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Abstimmung im Berbergebiet. Die Sprache der Bevölkerungsminderheit der Berber soll laut Referendum offizielle Sprache des Landes neben dem Arabischen werden. Foto: AFP

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Politik: Demokratie bitte später

Der Erfolg des Verfassungsreferendums in Marokko ist ein Sieg für den König: Trotz der Proteste ist seine Popularität ungebrochen

Nein, zufrieden ist er wahrlich nicht. Mustapha Oukhira schlägt sich als Tagelöhner durch, macht Reparaturarbeiten, keiner der Aufträge dauert länger als einen Tag. „Um einen richtigen Job zu bekommen oder ein Gewerbe anmelden zu können, müsste ich Kontakte oder Geld haben, anders geht das nicht“, sagt der 30-Jährige. Sein BWL-Studium, seine Zusatzausbildung in Informatik sind wertlos in einem System, das auf Vetternwirtschaft setzt.

Schicksale wie das von Oukhira nähren die neue Demokratiebewegung in Marokko, aber er gehört der Bewegung nicht an. Durch das Fernsehen, Zeitungen und Youtube-Videos wurde ihm der Eindruck vermittelt, die Bewegung sei gewalttätig. Und was auch immer ihm persönlich geschieht – König Mohammed VI. ist der Letzte, dem er es anlasten würde.

„Die Leute hier mögen das Bild, das sie vom König haben. Das macht es schwierig für uns“, sagt der 33-jährige Hosni Azmoukhlis, einer der bekannten Köpfe der marokkanischen Demokratiebewegung „20. Februar“, die im Anschluss an die Massendemonstrationen in Ägypten und Tunesien entstanden ist. Der König als gütiger Herrscher und Wohltäter ist auf Plakaten und durch Fernsehbilder omnipräsent. „Solche Bilder lassen sich leicht produzieren“, sagt Azmoukhlis. Und die Mehrheit sei nun einmal nicht gut genug gebildet, um die politischen Verhältnisse zu analysieren. Auch die bunte Parteienlandschaft im Land erweckt den Anschein, es gebe bereits Demokratie. Obwohl Marokko als ärmstes Land Nordafrika gilt, herrscht der Glaube, es habe enorme Verbesserungen gegeben. König Mohammed VI. wird von vielen Marokkanern als besonders guter Stratege und fähige politische Führungspersönlichkeit gesehen – mehr noch als sein Vater Hassan II.

„Ich liebe meinen König“, sagt ein Veteran aus dem algerisch-marokkanischen Krieg, der vor dem Parlament in der Hauptstadt Rabat für seine Rente demonstriert. Die Forderungen der Veteranengruppe richten sich an die Politiker, nicht an den König. Dabei haben die Politiker im derzeitigen Machtgefüge kaum etwas zu sagen. Auch nach der veränderten Verfassung, über die am Freitag in Marokko abgestimmt wurde, ist der König der wesentliche politische Akteur im Land. Er sitzt allen entscheidenden Gremien vor, allen voran dem Ministerrat. Und er verfügt über beachtliche wirtschaftliche Macht, denn die königlichen Firmen besitzen das Monopol in mehreren Wirtschaftszweigen.

Das Referendum als Farce? Die Regierungsvertreter waren nach dem Votum in Jubelstimmung, wollten es als Abgesang auf die Bewegung „20. Februar“ verstanden wissen. „Diese Bewegung vertritt vielleicht 0,5 Prozent der marokkanischen Gesellschaft“, sagt ein Staatssekretär im Kommunikationsministerium. Während in Syrien Demonstranten erschossen werden, reagiere man in Marokko friedlich und gehe auf die Forderungen des Volkes ein. Nun ist der Beweis scheinbar erbracht: Nach Regierungsangaben haben etwa 98 Prozent für die vom König vorgeschlagene Verfassungsänderung gestimmt, bei einer Wahlbeteiligung von 72,6 Prozent. In den offenen Umschlägen in den gläsernen Wahlurnen waren tatsächlich wenige blaue Zettel – für die Neinstimmen – zu sehen, allerdings hatte die Demokratiebewegung zu einem Boykott aufgerufen.

