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Der Anfang vom Ende: Internationale Truppen geben Führungsverantwortung an Afghanistan ab

In sieben Städten und Provinzen Afghanistans wird jetzt die Sicherheitsverantwortung übergeben. Das Ereignis markiert den offiziellen Beginn des Abzugs der internationalen Truppen vom Hindukusch.

Berlin - Endlich ist der Zeitpunkt gekommen, auf den seit eineinhalb Jahren alle hinarbeiten: die Regierung in Afghanistan, die Nato und die an der internationalen Schutztruppe Isaf beteiligten Nationen. In der kommenden Woche sollen die ersten drei afghanischen Provinzen und vier Städte an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben werden. Dieses Ereignis markiert den offiziellen Beginn des Abzugs der internationalen Truppen vom Hindukusch und hat somit hohen Symbolwert. Feiern will dies überraschenderweise niemand. Jedenfalls nicht bei der Nato.

Von einem Ereignis möchte man hier ohnehin nicht sprechen, vielmehr gehe es um „das langsame Herauslösen der Isaf aus der Führungsrolle“, wie der Sprecher der Isaf, der deutsche Brigadegeneral Carsten Jacobson, sagt. Ob und wie dies zelebriert werde, liege allein bei den Afghanen. Auch das Auswärtige Amt in Berlin übt sich in Zurückhaltung: „Wie der Beginn der Übergabe der Sicherheitsverantwortung konkret eingeleitet wird, wird in diesen Tagen in Gesprächen zwischen Afghanistan und den Führungsnationen finalisiert“, heißt es dort. Und das Verteidigungsministerium stellt klar, eine Reise des deutschen Verteidigungsministers nach Masar-i-Scharif, das im deutschen Kommandogebiet liegt und zu den ersten auserwählten Städten für den Wachwechsel gehört, sei nicht vorgesehen.

Nach außen hin sichtbar werden die neuen Verhältnisse laut Isaf-Sprecher Jacobson kaum: „Die Afghanen übernehmen die Verantwortung, werden aber weiter von der Isaf unterstützt.“ Auch in Masar-i-Scharif dürfte sich nur wenig ändern. In der Stadt sind schwedische Soldaten stationiert, die unter deutschem Kommando stehen, und die bleiben auch dort. „Allerdings haben sie sich bisher schon sehr zurückgehalten“, erklärt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin. Die Stadt prosperiere und sei relativ sicher. Ein erster Ernstfall für die Afghanen endete im Frühjahr allerdings in einer Katastrophe. Als wütende Demonstranten das Gelände der Vereinten Nationen in Masar stürmten, um gegen eine Koran-Verbrennung in den USA zu protestieren, waren die afghanischen Sicherheitskräfte offenkundig überfordert. Und da die Isaf zu spät eintraf, um einzugreifen, kamen sieben Ausländer ums Leben.

Besonders schwer dürften es die Afghanen aber im Zentrum des Landes rund um Kabul haben. Auch die Hauptstadtprovinz gehört neben Masar-i-Scharif, den Städten Herat, Laschkargah und Mehtarlam und den Provinzen Bamian und Pandschir zu jenen Gebieten, in denen die Afghanen künftig eigenverantwortlich die Sicherheit der Bevölkerung gewährleisten sollen. Die Internationale Crisis Group, einer der renommiertesten Think Tanks, was die Beurteilung von Krisengebieten angeht, brachte Ende Juni einen alarmierenden Bericht über die Lage im Großraum Kabul heraus. Danach deutet vieles darauf hin, dass sich genau hier ein neuer Bürgerkrieg zusammenbrauen könnte – mit nahezu den gleichen Kontrahenten wie in den 90er Jahren. Der Krieg damals ließ ein derart verwüstetes Land zurück, dass der folgende Eroberungsfeldzug der Taliban vielen Afghanen zunächst wie eine Befreiung erschien.

Heute wieder mit dabei ist einer der berüchtigsten Kriegsherren des Landes: Gulbuddin Hekmatyar. Seine Hizb-e Islami liefert sich nicht nur Kämpfe mit den Taliban von Mullah Omar, sondern auch mit dem sogenannten Haqqani-Netzwerk, einer weiteren islamistischen Organisation, die ihre Basis in Pakistan hat. Gewalttätige Rivalitäten zwischen Kommandeuren der drei Gruppen im „afghanischen Herzland“ hätten bereits hunderte Menschenleben gefordert, heißt es in dem Bericht. Alle Beteiligten unterhielten außerdem Kontakte zu korrupten Politikern in Kabul. Auch das erinnert an die Vergangenheit. „Die afghanischen Bürger dagegen“, schreibt die Crisis Group, „sitzen zwischen allen Stühlen – zwischen der Regierung, den Aufständischen und den internationalen Truppen.“

Die Regierung von Präsident Hamid Karsai scheint die Gefahr schlicht zu ignorieren. Bei einer Konferenz des sogenannten Koordinationskomitees für den Übergang, Ende Juni in Kabul, sagte Verteidigungsminister Abdul Rahim Wardak, die Sicherheitslage in allen sieben Provinzen und Städten, die nun von afghanischen Sicherheitskräften übernommen werden, sei „angemessen“.

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