, und, daran anknüpfend: Hat Schröder alles getan, um seiner neuen Strategie zum Erfolg zu verhelfen?

Zunächst zum Praktischen: Eine Art UN-Protektorat einzurichten, ohne dass ein Krieg oder Bürgerkrieg vorausgegangen ist, wäre ein Novum in der Geschichte der Vereinten Nationen. Ein Nachkriegsregime ohne Krieg. Schätzungen über die Zahl der benötigten Soldaten belaufen sich auf 75 000, vielleicht sogar mehr. Und die wären, wie die Erfahrung auf dem Balkan zeigt, einem großen Risiko ausgesetzt: So lange Saddam über eine schlagkräftige Armee verfügt, wären die Blauhelm-Soldaten laufend in der Gefahr, als Geiseln genommen und als Schutzschilde missbraucht zu werden. Welche Regierung wollte die eigenen Soldaten solch einem Risiko aussetzen? Und: Woher sollen die Soldaten kommen? Frankreich und Deutschland verfügen weder über eine ausreichende Truppenstärke noch über die entsprechenden Transportkapazitäten. Auch die Sicherheit der Blauhelme ist ohne Amerikas Potenzial gar nicht zu garantieren. Womit wir bei der Wahrscheinlichkeit eines solchen Einsatzes wären.

Auch wenn es in den letzten Wochen etwas aus der Mode gekommen ist: Bei weitreichenden Vorschlägen zu Krieg und Frieden, die laut Verteidigungsminister Struck am Freitag gar in den Sicherheitsrat eingebracht werden sollen, sondiert man vorher üblicherweise das Terrain. Doch angesichts der widersprüchlichen Äußerungen seit Bekanntwerden der Pläne drängt sich der Eindruck auf: Schröder hat den deutsch-französischen Vorschlag nicht einmal recht mit den Franzosen abgesprochen, die von Blauhelmen offenbar nichts wissen wollen und nur eine größere Zahl von Inspekteuren fordern. Sogar der deutsche Außen- und der Verteidigungsminister scheinen nicht recht im Bild gewesen zu sein. Von den Amerikanern ganz zu schweigen, ohne deren Zustimmung und Unterstützung der Plan gar nicht realisierbar ist. Sie müssen angesichts der deutschen Überrumpelungstaktik abermals den Eindruck bekommen, Schröder blockiere nur oder spiele auf Zeit. Eine ernst gemeinte Initiative jedenfalls hätte anders vorgebracht werden müssen.

Schröder ist mit seinem harten Nein nicht nur in Europa zum Bezugspunkt für viele Kriegsgegner geworden. Und es sind beileibe nicht nur eingefleischte Pazifisten, die sich von der Bundesregierung eine gangbare Alternative zum amerikanischen Vorgehen erhofft hatten. Sie dürfen mehr von Schröder verlangen als ein schlecht vorbereitetes und kaum durchführbares Friedenskonzept. Noch sieht es so aus, als ginge es bei dem Vorschlag weniger um den Mittleren Osten als um des Kanzlers Posten.

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