An den Regierungsangaben zur Wahlbeteiligung haben nicht nur die Aktivisten große Zweifel: Internationalen Journalisten vor Ort beobachteten bis zum späten Nachmittag schwach besuchte Wahllokale. Aktivisten berichten über Busse, die noch kurz vor Schließung der Wahllokale Menschen aus Armenvierteln zu den Abstimmungsbüros transportiert hätten. Unwahrscheinlich ist das nicht, denn auch bei den zahlreichen Demonstrationen für das Regime, die in den vergangenen Wochen und Monaten stattfanden, gab es solche Transporte – etwa am Donnerstag in der Hauptstadt Rabat. „Offizielle sind mit den Bussen gekommen“, sagte ein 14-jähriger Junge aus dem Armenviertel Yacoub Mansour. Warum er mitgekommen sei? „Es war ein Befehl.“ Auf der Demonstration selbst sah man den Jugendlichen ihre Armut kaum an, denn sie wurden mit neuen T-Shirts ausgestattet, auf denen Slogans für die Verfassungsänderung prangten. Bei der Demonstration wurde der Vertreter einer Menschenrechtsorganisation angegriffen, Polizisten sahen zu. Für Sonntag planen wiederum Vertreter der Bewegung „20. Februar“ Demonstrationen in vielen Städten, um gegen das Regime und Wahlbetrug zu protestieren.

Mustafa Amajar grinst verschmitzt, wenn er an die Demokratiebewegung denkt. Er ist einer der Sprecher des Kommunikationsministeriums und sagt witzelnd: „Ich gehöre der Bewegung ,20. Februar’ selbst an.“ Auch er wolle Demokratie, aber eben noch nicht jetzt. Einer seiner Kollegen nimmt die Bewegung ebenfalls wenig ernst. „Ich werde doch nicht Jugendliche fragen, wenn es um die Verfassung geht“, sagt der Sprecher des marokkanischen Kommunikationsministeriums kopfschüttelnd.

Das Durchschnittsalter der Demokratie-Aktivisten liegt bei etwa 25 Jahren, viele von ihnen sind hervorragend ausgebildet, doch längst nicht alle. Einige sozialdemokratische und sozialistische Parteien sowie die islamische Partei „Gerechtigkeit und Wohlfahrt“ unterstützen die Bewegung. Auch bekannte Intellektuelle setzen sich für die Demokratiebewegung ein, wie Fouad Abdelmoumni, Gründer von Al-Amana, der wichtigsten Organisation für Mikrofinanzierung in Nordafrika. „Die Bewegung wird getragen von den neuen Eliten, die sehen, dass ihnen Chancen verweigert werden“, sagt er. Die Frauenrechtlerin Mina Tafnout sagt: „Endlich arbeiten wir alle zusammen, Aktivisten, Politiker und Intellektuelle aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft“, sagt Tafnout. Vor einigen Monaten ist sie aus ihrer Frauenrechtsorganisation ausgetreten, weil diese ihr zu regimenah wurde. „Man kann die Freiheit der Frau nicht ohne die Freiheit der Bürger erreichen“, ist ihre Überzeugung. Andere Feministinnen haben sich mit dem Regime solidarisiert. „Sie haben mehr Angst vor einer islamischen Willkürherrschaft als vor einer königlichen“, beschreibt Abdelmoumni die Stimmung. Frauenrechtlerin Tafnout dagegen hat in den vergangenen Monaten mit vielen aus der islamischen Partei „Gerechtigkeit und Wohlfahrt“ zusammengearbeitet. Zum Beispiel mit dem 35-jährigen Mustapha Zaimi, der die Türkei als Vorbild sieht. Einem religiösen Rat Entscheidungsmacht einzuräumen, der undemokratisch zustande gekommen ist wie etwa im Iran, lehnt er entschieden ab. Genau ein solcher Rat sei in der nun veränderten Verfassung allerdings vorgesehen: Der Ulama-Rat, dessen Mitglieder vom König bestimmt werden, soll über religiöse Fragen entscheiden. Mit Verweis auf die CDU in Deutschland sagt Zaimi: „Man kann sich auch auf demokratischem Weg für bestimmte universelle Werte einsetzen, die aus einer Religion kommen.“

Karin Schädler[Rabat]

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