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© laif

Politik: Der Anti-Erfolg

"Zehn von vielen" heißt das Motto der Geburtstagsfeier von Attac, den Gegnern der Globalisierung. Gemeint ist: von vielen Jahren. Doch was macht ein Verband, dessen Forderungen vom politischen Mainstream übernommen wurden?

Als an jenem Herbsttag 2008 Schreie durch den Frankfurter Börsensaal schrillen, gelten die nicht den abstürzenden Kursen, sondern ein paar jungen Leuten. Die waren aus einer Besuchergruppe heraus plötzlich über Absperrungen geklettert, hatten ein Transparent über der Dax-Anzeigetafel entrollt – „Finanzmärkte entwaffnen!“ – und Flugblätter verstreut. Ein Wachmann beendet das Treiben unter Beifall vom Parkett. Dort schauen die Börsenprofis bald wieder auf ihre Displays: auf Ölpreis, Dollarkurs, Index- und Optionsscheine, auf London, Tokio und Schanghai. Wie Fledermäuse huschen virtuelle Milliarden über ihre Monitore. Und ebenso rasch ist 14 Monate später der Gerichtstermin vorbei, bei dem sich zwei der Kletterer verantworten sollen wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Das Verfahren wird eingestellt.

Die beiden Angeklagten sind Mitglieder von Attac. Das globalisierungskritische Netzwerk hat mit dem Protest im Börsensaal der Wut von Millionen Bürgern Luft gemacht. Während nach der Pleite von Lehman Brothers die Finanzkrise tobte, während Regierungen den Banken billionenschwere Rettungspakete aus dem Staatssäckel zum Fraße vorwarfen, flogen Attac die Herzen zu in einem fast beängstigenden Maße.

„Wir Spinner haben in allem recht behalten, das ist doch der Wahnsinn“, heißt das in der typischen Tonlage der Belegschaft in der Frankfurter Zentrale. Schräg gegenüber vom Hauptbahnhof arbeiten in einem Bürotrakt zwölf fest angestellte Attacies, das organisatorische Herz der Bewegung. Zuletzt hatten sie vor allem ein Thema: Attac Deutschland feiert am heutigen Samstag seinen zehnten Geburtstag , das Motto der Feier heißt „Zehn von vielen“, gemeint sind Jahre, aber mancher sieht da nicht mehr viele.

Denn: Was macht ein Verband, wenn sein zentrales Anliegen vom politischen Mainstream überrollt wird, wenn selbst die Bundeskanzlerin von Transaktionssteuern redet und sämtliche Parteien plötzlich die Finanzwirtschaft zähmen wollen? Sich freuen? Nein, das hätten sie nie getan, sagt Sprecherin Frauke Distelrath, denn die Umstände, die ihnen recht gaben, seien weiterhin beklagenswert. Und außerdem, so Distelrath, die seit 2006 dabei ist, habe sich zwar bei vielen die Rhetorik geändert, aber: „Rhetorik und Handeln sind nicht dasselbe.“ Die Berechtigung von Attac sieht sie daher auch nicht in Frage gestellt, im Gegenteil: Nachhaltig wolle man prüfen, wer den neuen Worten auch neue Taten folgen lasse.

Von den Attacies der ersten Stunde kommen indes andere Töne. „Attac muss sich wieder einmal neu erfinden“, sagt Sven Giegold, der heute mitfeiern wird. Zusammen mit Gründervater Peter Wahl gehörte der Wirtschaftswissenschaftler lange zu den führenden Köpfen der Globalisierungskritiker, heute ist er grüner Europaabgeordneter. Mit ihm hat Attac ein Gesicht verloren, ohne dass ein neues gefolgt wäre. Die basisorientierte Organisation verzichtet bewusst auf Führungspersonal, das Motto ist: „Wer macht, der macht“.

Geburtshelfer der gesamten Bewegung war Frankreich. Dort wurde die Organisation im Juni 1998 gegründet. Ein zornbebender, im Dezember 1997 erschienener Zeitungsartikel in „Le Monde Diplomatique“ war, so der Gründungsmythos, die Initialzündung. „Will man verhindern, dass sich die Welt im 21. Jahrhundert endgültig in einen Dschungel verwandelt, in dem die Räuber den Ton angeben, dann wird die Abrüstung der Finanzmärkte zur ersten Bürgerpflicht“, schrieb Chefredakteur Ignacio Ramonet und forderte entschlossenen Widerstand. Ein halbes Jahr später in Paris wurde Attac gegründet.

