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Politik: „Der Antisemitismus in Europa geht zurück“

Der frühere israelische Botschafter Avi Primor über Pauschalurteile und den Umgang mit Kritik in seinem Land

Gibt es tatsächlich einen „neuen“ Antisemitismus in Europa?

Es gibt einen neuen Antisemitismus – aber die Europäer sind nicht zunehmend antisemitisch. Die Gewalttätigkeiten gegen Juden gehen meist von Moslems aus, die heute in Europa leben und durch die Situation im Nahen Osten aufgewühlt sind. Das betrifft auch nur eine kleine Minderheit der Moslems. Natürlich gibt es in Europa Antisemiten, es gibt Nazis und Neonazis, die sich jetzt mit den Extremisten unter den Moslems zusammentun. Aber insgesamt geht der Antisemitismus in der Bevölkerung zurück.

Warum ist dann in Israel derzeit so viel vom neuen Antisemitismus die Rede?

Juden werden in verschiedenen Ländern Europas, aber auch in Amerika physisch angegriffen. Brennende Synagogen in Frankreich wecken Gespenster aus der Vergangenheit für jeden Juden. Allerdings wird nicht differenziert, von wem die Gewalt eigentlich ausgeht. Dann ist gar von einer Rückkehr in die 30er Jahre die Rede. Zum anderen gibt es auch die Kritik an der israelischen Regierung, die manches Mal überzogen ist, die manches Mal antisemitische Töne hat. Aber auch das betrifft nicht die Mehrheit.

Wie reagiert die israelische Öffentlichkeit auf die Kritik an ihrer Regierung?

Man sieht das in Israel nicht proportional, sondern pauschal. Man sieht nur die Angriffe. Und unsere Regierung schürt diesen Eindruck noch. Anstatt sich mit sachlicher Kritik auseinander zu setzen und sich zu bemühen, die Thesen zu widerlegen, wird gesagt, das alles sei antisemitisch. Das ist sehr bequem. Aber wenn wir diejenigen, die keine Antisemiten sind, die uns aber kritisieren, weil sie sich Sorgen um uns machen, pauschal des Antisemitismus bezichtigen, schießen wir uns ins Knie. Damit überzeugen wir niemanden.

Die ganze Debatte ist inzwischen hoch emotionalisiert. Der israelische Botschafter in Schweden hat vor kurzem eine Kunstinstallation beschädigt, die sich mit dem Nahost-Konflikt beschäftigt.

In Israel wurde er als Nationalheld gefeiert. Ich war einer der wenigen, die sich dagegen ausgesprochen haben. Wir müssen uns die Frage stellen, ob es im Interesse des Staates Israel liegt, gute Beziehungen zu den Schweden zu haben. Wenn das so ist, dann wollen wir sie hinter uns haben. Dafür müssen wir sie überzeugen, nicht brüskieren. Sonst würde ich nicht verstehen, wozu wir dort überhaupt eine Botschaft brauchen.

Tun die europäischen Regierungen genug, um den Antisemitismus zu bekämpfen?

Heute schon. Aber sie haben ziemlich lange gezögert. Die europäischen Regierungen hatten Angst, die Moslems zu brüskieren. Aber wenn man im Kampf gegen Verbrechen zögert, dann ermutigt man die Täter nur.

Hat die Antisemitismus-Debatte Europa und Israel weiter voneinander entfernt?

Leider entfernt sich Israel schon seit geraumer Zeit von Europa . Und indem Europa pauschal des Antisemitismus bezichtigt wird, hat sich dieser Abgrund noch vertieft.

Was müssten beide Seiten tun, um diesen Abgrund zu überwinden?

Wir brauchen viel mehr Dialog. Das müssen die Zivilgesellschaften übernehmen, nicht die Regierungen. Die Genfer Initiative war eine Errungenschaft der Zivilgesellschaft.

Das Gespräch führte Claudia von Salzen.

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