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Flüchtlinge stehen in der Landeserstaufnahmestelle Ellwangen (Baden-Württemberg) vor der Essensausgabe an.

© dpa

Demokratieforscher Wolfgang Merkel im Interview: "Die Kanzlerin hat die Bürger entmündigt"

Demokratieforscher Wolfgang Merkel über die deutsche Flüchtlingspolitik, die schwierige Integration von Muslimen und den Aufschwung der AfD. Lesen Sie hier einige Fragen und Antworten als Blendle-Empfehlung.

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Herr Professor Merkel, die Debatte über die Flüchtlingspolitik wird in einer geradezu verstörenden Schärfe geführt. Sind die Deutschen hysterisch?

Sie stehen in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise jedenfalls an der Schwelle, hysterisch zu werden. Das hat aber weniger mit dem Charakter der Deutschen als vielmehr mit den Fehlern der Politik zu tun.

Welche Fehler meinen Sie?

Die Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel im September, die Grenzen aufzumachen, war richtig. Aber die Bundesregierung hat keinen Stufenplan entwickelt, um den Zustrom der Flüchtlinge zu steuern. Das war der Kardinalfehler. Deshalb hat die Bevölkerung mehrheitlich den Eindruck gewonnen, dass ihre Regierung handlungsunfähig ist.

Ist dieser Eindruck falsch?
Keineswegs. Die Regierung verschärft das Asylrecht und will sexuelle Gewalt härter bestrafen. Das riecht nach Aktionismus und illiberaler Politik. Sie hat aber keinen erkennbar funktionierenden Plan, wie der Zustrom in absehbarer Zeit gedrosselt werden kann. Den hätte sie im Oktober vorlegen müssen, statt zu warten, bis die Diskussion kippt und hysterische Züge annimmt.

Professor Wolfgang Merkel, ist Direktor der Abteilung "Demokratie und Demokratisierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
Professor Wolfgang Merkel, ist Direktor der Abteilung "Demokratie und Demokratisierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

© Thilo Rückeis

Warum hat der Kanzlerin-Satz "Wir schaffen das" die Bürger nicht überzeugt?

Sie hätte sagen müssen: "Wir können das schaffen" und dann aufzählen müssen, welche schwierigen und strittigen Entscheidungen dazu notwendig sind. Stattdessen blieb die Kanzlerin den Deutschen die Antwort schuldig, mit welchen Maßnahmen die historische Integrationsaufgabe gelöst werden soll. Als Demokratieforscher muss ich sagen: Die Kanzlerin hat die Bürger entmündigt. Das ist einer Demokratie mündiger Bürger unwürdig.

Hätte Angela Merkel ihre Flüchtlingspolitik im Bundestag zur Abstimmung stellen müssen?

Unbedingt! Der Bundestag ist die zentrale demokratische Instanz. Sein Beschluss hätte ein andere Legitimation und eine andere Wirkung gehabt als der Satz „Wir schaffen das“. Die Regierung wäre gezwungen gewesen darzulegen, wie sie das schaffen will, die Opposition hätte ihre Vorstellungen erklärt. Dann hätten sich die Bürger ein Bild machen können, was auf sie zukommt.

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