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Angst, Freud- und Antriebslosigkeit – die Zahl der Patienten, die mit einer Depression ins Krankenhaus kommen, hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.

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Depressionen: Die versteckte Volkskrankheit

Depressionen und andere psychische Belastungen nehmen zu. Schon ein Sechstel der Behandlungstage in Kliniken entfallen darauf, doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren.

Berlin - Die Zahl der Menschen, die wegen einer psychischen Störung im Krankenhaus behandelt werden, hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt. Während im Jahr 1990 knapp vier von tausend Versicherten (3,7) aus diesem Anlass in eine Klinik eingeliefert wurden, waren es 2010 bereits mehr als acht (8,53 Fälle). Damit stieg die Zahl der Betroffenen in dem Zeitraum um 129 Prozent, wie aus dem aktuellen Krankenhausreport der Barmer GEK hervorgeht. „Psychische Erkrankungen sind die neue, aber versteckte Volkskrankheit“, sagte der stellvertretende Vorstandschef der Barmer GEK, Rolf-Ulrich Schlenker. Man müsse aber fragen, ob jeder Fall wirklich ins Krankenhaus gehöre.

Für die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen gab die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im Jahr 2010 rund 5,5 Milliarden Euro aus. Zum Vergleich: Die Gesamtausgaben der Kassen liegen bei 180 Milliarden Euro. „Das sind keine Peanuts“, kommentiert der Kassenfunktionär Schlenker.

Zählt man die Krankenhaustage, so entfallen inzwischen mehr Tage auf die Therapie von psychischen Störungen als auf die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Letztere gingen in den vergangenen 20 Jahren um 43 Prozent zurück, während Erstere um 57 Prozent zulegten. Rund 17 Prozent aller Behandlungstage in deutschen Krankenhäusern entfallen mittlerweile auf psychische Störungen. Der Anstieg bei den psychischen Erkrankungen wäre dabei noch höher, wenn nicht die Aufenthaltsdauer gleichzeitig zurückgegangen wäre. Weil die Kliniken inzwischen stärker betriebswirtschaftlich unter Druck stehen, liegt der durchschnittliche Krankenhausaufenthalt bei einer psychischen Störung nur noch bei 31 Tagen, während es 1990 noch 45 Tage waren. Zum Umfang ambulanter Behandlungen legt der Krankenhausreport keine Zahlen vor.

Besonders stark hat die Zahl der Patienten zugenommen, die mit einer Depression ins Krankenhaus gekommen sind. Ihr Anteil verdoppelte sich allein in den letzten zehn Jahren – von 1,1 Fällen je tausend Versicherte im Jahr 2000 auf 2,3 Fälle nur zehn Jahre später. Depressionen führen auch zu den längsten Krankenhausaufenthalten – mit 56 Tagen oder umgerechnet fast zwei Monaten je tausend Versicherte. Zu den häufigsten Diagnosen bei einem Klinikaufenthalt gehören psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol. Es folgen in der Liste die Herzinsuffizienz und andere Herzerkrankungen.

Doch woran liegt es, dass heute so viel mehr Patienten als früher mit Depressionen, Angstzuständen oder Alkoholproblemen stationär behandelt werden? Sind mehr Menschen von psychischen Erkrankungen betroffen – oder trauen sich viele inzwischen eher, ihr Problem auch von einem Arzt behandeln zu lassen? „Sowohl als auch“, sagt der Barmer GEK-Vizechef Schlenker. Es gebe mehr Betroffene, aber auch eine höhere Sensibilität für das Thema.

Der Klinikaufenthalt hilft vielen Betroffenen allerdings nicht dauerhaft, mit ihren Problemen fertig zu werden. So befindet sich jeder fünfte Patient (19,1 Prozent) bereits nach einem halben Jahr wieder wegen derselben psychischen Störung im Krankenhaus. Innerhalb von zwei Jahren werden knapp 30 Prozent der Patienten wieder mit der gleichen Diagnose eingewiesen.

Viele Versicherte müssten nach einem Klinikaufenthalt lange auf einen Termin beim Psychotherapeuten warten, kritisiert Schlenker. Bis es zu einem Erstgespräch komme, könne es bis zu drei Monate dauern. „Es fehlt an Abstimmung zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich, es muss mehr Vernetzung geben“, fordert der Kassenvertreter. Schlenker plädiert dafür, die vorhandenen Kapazitäten im ambulanten Bereich anders zu nutzen: mehr Gruppentherapien statt Einzelgespräche, mehr kürzere Psychotherapien mit 45 statt 80 Stunden.

Wer mit psychischen Erkrankungen im Krankenhaus behandelt wurde, dessen Wohlbefinden sei ein knappes Jahr nach der Entlassung durchwachsen, berichtet Eva Maria Bitzer, Autorin des Krankenhausreports und Professorin am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung in Freiburg. In einer Befragung unter 1700 Patienten gaben rund 40 Prozent an, dass ihr Gesundheitszustand gut oder sehr gut sei. Knapp 40 Prozent bezeichneten diesen als weniger gut, weitere 20 Prozent sogar als schlecht. Zum Vergleich: Unter den Patienten, die im Krankenhaus ein neues Hüftgelenk eingesetzt bekamen, ist die Zufriedenheit deutlich höher. Knapp 80 Prozent gaben hier ein Jahr nach der Operation an, dass ihr Gesundheitszustand gut oder sehr gut sei.

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