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Den Haag: Milosevic im Gefängnis gestorben

Der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic ist tot. Das hat das Kriegsverbrecher- tribunal der UN bestätigt. Milosevic starb in seiner Zelle, die Todesursache wird untersucht.

Den Haag - Slobodan Milosevic stirbt während seines Prozesses in der Zelle des UN-Gefängnisses in Scheveningen - für das UN-Kriegsverbrechertribunal eine Schreckensvision. Am Samstag wurde sie Wirklichkeit. Am Vormittag fand ein Wärter den 64-Jährigen leblos auf dem Bett seiner Zelle in der gerade erst umgebauten Haftanstalt. Der Prozess gegen den wichtigsten Angeklagten aus der Zeit der Balkan-Kriege endet ohne Urteil.

Vier Jahre dauerte das Verfahren schon, ein in der Geschichte der internationalen Justiz beispielloses Bemühen, das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht nur politisch zu überwinden, sondern die Täter auch zu bestrafen. Aus juristischer Sicht muss der Mann, der als Präsident Jugoslawiens die Unabhängigkeitsbestrebungen seiner Untertanen mit Gewalt zu unterdrücken suchte, ohne Urteil als unschuldig gelten.

Mehr noch: Die Dritte Kammer des Gerichts mit dem Vorsitzenden Richter Patrick Robinson aus Jamaika und seinen Beisitzern O-Gon Kwon (Südkorea) und Iain Bonomy (Großbritannien) sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt. Milosevics Bruder machte von Moskau aus das Gericht für den Tod verantwortlich. Er dürfte damit für die zahlreichen Anhänger sprechen, die der Ex-Präsident immer noch hat. Mehr als 20 Mal war die im Februar 2002 begonnene Verhandlung wegen Erkrankung des Angeklagten unterbrochen worden. Zuletzt machten sich sogar seine britischen Pflichtverteidiger, die er ablehnte, für eine Klinikbehandlung in Moskau stark. Doch die Richter sagten Nein - sie glaubten den Zusagen nicht, dass der gewiefte Taktiker freiwillig ins Gefängnis zurückkehren würde.

Milosevic hat das 1993 von den Vereinten Nationen eingesetzte Tribunal nie als rechtmäßig anerkannt. Er verteidigte sich selbst und scherte sich nicht um prozessuale Vorschriften. Stets mürrisch beklagte er sich über angebliche Benachteiligungen, nutzte seine Auftritte häufig zu politischen Tiraden. Seine Botschaft: Er tat als Präsident seine verfassungsgemäße Pflicht, um die Einheit seines Landes zu bewahren. Die Kriegstreiber, das waren aus seiner Sicht die abtrünnigen Kroaten, Slowenen, Bosnier, Mazedonier, die Kosovo-Albaner - vor allem aber die NATO, die 1999 mit ihren von den UN nicht autorisierten Luftangriffen dem mörderischen Treiben ein Ende bereitete.

Der schwerste Vorwurf der Anklage war der des Völkermordes, begangen an bosnischen Muslimen im Massaker von Srebrenica 1995. Dass die brutale Ermordung von mehr als 7000 männlichen Kindern, Erwachsenen und Greisen Völkermord war, hat das Gericht in seinem Urteil gegen den Srebrenica-Eroberer Radislav Krstic festgestellt. Doch dieser wurde nur wegen Beihilfe verurteilt - noch gibt es kein rechtskräftiges Urteil des Tribunals wegen Völkermords.

Wer bleibt nun verantwortlich? Zwei der schlimmsten Kriegshetzer von damals, der bosnische Serbenführer Radovan Karadzic und sein General Ratko Mladic, sind immer noch untergetaucht. Trotz allen Drängens der UN-Chefanklägerin Carla Del Ponte scheint niemand es zu wagen, diese beiden anzutasten. Aber die Zeit drängt. Bis 2010, so wünschen es die Geld gebenden Mitglieder der Vereinten Nationen, soll das Tribunal seine Arbeit beenden. Ohne ein rechtskräftiges Urteil gegen die wichtigsten Drahtzieher der Balkankriege könnte der Eindruck zurückbleiben, die internationale Gemeinschaft habe die Großen davonkommen lassen und sich an den Kleineren schadlos gehalten. (Von Thomas P. Spieker)

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