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Politik: Der Bundeskanzler von Kreuzberg

Viele Deutsch-Türken haben am Sonntag SPD und Grüne gewählt – ihre Landsleute erwarten nun Erleichterungen bei der Einreise und beim Staatsbürgerschaftsrecht

Von Thomas Seibert, Istanbul

Nach der Bundestagswahl wird der Ruf nach weiteren Erleichterungen bei der Einbürgerung laut. Der Wahlsieg der rot-grünen Koalition stärkt das Selbstbewusstsein der Deutsch-Türken: Türkischen Zeitungsberichten zufolge votierten etwa 60 Prozent der türkischstämmigen Wähler für die SPD, weitere 20 Prozent für die Grünen. Knapp 500 000 türkischstämmige Wähler konnten ihre Stimme abgeben, das waren so viel wie nie zuvor. Bei der nächsten Wahl im Jahr 2006 werden es durch die erleichterten Regeln für die Einbürgerung rund eine Million sein, rechnen türkische Zeitungen ihren Lesern bereits vor. Selbst die CDU/CSU, die sich bisher mit den nicht-deutschstämmigen Wählern schwer tat, müsse in Zukunft die Belange der Deutsch-Türken stärker in Betracht ziehen.

Wegen des knappen Wahlausgangs ist in der türkischen Öffentlichkeit fast schon der Eindruck entstanden, als habe Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Verbleib im Amt einzig und allein den Türken zu verdanken. Im Massenblatt „Hürriyet" war sogar vom „Bundeskanzler von Kreuzberg" die Rede.

„Nun wollen die Auslandstürken eine Gegenleistung sehen", berichtete die gemäßigt-islamistische Zeitung „Zaman“, die wie „Hürriyet“ von vielen Türken in Deutschland gelesen wird. „Zaman“ veröffentlichte auch gleich eine Forderungsliste. Verlangt wurden unter anderem Visa-Erleichterungen bei Besuchen aus der Türkei, das kommunale Wahlrecht für die türkische Wohnbevölkerung in Deutschland, bessere Chancen für Türken bei der Arbeitsvermittlung, ein Anti-Diskriminierungsgesetz und ein Verzicht auf deutsche Sprachtests bei der Einbürgerung von Türken. Zwar sind die türkischen Vorstellungen vom Einfluss ihrer Volksgruppe auf die deutsche Politik reichlich übertrieben. Doch zumindest die Grünen reagieren. Parteichefin Claudia Roth sagte deshalb der Zeitung „Milliyet", sie wolle einen leichteren Erwerb der doppelten Staatsbürgerschaft durchsetzen. Nach der Wahl ist schließlich vor der Wahl.

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