Der griffige, leicht aggressive Name ist in vielen Sprachen zu verstehen. Dabei ist er Abkürzung für die sperrige Bezeichnung „Association pour une Taxation des Transactions financières pour l’Aide aux Citoyens“, Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohl der Bürger. Mit dem endlos langen Namen rückte die zentrale Forderung von Attac in den Mittelpunkt – eine Spekulationssteuer zu erheben. Es war aber nicht die Spekulationssteuer, sondern die große politische Frage, die in die Welt ausstrahlte: Wie kann man verhindern, dass die Tyrannei der Märkte die sozialen Errungenschaften der Zivilisation erdrückt?

Dem Fatalismus und der Resignation, mit dem das Treiben der entfesselten Weltwirtschaft bis dahin betrachtet worden war, standen nun die soziale Fantasie der „Globalisierungskritiker“ gegenüber und ihr ansteckender Optimismus: Eine andere Welt ist möglich, versprachen sie. „Die Zeit war reif“, formuliert Attac-Chronistin Ruth Jung, „die totgeglaubten Ideale der europäischen Aufklärung wiederzubeleben.“ Attac wuchs schnell und weltweit.

In Deutschland traf sich am 14. September 1999 in Frankfurt / Main eine kleine Gruppe zum ersten Vorbereitungstreffen. Viele NGOs, die Aktivisten der Zivilgesellschaft, waren dabei. Vier Monate später, am 22. Januar 2000, versammelten sich in der Bankenmetropole 120 Aktivisten zum „Gründungsratschlag“. Heute hat Attac Deutschland 22 402 Einzelmitglieder und 160 Mitgliedsorganisationen. Der Jahresetat liegt bei 1,3 Millionen Euro. 190 Regionalgruppen sitzen in allen Ecken der Republik, auch in Lindau, Memmingen oder Bad Oldesloe. Deutschland ist damit nach Frankreich zweitgrößtes von 40 Mitgliedsländern. Neben Greenpeace sei man die erfolgreichste Neugründung einer zivilgesellschaftlichen Organisation, heißt es selbstbewusst im Jubiläumsband zum Zehnjährigen. Und wie bei Greenpeace hat sich das Verhältnis von Aktivisten und Unterstützern verändert. Waren anfangs fast alle Mitglieder auch aktiv, sind heute die meisten Mitglieder bloße Geldgeber, die den Aktivisten ihre guten Taten ermöglichen wollen.

Richtig bekannt wurde Attac im Juli 2001, als im italienischen Genua die Demonstrationen gegen den G8-Gipfel eskalierten, ein junger Mann verlor gar sein Leben, wurde erschossen von der Polizei. Die Globalisierungskritiker, die sich zur Gewaltlosigkeit bekannten, füllten die Nachrichten, eroberten die Wohnzimmer und sind seither zum Synonym geworden für – fast alles.

Attac hat eine inhaltliche Breite erreicht, die an das Nildelta erinnert. Man kümmert sich um die globalen Märkte als Kerngeschäft, aber auch um die Klimakatastrophe und Hartz IV, um die Privatisierungswelle und Afghanistan, um die Hungersnöte, den Irak, die Kopfpauschale im Gesundheitswesen, die Privatisierung der Deutschen Bahn, die bisher verhindert zu haben Attac zu seinen Erfolgen zählt. Man habe auf die Mitglieder des Bundestag eingewirkt, vor allem auf die mit SPD-Parteibuch, habe gewarnt, Zahlen genannt, Umfragen initiiert, die ergaben, dass die Bürger gegen den Börsengang des ehemaligen Volksunternehmens sind. Diese Basisarbeit, Wissen verbreiten, Meinung schulen, das nennen sie bei Attac die „ökonomische Alphabetisierung“, eine Art Nachhilfeunterricht in Fragen der globalen Ökonomie. Die Globalisierungskritiker hätten es geschafft, die komplizierten Themen in einfacher Sprache zu kommunizieren, sagt Sven Giegold, darin sieht er „eine der Stärken von Attac“, auch wenn nicht jeder Aktivist alle Fragen der Weltökonomie völlig durchdrungen habe. Doch manchmal gebe es ganz einfache Dinge mitzuteilen: „Drei Milliarden Erdbewohner, fast die Hälfte der Menschheit, leben von weniger als zwei Dollar am Tag.“

Rechnungen, die offenbar auch auf dem Frankfurter Börsenparkett Wirkung entfalten. Zum Attac-Geburtstag hat sich auch Aktienhändler Dirk Müller angemeldet, bekannt geworden in der Krise als „Mister Dax“.

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