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Demonstrationen in Tiflis: Georgische Wirren

Die Bilder konnte Michail Saakaschwili nicht gebrauchen: Weiß bandagierte Köpfe, Gesichter mit blutenden Wunden, die offenbar von Stichwaffen herrühren. Unmittelbar vor seinem Besuch in Prag, wo Georgien als Mitgliedsland des EU-Programms Östliche Partnerschaft aufgenommen werden sollte, drohte die Gewalt in Tiflis zu eskalieren.

Dutzende von Verletzten, von denen 29 am Donnerstag noch im Krankenhaus lagen, zählten Opposition und Ordnungskräfte nach den letzten schweren Zusammenstöße im Zentrum der Hauptstadt.

Dort fordern Regimekritiker in einer Dauerdemonstration, die am 9. April begann, den Rücktritt Saakaschwilis. Ihm hatte die Opposition schon vor der Niederlage im Krieg gegen Russland im August, bei dem es um Georgiens abtrünnige Region Südossetien ging, gravierende Demokratiedefizite vorgeworfen. Unter anderem beanstandete die Opposition Unregelmäßigkeiten bei den vorgezogenen Präsidentenwahlen 2008. Auf die Vorverlegung des Termins hatte die Opposition nach den Unruhen im November 2007 bestanden, als Saakaschwili eine Demonstration durch Sondereinheiten der Polizei auflösen ließ. Diese gingen mit ähnlicher Brutalität vor wie bei den Zusammenstößen in der Nacht zu Donnerstag.

Auslöser der jüngsten Proteste waren Forderungen nach Freilassung von festgenommenen Demonstranten. Am Donnerstag gaben die georgischen Behörden dem Druck der Regierungskritiker nach und ließen die Inhaftierten frei. Damit, so die Generalstaatsanwaltschaft, habe man eine Bitte von Ilija II, dem Patriarchen der georgisch-orthodoxen Kirche, erfüllt. Dieser hatte Macht und Opposition zu Mäßigung aufgefordert. Die Situation sei hochexplosiv. Die Freigelassenen berichteten später von schweren Misshandlungen bei den Verhören.

Weil Saakaschwili die Forderungen nach einem Rücktritt ignoriert, hatten mehrere Tausend Anhänger der Opposition mehrfach Regierungsgebäude und die wichtigsten Straßen im Zentrum von Tiflis blockiert. Die Polizei mischte sich nicht ein und hoffte offenbar, die Zeit würde für sie arbeiten. Die Rechnung schien aufzugehen. Anfang Mai hatten sich die Reihen der Protestler bereits gelichtet. Neuen Zulauf verschaffte ihnen am Dienstag ein angeblicher Putschversuch des Militärs. Saakaschwili verortete die Drahtzieher in Moskau. Die Opposition behauptet dagegen, der Präsident selbst habe die Meuterei inszeniert, um den Ausnahmezustand verhängen zu können, und sah sich ausgerechnet durch die Putsch-Berichterstattung des Staatsfernsehens bestätigt. Die bringt Saakaschwili in der Tat in Erklärungsnotstand.

So standen jene Panzer, die nach einem Bericht des Fernsehens bereits gen Tiflis rollten, noch drei Stunden später, als Saakaschwili mit den Putschisten über Kapitulation verhandelte, auf dem Kasernenhof. Nicht einmal die Motoren waren angelassen. Und einer der vielen Verteidigungsminister, die Saakaschwili in fünfeinhalb Jahren verschlissen hat, gab bei einem oppositionellen TV-Kanal zu Protokoll, er sei in der Tat vor drei Wochen von angeblichen Putschisten um Mithilfe gebeten worden, habe die Unterredung jedoch mit versteckter Kamera mitgeschnitten und Sicherheitsminister Gia Torgomadse eine Kopie zukommen lassen. Auf dessen Antwort warte er bis heute. Die Opposition verlangt daher eine internationale Untersuchungskommission.

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