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Demjanjuk: Im Dienste der SS

Vom Kriegsgefangenen zum Wachmann im Vernichtungslager: Wie aus Iwan Nikolajewitsch Demjanjuk ein Täter wurde.

Was wissen wir über den Mann, der im vielleicht letzten NS-Kriegsverbrecherprozess auf der Anklagebank sitzen soll? Er wurde 1920 als Iwan Nikolajewitsch Demjanjuk in einem ukrainischen Dorf geboren. Im Krieg diente er in der Roten Armee und geriet 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Wenig später soll er in das SS-Ausbildungslager Trawniki gekommen sein. Die SS brauchte Handlanger für die „Aktion Reinhardt“, die systematische Ermordung der Juden im Generalgouvernement Polen, und rekrutierte Kriegsgefangene als Hilfstruppen für die Vernichtungslager. Auch Demjanjuk ließ sich offenbar anwerben und ausbilden und traf am 27. März 1943 in Sobibor ein. Das geht aus seinem von der SS ausgestellten Dienstausweis hervor. Sechs Monate lang war er Wachmann in dem Vernichtungslager. In dieser Zeit wurden in Sobibor mindestens 29 000 Juden ermordet, wie die Ermittler der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen recherchiert haben. „Wir kennen nicht nur die Zahl der Opfer, sondern auch ihre Namen“, sagte Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, Leiter der Zentralen Stelle in Ludwigsburg, dem Tagesspiegel.

Im nationalsozialistischen Vernichtungssystem wurden auch die Wachmänner zu Tätern: Sie empfingen die Menschen, die im Lager ankamen, und trieben sie in die Gaskammern. „Jeder der Aufseher in Sobibor wusste genau, was dort ablief“, betont Schrimm. Die zumeist ukrainischen Helfer der SS hätten zwar nicht dem ideologischen Ideal der SS-Offiziere entsprochen, erläutert der Historiker Jörg Skriebeleit, der die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg leitet. „Aber nach den Aussagen von Überlebenden zeichneten sich die ukrainischen Wachmänner durch besonders große Brutalität aus.“

Am 1. Oktober 1943 kam Demjanjuk, Dienstnummer 1393, in Flossenbürg an. Das Dokument, das dies belegt, spielte eine wichtige Rolle in den Ermittlungen und wurde vom bayerischen Landeskriminalamt geprüft: Die gleiche Dienstnummer ist in dem Ausweis aus Sobibor verzeichnet. Mindestens bis Dezember 1944 war Demjanjuk in Flossenbürg; wo er sich bei Kriegsende aufhielt, ist unklar. Wenig später tauchte er in einem Lager für „Displaced Persons“ in Feldafing auf. Wie viele andere SS-Helfer gab er sich als Verfolgter aus – ausgerechnet in einem Lager, in dem jüdische Holocaust-Überlebende untergekommen waren. Demjanjuk, der 1952 in die USA auswanderte, stellt sich bis heute als Opfer dar. Sein Sohn sagt, die Geschichte werde zeigen, dass Demjanjuk 1942 „ein Opfer der Deutschen“ gewesen sei. Auf Hunderten von Seiten Ermittlungsmaterial wird jedoch das Bild eines Menschen gezeichnet, der vom Kriegsgefangenen zum Täter wurde.cvs

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