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Politik: Der Autokrat hat noch nicht ausgespielt

Die Nato warnt. Der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic glaubt, Jugoslawien sei zu einem "Experimentierfeld" Milosevics und seines "autistischen und fremdenfeindlichen Regimes" geworden.

Die Nato warnt. Der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic glaubt, Jugoslawien sei zu einem "Experimentierfeld" Milosevics und seines "autistischen und fremdenfeindlichen Regimes" geworden. Und der serbische Präsident Slobodan Milosevic selbst tut alles, um die neuen Befürchtungen zu nähren, indem er seine Truppen in der westlich orientierten Schwesterrepublik Montenegro verstärkt. Will Milosevic einen neuen Krieg vom Zaun brechen? Die Nato befürchtet eine solche Konfrontation und hat vorsorglich schon einmal erklärt, sie werde Montenegro vor Belgrad schützen. Die Fronten sind verhärtet. Unter Hinweis auf die vor dem Internationalen Gericht in Den Haag erhobene Klage gegen Milosevic sagte Djukanovic zudem, Montenegro werde jeden des Kriegsverbrechertums Verdächtigen an das Tribunal ausliefern.

Milosevics Anhänger werden indes auch in Serbien immer weniger. Die letzten Tage in Belgrad haben dies gezeigt. Selbst die Rentner haben jetzt eine politische Botschaft: "Slobo, hau ab" und "rote Banditen", skandierten sie diese Woche an einer kleinen Kundgebung im Zentrum von Belgrad. Mit Slobo ist Milosevic gemeint. Die roten Banditen sind die Günstlinge des Regimes vom Belgrader Nobelvorort Dedinje. Die Rentner haben schon früher immer mal wieder protestiert. Das Problem ist bekannt: Der Staat hat kein Geld, und die Kassen sind leer. Serbiens Rentner bekommen das immer als erste zu spüren. Und trotzdem gehörten die Rentner bisher zu den treuesten Wählern von Milosevic und seiner Sozialistenpartei. Wird sich das jetzt ändern, da das Kosovo verloren ist? Noch immer sind es nur ein paar hundert, die auf die Straße gehen. Die große Mehrheit ballt noch immer nur die Faust in der Hose und teilt den Frust im kleinen Freundeskreis. Noch gibt es keine Massenbewegung gegen Milosevic.

Auch andere, die zu den Pfeilern der Macht gehörten, gehen enttäuscht auf Distanz. Man will die Verantwortung für die Schuld, die das Regime von Kroatien über Bosnien bis in das Kosovo auf sich geladen hat, nicht länger mittragen. Ein Groß-Serbien ja, aber nicht, wenn es auf Verbrechen aufgebaut ist, sagt sinngemäß Patriarch Pavle, Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche. Die Geistlichen sind mit dem kommunistischen Apparatschik zwar nie richtig warm geworden. Doch seinem Programm der "serbischen Erneuerung" hat man willig applaudiert. Und für die Vorherrschaft über die Kosovo-Albaner hat man das "ideologische Fundament" geliefert. Jetzt ist das Projekt kläglich gescheitert, und man fordert den Kopf Milosevics.

Die Opposition teilt das Schicksal mit der orthodoxen Kirche. Jahrelang hat man versucht, Milosevic auf dem Feld des Nationalismus zu schlagen. Jetzt ist das Kosovo verloren. Zehn Jahre nach der gefeierten Milosevic-Rede auf dem Amselfeld ist das gemeinsame Projekt gescheitert. Das Heer der Getäuschten zeigt auf den einsamen Mann im Weißen Palast von Belgrad. Der Autokrat soll die Verantwortung für das Desaster von zehn Jahren aggressivem Nationalismus auf sich nehmen. Der Westen leistet der allzu simplen Schuldzuweisung Vorschub. Solange Milosevic an der Macht sei, werde es keine Hilfe für den Wiederaufbau geben. Es braucht nur den Sturz des Autokraten und die schmerzliche Isolation hat ein Ende. Dabei wird übersehen, daß nicht der Präsident alleine, sondern das System "Milosevic" die Wurzel des Übels darstellt. Und zu diesem "System" gehört Serbiens Opposition. Die Nato-Luftangriffe haben zwar den Abzug der serbischen Einheiten aus dem Kosovo bewirkt. Doch den Sturz von Slobodan Milosevic will der Westen den Serben überlassen. Jetzt soll gelingen, was bisher immer gescheitert ist.

Die letzte, vielleicht historische Chance, hat die Opposition im Winter 1996/97 kläglich verspielt. Nach Dauerdemonstrationen hatte Milosevic damals nachgegeben und der Opposition den Wahlsieg in einem Dutzend größeren Städten zugestehen müssen. Die Eintracht der siegreichen Opposition war nicht von langer Dauer. Das oppositionelle Bündnis "Zajedno" (Gemeinsam) fiel nach kurzer Zeit auseinander und zurück in die alten Streitigkeiten. Nach der Aufhebung des Kriegsrechts wittert Serbiens Opposition eine neue Chance. Quer durch das ganze Land sollen Protestkundgebungen organisiert werden. Die Forderungen klingen einfach: Milosevic soll zurücktreten. Nachher will man "freie und faire Wahlen" unter internationaler Aufsicht. Doch so einfach ist Milosevic nicht zu besiegen. Erstens krankt die Opposition daran, daß sie zerstritten ist wie eh und je. Vuk Draskovic, einziges politisches Schwergewicht, laviert zwischen den Fronten. Draskovic will sich an den Kundgebungen gegen das Regime nicht beteiligen. Er möchte Milosevic "noch mal eine Chance" geben. Und wer garantiert, daß bei freien Wahlen die "Richtigen" gewinnen? Das Heer der Getäuschten ist vor neuen "Verführungen" nicht gefeit. Der Sieger bei Neuwahlen könnte Vojislav Seselj heißen. Der Führer der Ultranationalisten hat schon in der bosnischen Serbenrepublik hinzugewonnen, obwohl dort die internationale Gemeinschaft den "gemäßigten" Nationalisten unter die Arme griff. Autokraten leben länger: Milosevic hat noh nicht ausgespielt. Nach der Kapitulation im Kosovo und angesichts der Misere im Land ist der Autokrat zwar geschwächt wie nie zuvor. Doch die Opposition ist noch immer schwächer. Und Milosevic kann jeder Zeit in Montenegro den schwelenden Konflikt zur Eskalation bringen. Hier könnte er noch ein letztes Mal die Karte der "nationalen Einheit" spielen.

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