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Politik: Den Dank nicht erzwingen

Von Richard Schröder

Die Ostdeutschen sind undankbar“, sagen viele Westdeutsche in Reaktion auf die Montagsdemonstrationen und die jüngsten Wahlerfolge der PDS. Wenn man Leserbriefe in östlichen Regionalzeitungen liest, die oft von Klage und Anklage nur so strotzen, ist der Vorwurf nachvollziehbar.

Und trotzdem steckt ein Pferdefuß drin. Ganz selbstverständlich schreiben sich diese Westdeutschen die Rolle des Wohltäters zu, wie ein römischer Patron, der von seinen Klienten die tägliche Huldigung erwartet, da er doch ihr Gönner ist. Milliarden haben sie bekommen. Und doch sind sie unzufrieden, wählen anders als wir wünschen. Wie nun, wenn sie so wählen, weil sie die Zumutung der Unterwerfung spüren?

Undank ist verletzend, das ist wahr. Aber die Einforderung von Dankbarkeit ist der Tod jeder Beziehung. So wird denn auch der Vorwurf des Undanks zumeist erhoben, wenn das Tischtuch bereits zerschnitten ist. Und im Alltag wissen wir das. Wenn uns jemand dankt, sagen wir „keine Ursache“. Wir wehren den Dank ab. Oder „gern geschehen“, soll heißen: Das war mir ein Vergnügen. Ich habe mir damit selbst einen Gefallen getan. Es steckt in solchen Floskeln manchmal mehr Vernunft als in den Köpfen. Wer Dankbarkeit einfordert, fordert Unterwerfung und verhindert damit, was er erwartet. Echte Dankbarkeit gibt es nur in Freiheit, in einer Beziehung wechselseitiger Anerkennung.

In Süddeutschland beantwortet man Hilfe mit Satz : „Vergelt’s Gott“. Auch darin steckt Weisheit. Deine Hilfe hat Lohn verdient. Den kann ich nicht liefern, und wenn ich das versuchte, würde ich dich zum Geschäftemacher degradieren, der es auf Gegenleistung abgesehen hatte. Das gibt’s ja auch, Menschen, die sich nichts schenken lassen können und auf Gegenleistung sinnen, um sich von der Dankbarkeit loszukaufen. „Vergelt’s Gott“, das ist eine schöne Bezeugung von Dankbarkeit, ohne in die Dankbarkeitsfalle der Abhängigkeit zu geraten. Übrigens: Nur Gott können wir ohne Verlust unserer Freiheit uneingeschränkt dankbar sein. Unter Menschen verträgt sich Dankbarkeit mit Freiheit nur bei beiderseitiger Großherzigkeit, am besten unter Liebenden.

Es gibt Verhaltensweisen, die garantiert nicht zustande kommen, wenn sie gefordert werden. Das klassische Beispiel ist: „Sei spontan!“ oder eben: „Sei dankbar.“ Die Dankbarkeit der Ostdeutschen wird so lange ausbleiben, wie sie gefordert wird. Solange ihr euch auf das hohe Ross setzt, dass ihr uns gar nichts zu danken habt, werden wir auch euch nichts danken. Und daran erinnern, dass es kein persönliches Verdienst ist, im Westen geboren zu sein unter Besatzern, die euch zum Grundgesetz gedrängelt haben. Es wäre manches einfacher, wenn wir aus Anlass der deutschen Einigung alle sagen könnten: „Nun danket alle Gott“, statt um Dankbarkeit zu streiten.

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