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Politik: Demokratie ohne Laufstall

Von Gerd Appenzeller

Wer anderen ein Bein stellen will, muss aufpassen, dass er nicht auf die Nase fällt. Das könnte der SPD jetzt mit ihrer plötzlichen Eile geschehen, die Deutschen doch noch in einem Referendum über die EUVerfassung abstimmen zu lassen. Sehr schnell will sie den entsprechenden Antrag, das Grundgesetz zu ändern, auf den Weg bringen und damit die uneinigen Unionsschwestern ärgern.

Vor zwei Jahren, im Juni 2002, stoppten CDU und CSU mit ihrer Bundesratsmacht einen ersten rot-grünen Vorstoß für mehr plebiszitäre Elemente. Diese Abwehrhaltung entsprach der traditionellen Unionslinie, auf die bewährten Regulative der repräsentativen Demokratie zu setzen. Dann kam das Projekt einer Verfassung für die EU. Dessen Sinn leuchtet dem Bürger nicht so recht ein, was Kanzler und Außenminister nicht hindert, ein schnelles Ja des Bundestags dazu zu betreiben. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber begriff sofort, dass er Gerhard Schröder und Joschka Fischer hier in Bedrängnis bringen könnte. Vorübergehend wurde deshalb in veränderter Schlachtordnung gestritten. Schröder, Fischer und Merkel waren gegen eine Volksabstimmung, Stoiber in diesem konkreten Fall aber dafür.

Jetzt wollen Sozialdemokraten und Grüne testen, wo die Sollbruchstelle in der Unionsachse liegt. Man mag darauf wetten, dass sich die CDU-Vorsitzende nicht lange gegen die Möglichkeit eines Volksvotums stellen kann. Und dann? Alles einig, die Regierung im Jubel? Mitnichten, denn jeder möchte etwas anderes. Die Sozialdemokraten wollen grundsätzlich mehr plebiszitäre Elemente wie Volksbefragungen und Volksbegehren. Die CDU entdeckt den Reiz der direkten Demokratie aber nur sehr selektiv, also ausschließlich für Volkes Ja oder Nein zur EU-Verfassung. Das ist auf jeden Fall richtig. Eine europäische Verfassung, die unser Grundgesetz überwölbt, nur vom Bundestag politisch absegnen zu lassen, während in vielen anderen Staaten das Volk sein Votum direkt abgibt, würde in Deutschland wohl eher als eine entmündigende Veranstaltung empfunden werden. Darauf wird man sich einigen. Einigen müssen.

Die SPD möchte aber auch andere wichtige Themen vors Volk bringen. Angenommen, die SPD denkt nicht nur an das Instrument der Volksbefragungen, weil die nichts ändern. Sie sind so etwas wie Demokratie im Laufstall; Rupert Scholz, der (freilich christdemokratische) Verfassungsrechtler bezeichnet sie in seinem Grundgesetzkommentar abschätzig als von „deklaratorisch-demoskopischer Bedeutung“. Nein, so etwas ist der SPD doch nicht zuzutrauen – sie will sicherlich Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide.

Was ist dann wichtig? Bestimmt die Außenpolitik. Volksabstimmung also über eine deutsche Beteiligung am Irak- oder Afghanistankrieg oder über den Beitritt der Türkei zur EU? Letzteres wäre Innenpolitik? Na gut, also eine Volksabstimmung über Hartz IV und die Praxisgebühr? Vorsicht: Das Volk, es kratzt und beißt. Für den, der es immer befragt, weil er keinen Mut zu unpopulären Entscheidungen hat, wird das Regieren sehr schwierig und unkalkulierbar. Die SPD macht sich mit einem unausgereiften Vorhaben selbst vielleicht sehr viel Ärger, nur weil sie die Union ein bisschen ärgern will. Weise wäre hingegen, durch eine einmalige Grundgesetzänderung die Volksabstimmung über die EU-Verfassung zuzulassen. Über alles Weitere darf man ohne Zeitdruck nachdenken.

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