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Politik: Demokratie oder Öl

Kein Land, das den begehrten Rohstoff exportiert, hat den Sprung zur Demokratie geschafft. Ein Experte erklärt, warum das so ist

Wenn Öl die Haupteinnahmequelle eines Landes ist, hat Demokratie dort kaum eine Chance. Diese These vertritt Peter Pawelka, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Tübingen – und zeichnet damit auch für Libyen ein düsteres Zukunftsszenario. Oberst Muammar al Gaddafi ist voraussichtlich, wie seine Kollegen Hosni Mubarak aus Ägypten und Ben Ali aus Tunesien, Geschichte. Doch ob es dem Staat gelingt, mehr Mitsprache nach der Diktatur zu ermöglichen, ist fraglich, sagt Pawelka: „In einem Land, dessen Haupteinnahmequelle der Erdölexport ist, hat es bisher noch nie eine Demokratie gegeben. Libyen wäre da der absolute Vorreiter, und das ist unwahrscheinlich.“

Warum das so ist, erklärt der Experte folgendermaßen: „Das Geld aus dem Erdölexport geht direkt an die Machthaber in dem politischen System, und diese können es zu politischen Zwecken nutzen.“ So werden soziale Wohltaten finanziert, wie es zum Beispiel in Saudi- Arabien gerade der Fall war. Um die Bevölkerung zu besänftigen und Forderungen nach Demokratie im Keim zu ersticken, kündigte die saudische Monarchie ein umfangreiches Sozialpaket an, das unter anderem die Anhebung der Gehälter im öffentlichen Dienst um 15 Prozent vorsieht.

Der Aufbau demokratischer Strukturen ist aber erklärtes Ziel der libyschen Rebellen und der Nato, wie der Generalsekretär der Nato, Anders Fogh Rasmussen, kürzlich nach einem Treffen mit dem Chef des libyschen Nationalen Übergangsrats erklärt hatte: „Ein neues Libyen, welches auf Demokratie und Menschenrechten basiert, soll entstehen.“

Um eine Demokratie zu etablieren, bedürfe es jedoch nicht nur einer unabhängigen Wirtschaft, sondern auch weiterer Voraussetzungen, sagt Pawelka: „Es müssen Wahlen existieren, bei denen auch tatsächlich eine andere Gruppe an die Macht kommen kann. Für diese Wahlen gibt es bestimmte Bedingungen, damit sie auch fair sind. Und es müssen Menschenrechte gewährleistet werden, die politische Freiheiten ermöglichen. Wichtig sind auch eine gewisse Machtbalance und die Existenz einer Zivilgesellschaft.“ Aus Sicht des Politikwissenschaftlers sind zudem die Interessen der Nachbarländer, die eine Demokratisierung zumindest akzeptieren müssen, ein entscheidender Faktor. Diese Voraussetzungen werden aber alle obsolet, wenn die ökonomische Situation ungünstig ist, glaubt Pawelka: „Wenn es mit der Wirtschaft bergab geht, spielen alle diese anderen Aspekte kaum noch eine Rolle.“ Dann können politische Fraktionen besonders leicht Menschen mobilisieren, indem sie Versprechungen auf ein besseres Leben machen.

Das sind hohe Hürden für eine Entwicklung von der Diktatur hin zur Demokratie. Von hundert Ländern, die zwischen 1970 und 2000 eine politische Transformation begonnen haben, sind weniger als zwanzig demokratisch geworden, zeigen Studien. Erfolgreiche Demokratisierungsprozesse haben nach dem Fall der Sowjetunion in Europa unter anderem Polen, Ungarn, Tschechien und Estland durchlaufen. In Ungarn kann beobachtet werden, das diese Entwicklungen keineswegs unumkehrbar sind: Die Regierung des Landes schränkte jüngst unter anderem die Pressefreiheit ein.

In Südamerika haben sich vor allem Chile und Uruguay seit den achtziger Jahren in Richtung Demokratie entwickelt. In Ostasien hat Taiwan Schritte in diese Richtung gemacht. Bis 1987 herrschte dort Kriegsrecht, und die Kuomintang-Partei regierte diktatorisch. 1992 fanden erstmals freie Wahlen statt. In Afrika können die Bürger von Ghana seit den neunziger Jahren wählen, seit dem Fall des Apartheidregimes auch die Menschen in Südafrika. Allerdings wird dort die politische Dominanz des regierenden ANC immer bedenklicher.

Obwohl es weltweit eine Entwicklung hin zur Demokratie gibt, sind die genannten Länder eher eine Ausnahme. So kehrten etwa Algerien, Turkmenistan und Usbekistan nach Aufständen in diktatorische Verhältnisse zurück. Der Mut und die Opfer der Demonstranten waren dennoch nicht umsonst, sagt Pawelka: „Mehr politische Gruppen haben nun mehr Teilhabe.“ Und dass die Zukunft nicht immer verläuft, wie es aus wissenschaftlicher Sicht zu erwarten gewesen wäre, zeigen die Entwicklungen seit Anfang des Jahres. Denn den arabischen Frühling hatte kaum ein Wissenschaftler vorausgesagt.

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