zum Hauptinhalt

Politik: Der amerikanische Vorstoß zur Erweiterung des UN-Sicherheitsrates löst in Berlin verhaltenen Jubel aus

Abgesprochen war es nicht. Dass Amerika seinen Widerstand gegen eine "große" Erweiterung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aufgeben und damit den Weg Deutschlands zum Ständigen Sitz im wichtigsten Gremium der Welt potenziell ebnen würde - es kam für die deutsche Diplomatie überraschend.

Abgesprochen war es nicht. Dass Amerika seinen Widerstand gegen eine "große" Erweiterung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aufgeben und damit den Weg Deutschlands zum Ständigen Sitz im wichtigsten Gremium der Welt potenziell ebnen würde - es kam für die deutsche Diplomatie überraschend. "Wir wussten nur, dass Richard Holbrooke persönlich am Montag an einer Sitzung des ständigen Ausschusses zur Reform der UN teilnehmen würde", sagt ein deutscher Diplomat in den USA. "Damit war klar, dass er etwas Wichtiges sagen würde."

Und so kam es. "Ich möchte bekanntgeben, dass die USA nun bereit sind, Vorschläge zu prüfen, die in einer geringfügig über 21 liegenden Zahl von Sitzen resultieren würden", sagte Holbrooke seinen Kollegen. Nach ausgiebigen Konsultationen mit UN-Vertretungen sei man zu dieser Entscheidung gekommen. "Die Größe und die Zusammensetzung" des künftigen Sicherheitsrates "sind keine voneinander unabhängigen Variablen", so Holbrooke weiter. Es bleibe das Ziel der USA, einen effektiveren Rat zu schaffen. Die UN sei "unverzichtbar, aber defekt" und müsse "repariert werden, um gerettet zu werden".

Jetzt werden die alten Pläne wieder aus den Schubladen geholt - komplexe Pläne, die aus der bisherigen Zweiteilung der Sicherheitsratsmitglieder in ständige mit Veto und nichtständige ohne Veto eine Differenzierung mit bis zu vier Abstufungen machen würden. So soll die Welt, wie sie nach dem Kalten Krieg aussieht, abgebildet werden. Und doch weiß jeder, dass das Rad nicht neu erfunden werden kann, dass die, die Privilegien haben, lieber jede Reform scheitern lassen, als Macht abzugeben. Frankreich und Großbritannien beispielsweise dürften sich auf lange Zeit hin einem rotierenden Europa-Sitz verweigern.

Der ehemalige Außenminister Klaus Kinkel hatte den deutschen ständigen Sitz zur alltäglichen Forderung gemacht. Verbal übernahm die rot-grüne Regierung diese Position zwar, räumte aber unverhohlen ein, dass es sich um ein Projekt ohne Priorität handele. "Die Chancen sind gering, und entsprechend werden wir uns verhalten", sagte Günter Verheugen, als er noch Außenamts-Staatssekretär war. Offiziell blieb das Thema auf der Tagesordnung, sonderlich gedrängelt wurde indes nicht mehr. "Erstmals seit langer Zeit ist das Thema jetzt wieder akut", meinte ein Diplomat am Dienstag.

Kein Wunder also, dass aus dem Auswärtigen Amt in Berlin am Mittwoch offiziell verhaltener Jubel geäußert wurde. Minister Joschka Fischer begrüßte die erfreuliche Entwicklung und sieht einen neuen Impuls für die überfällige Reform. Dass die zuständige Arbeitsgruppe der UN heute zum Abschluss ihrer dreitägigen Sitzung aber mit einem neuen Vorschlag an die Öffentlichkeit tritt - das wird in Berlin nicht erwartet.

Mehr Spielraum - das ist es, was man nun hauptsächlich sieht. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Mehr Spielraum könnte konkret heißen: Die Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas müssten sich nicht mehr auf einen Kontinentalvertreter einigen. Vielmehr könnten jeweils zwei ehrgeizige Länder befriedigt werden. Argentinien und Brasilien aus Lateinamerika zum Beispiel, Nigeria und Südafrika, Indien und Pakistan. Spätestens bei der Nennung möglicher Kandidaten wird deutlich, wie schwierig die Erweiterung des Sicherheitsrates bleibt. Dies auch deshalb, weil nicht nur die USA eine Verbindung zur Finanzreform der Weltorganisation sehen. Auch die Europäer möchten nicht mehr so viel zahlen. Und ob ausgerechnet Entwicklungs- und bestenfalls Schwellenländer sich bereit und in der Lage finden, die Beitragslast höchstentwickelter Industrienationen zu mildern - sehr wahrscheinlich ist das nicht.

"Es handelt sich um eine bemerkenswerte Entwicklung der amerikanischen Position", findet immerhin Dieter Kastrup, der deutsche Botschafter am Sitz der Vereinten Nationen in New York. "Doch für übertriebene Erwartungen besteht kein Anlass", mahnt der deutsche Chef-Diplomat. "Die Fronten in der Sicherheitsrats-Diskussion sind festgefahren", sagte Kastrup am Dienstag dem Tagesspiegel. "Es bleibt abzuwarten, ob sich nun eine neue Dynamik entwickelt."

In der Reform-AG, die der Vollversammlung Vorschläge unterbreiten soll, herrscht das Konsensprinzip. Vor knapp drei Jahren war es Italien, das einen Schritt hin zur "kleinen" Ausweitung um Japan, Deutschland und wenige weitere, rotierende Mitglieder verhindert hatte. Jetzt ist durch das Einlenken der USA mehr Spielraum entstanden, die Ansprüche unter einen Hut zu bringen. Mehrere große Schwellen- und Entwicklungsländer wie Brasilien, Ägypten, Nigeria, Südafrika und Indonesien haben ihr Begehren formuliert. Unter anderem wird diskutiert, ob es fest zwischen Regionalmächten rotierende Sitze geben soll.

Im besten Fall kommt am Ende eine komplexe Formel heraus, die die Macht der alten Ständigen Mitglieder nicht zu sehr beschneidet, die weitere Europäisierung erträglich macht und allen Kontinenten eine Mindest-Repräsentanz sichert. Im schlimmsten Fall beginnt nun eine neue Verhandlungsrunde, bei der sich herausstellt, dass zu vielen Staaten der Status quo lieber ist als jede Änderung - und nichts geschieht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false