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Politik: Der Colt als Leitkultur

Von Peter von Becker

Trauer und Mitgefühl nach dem Massaker an einer amerikanischen Hochschule. Das ist die spontane Empfindung. Doch bereits diese erste, urmenschliche Regung, eine Antwort noch ohne Fragen, wird getrübt durch das Verhalten des US-Präsidenten. George W. Bush nämlich ließ mit dem zweiten Reflex schon seinen Mitbürgern und der Welt mitteilen, dass jeder Amerikaner weiterhin das Recht haben müsse, eine Schusswaffe zu besitzen und zu tragen. Das heißt für den Texaner Prinzipientreue. Eine solche Reaktion in diesem Moment aber verrät auch Bushs Kälte, die ihn vom Ideal eines zu Beginn seiner Präsidentschaft beschworenen compassionate conservativism trennt.

Um Bush in Person, den längst Entzauberten, geht es gar nicht nach dem Blutbad von Blacksburg. Eigentlich geht es auch nicht um jene fürchterliche National Rifle Association, um jene Waffenlobbyisten, die nun sogar behaupten, es müsse in den USA noch mehr Schießeisen geben. Wäre jeder Student in Blacksburg bewaffnet gewesen, so die Argumentation, dann hätte man den Amokschützen auch früher ausschalten können. Diese Irrsinnslogik allerdings hat dann doch wieder mit Bush und dem von ihm verkörperten Teil Amerikas zu tun.

Selbst in der Verzweiflung kennen Fundamentalisten offenbar keinen Zweifel. Es gibt kein Innehalten. Aber auch keine demokratische Opposition wird die 200 Millionen Handfeuerwaffen in amerikanischen Privathaushalten ernstlich in Frage stellen: nicht ihren Vertrieb und wohl nicht mal die unbeschränkte Lizenz für die so mörderischen Schnelllade-Guns. Da müsste noch einiges mehr passieren, bis ausgerechnet dies ein Thema im beginnenden Wahlkampf würde.

33 Tote an einem Tag, so zynisch das klingt, es wäre für Bagdad nicht der schlimmste Tag. Das sind die Relationen. Früher hätte vor allem das weiße Amerika die alltägliche Gewalt als Problem der ärmeren, schwärzeren Regionen des Landes von sich fortschieben können. Da lag Bagdad gleichsam in der South Bronx. Aber Blacksburg, eine Universität als Tatort, das ist schon nebenan. Die Gewalt erreicht längst die Mittelschicht oder kommt aus ihr. Amok ist zwar ein Exzess. Aber das Phänomen, dass sich die Massaker in der Medienwelt, von der seriösen Nachrichtensendung über den TV-Dauerkrimi bis zu den Hardcore-Videogames, plötzlich in die Realität verkehren: Das ist eine aktuelle, anhaltende Erfahrung. Nicht nur in den USA.

Die Liste der Amokläufe und der sich und andere niederstechenden, niederschießenden Jugendlichen wird länger. Und nach Erfurt oder Emsdetten muss man auch in Deutschland mit Nachahmern jederzeit rechnen. Für all das gibt es keine eingleisigen, keine monokausalen Erklärungen. Waffengesetze, Medienprogramme, Armut oder Wohlstandsverwahrlosung, atavistische Triebe oder moderne Neurosen ergeben jeweils nur Partikel und Facetten der Ursachensuche. Es ist so ähnlich wie beim Klimawandel.

Doch wie dort verdichten sich zumindest die Indizien. Beispielsweise dafür, dass die Inflation gewaltmächtiger Leitbilder in den Medien und im Internet, unterstützt von einer kräftigen Konkurrenz- und Konsumkultur, bei anfälligen Jugendlichen Grenzen verschiebt. Grenzen zwischen nur spielerischer Aggressionsabfuhr und handfester Aggressionsentladung. Mit Messer und Colt. Auch das ist eine Klimaveränderung.

Nicht nur in diesem Fall liefert Amerika für einen großen Teil der Welt die Leitkultur. Bush ist dabei nicht für alles verantwortlich. Jedoch steht dieser Präsident für das Gegenteil jeglicher Selbstbesinnung. Siehe den Reflex auf Blacksburg. Siehe den Mangel an demokratischer, an rechtlicher Kultur. Und bald mag man schon nicht mehr an Zufall glauben: Der politische Reaktionär – auch als Christ kein Mann der Bergpredigt – erfährt immer häufiger Reaktionen, als sei’s ein biblischer Fluch. Guantanamo ist sein Menetekel, im Irak öffnen sich die von Saddam angedrohten „Tore der Hölle“, die von Washington so lange negierte Klimakatastrophe sendet ihre Sturmboten, Amerika erlebt Amok. Nein, Bush bringt kein Glück.

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