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Denkmal-Streit: Kremljugend drangsaliert Estlands Diplomaten

Szenen wie im Wilden Westen: Die Polizei in Moskau hat der so genannten Kremljugend das Feld überlassen, die seitdem Estlands Botschaft belagert und mit Techno-Musik beschallt. Auch ein Steckbrief der Botschafterin ist im Umlauf.

Moskau - In Wild-West-Manier hat die kremltreue Jugendorganisation Naschi ("Die Unsrigen") jene estnische Diplomatin zur Fahndung ausgeschrieben, die von den Aktivisten nur abfällig "Marina" genannt wird. "Gesucht wird die Botschafterin des faschistischen Staats Estland", steht auf einem Plakat mit dem Konterfei von Marina Kaljurand. Nur der Nachsatz "tot oder lebendig" fehlt. Es ist der siebte und vorerst letzte Tag der Belagerung der estnischen Botschaft in Moskau. Nirgendwo wurde der Streit um die Verlegung des sowjetischen Kriegerdenkmals in Tallinn in den vergangenen Tagen so erbittert ausgefochten wie im Herzen der Moskauer Altstadt.

In der Zwölf-Millionen-Metropole ist die Repräsentanz des kleinen Nachbarlandes kaum zu übersehen. Große Pfeile in den estnischen Nationalfarben blau-schwarz-weiß weisen von weitem den Weg zu der "Botschaft des faschistischen Staates". Durch die sonst so ruhigen Gassen in Blickweite zum Kreml dröhnen ohrenbetäubende Techno-Rhythmen: Psychoterror gegen die 30 estnischen Botschaftsangehörigen, die weiterhin im Gebäude ausharren.

Polizei überlässt die Kontrolle der Kremljugend

"Wir versuchen, den Kopf nicht hängen zu lassen", sagt Botschaftssprecher Franek Persidski. "Aber unsere Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt." Die russische Polizei habe selbst eingestanden, dass nicht sie die Lage kontrolliere, sondern die Kremljugend. Naschi-Aktivisten attackierten bereits die Botschafterin. Nachts warfen Randalierer mehrere Scheiben der Vertretung ein.

In vorderster Front setzt der Führer der Naschi-Bewegung, Wassili Jakemenko, zum Rundumschlag gegen die verhassten Esten und die ganze westliche Welt an. "Europa misst doch immer mit zweierlei Maß. Die Unterdrückung der russischen Minderheit in Estland hat den Westen nie interessiert", schimpft der Aktivisten-Anführer vor der estnischen Botschaft. Als der Reporter aus jenem Westen auf die Randale russischstämmiger Jugendlicher in Estland verweist, verliert Jakemenko die Beherrschung. "Ihr seid mir zuwider", tobt der Cheforganisator, der in der Vergangenheit bereits hunderttausende Jugendliche für seine Zwecke auf die Straße gebracht hat. Ein Mitstreiter hält den erregten Jakemenko davon ab, handgreiflich zu werden.

"Uns wärmt die Liebe zum Vaterland!"

Vor der Botschaft trotzen etwa 150 Jugendliche dem nasskalten Schneeregen im Moskauer Mai. Zwei Studentinnen hocken vor ihrem Zelt und schlürfen heißen Tee. "Unsere Großväter haben im Zweiten Weltkrieg bei minus 40 Grad gekämpft, da macht uns das bisschen Frost nichts aus", sagt die 17-jährige Alina, und ihre Augen funkeln vor Begeisterung. "Uns wärmt die Liebe zum Vaterland!" ruft Olga neben ihr. Und tatsächlich erhitzt die Wut über die Verlegung des Kriegerdenkmals die beiden: "Sie haben das Andenken unserer Großväter geschändet", wettert Alina. Die estnische Polizei habe am vergangenen Wochenende auf friedliche Demonstranten wie Tiere eingeprügelt, ergänzt Olga.

Ein Zelt weiter harrt der 24-jährige Dmitri in der Kälte aus. Er gehört zum harten Kern der Demonstranten. An einen Bretterzaun hat er die Unterschriften geheftet, die er für sein großes Ziel, "den Abriss der estnischen Botschaft", in der Stadt gesammelt hat. Drumherum verkünden weitere Plakate die Naschi-Kritik am Nachbarstaat: Missachtung der Menschenrechte, Rechtlosigkeit, Demokratiemangel, Polizeigewalt. All die Vorwürfe, die Russland sonst vom Westen zu hören bekommt, werden nun gegen Estland geschleudert.

Am Abend schickte das estnische Außenministerium seine Botschafterin in den Urlaub. Kurz danach beendeten die Aktivisten die Blockade der Botschaft. "Das ist unser Sieg", sagt Jakemenko. Aber immer noch fehle eine Entschuldigung der Esten. Solange werde der Kampf weitergehen. (Von Erik Albrecht, dpa)

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