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Fehler im System. Hacker sollen das Netzwerk des Bundestags angegriffen und sich Zugriff auf die E-Mail-Accounts einiger Abgeordneter verschafft haben.

© J. Stratenschulte/dpa

Der Cyberangriff auf den Bundestag: Die Fortsetzung des Krieges mit digitalen Mitteln

Der Bundestags-Hack zeigt: Es geht ums große Ganze. Wer hat die Macht – Politik oder Technik? Ein Essay von Sascha Lobo.

Vielleicht muss man das digitaldemokratische Debakel des noch immer andauernden Bundestags-Hacks einfach von der positiven Seite betrachten, damit es erträglicher wird.

Die Abgeordneten werden zweifellos sensibilisiert für die technische, rechtliche, emotionale Unsicherheit, die Überwachung bedeutet. Die Relevanz einer verlässlichen digitalen Infrastruktur dürfte in ihren Augen ebenso zugenommen haben. Und wenn selbst das Herz der Demokratie derart unkontrollierbar gehackt wird und sich damit als manipulierbar erweist – dann dürfte niemand mehr ernsthaft über die gefährliche Quatschtechnologie Wahlcomputer nachdenken. Außer vielleicht Sigmar Gabriel, um seine derzeit laufende Sammlung digitaler Fettnäpfchen zu komplettieren.

Sascha Lobo (40) ist Blogger, Buchautor und Journalist. Er beschäftigt sich vor allem mit digitalen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Sascha Lobo (40) ist Blogger, Buchautor und Journalist. Er beschäftigt sich vor allem mit digitalen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.

© Karlheinz Schindler/dpa

Die negative Seite aber reicht sehr viel tiefer, als es den Anschein hat. Der Bundestags-Hack ist nicht einfach ein Angriff auf die Kommunikationsnetze des Parlaments. Der Bundestags-Hack ist das derzeit sichtbarste Symbol eines immer schärfer geführten Kampfes. Und zwar nicht weniger als das Ringen um die Macht zwischen Politik und Technologie – und damit zwischen Demokratie und Datenwelt.

Experten können seit Wochen nicht sagen, welche Daten abgeflossen sind

Zwar hört man aus den Reihen des Bundestages Sätze wie „das war doch klar“ und „damit musste man rechnen“. Aber obwohl das nach Snowden nicht unbedingt falsch sein mag, handelt es sich um schlichte Selbstberuhigung. Denn die wahre Dimension des Hacks offenbart sich darin, dass selbst Spezialisten seit Wochen weder in der Lage sind, das kompromittierte System abzusichern, noch zu sagen, welche Daten genau abgeflossen sind und noch immer abfließen.

Alle Geheimdienste arbeiten so

Ein simples Gedankenspiel. Wenn das BKA die Umtriebe von Sebastian Edathy nicht aufgedeckt hätte – er hätte durch einen solchen Späh-Hack offensichtlich erpresst werden können. Alle möglichen Geheimdienste arbeiten genau so, nicht erst seit Edgar J. Hoover, aber dort mustergültig nachvollziehbar: Dossiers anlegen, Druck aufbauen, Macht ausspielen.

Und wo Systeme gehackt werden, muss man stets von der Möglichkeit der Manipulation ausgehen. Bei der nächsten digitalen Enthüllung über einen Parlamentarier ist völlig unklar, ob sie überhaupt rechtlich haltbar wäre. Beweise aus einem nachweislich gehackten Rechnernetz sind digitaler Quark. Diese Unsicherheit bewirkt das Gefühl des Ausgeliefertseins und wirkt in jeder Hinsicht lähmend. Auch dann, wenn man keine Festplatte voller illegaler Fotos hat, denn beweisen kann man genau das im Zweifel schlicht nicht. Das „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ wurde 2008 genau deshalb vom Bundesverfassungsgericht neu aus dem Grundgesetz abgeleitet.

Entscheidungen an den Finanzmärkten werden algorithmisch getroffen

Abseits von Erpressbarkeit und Unsicherheit aber findet der erwähnte Kampf zwischen Politik und Technologie seit längerer Zeit statt. Nur eben unter der Oberfläche.

Wenn etwa bei der Rettung von Banken oder ganzen Ländern die Rede von „den Märkten“ ist und diese Märkte eine Maßnahme annehmen oder nicht – dann handelt es sich um exakt diesen Kampf. Mehr als 99 Prozent der Transaktionsentscheidungen auf den Finanzmärkten werden letztlich algorithmisch getroffen. Im Klartext: Die Politik versucht ernsthaft, das Wohlwollen von unzähligen, kaum kontrollierbar vernetzten Softwares zu erreichen.

Börsenstürze zum Beispiel geschehen in Sekundenbruchteilen

Dass die dahinterstehenden Algorithmen letztlich „nur“ tun, was ihnen Programmierer ursprünglich eingeschrieben haben, spielt keine Rolle – weil die vernetzte Technologie viel zu komplex geworden ist, als dass eine einzelne Person sie noch überblicken könnte. Bis heute ist oft unklar, wie zum Beispiel „Flash Crashes“ entstehen, also Börsenstürze in Sekundenbruchteilen. Und doch beeinflussen solche Marktbewegungen das Schicksal von Millionen Menschen.

Geheimdienste auch befreundeter Staaten greifen aktiv in die Politik ein

Der Bundestags-Hack offenbart, wie beeinflussbar demokratische Prozesse durch Technologie sind. Denn seit den Enthüllungen von Snowden ist bekannt, dass selbst die Geheimdienste befreundeter Staaten nicht davor zurückschrecken, selbst aktiv in die Politik einzugreifen. Ohne jede Hemmung, ohne jede Scheu vor Gesetzesbrüchen. Die NSA und der britische GCHQ unternehmen FalseFlag-Operationen, Manipulationen von Abstimmungen und Webseiten, Schmutzkampagnen, und das wo immer und bei wem immer es ihnen zum Erreichen der Ziele notwendig erscheint. Mit anderen Worten: Sie schöpfen die Möglichkeiten der Technologie ohne jede Rücksicht aus.

Heutige Geheimdienste sind die Hybris der Technologie

Aus den Geheimdiensten des 20. Jahrhunderts, die sich mit James-Bond-haftem Charme um Agentenangelegenheiten kümmerten, sind datengläubige Monster geworden. Heutige Geheimdienste sind die Hybris der Technologie. Sie stehen für die Fortsetzung des Krieges mit digitalen Mitteln, sie stehen dafür, nicht durch demokratische, sondern allein durch technologische Grenzen limitiert zu sein.

Deshalb ist letztlich nicht unbedingt entscheidend, welcher Geheimdienst den Bundestag gehackt hat. Entscheidend ist, zu begreifen, dass diese behördlichen Tech-Monster derzeit an allen Fronten die Demokratie attackieren. Und dass diese Attacke durchaus auch von innen stattfinden kann: Bekannterweise half der BND der NSA, europäische Unternehmen, Politiker und Institutionen auszuspionieren.

Kampf zwischen Macht der gewählten Politik und der ungewählten Macht der Daten

Beim Bundestags-Hack geht es also nicht darum, ob ein paar Mails der Abgeordneten ausspioniert worden sind oder der Kalender der Kanzlerin. Es geht darum, dass Geheimdienste weltweit – auch und gerade deutsche Dienste – den Missbrauch von technologisch ausgeübter Macht zum Standard erheben. Die NSA-Überwachung, die Selektorenliste, der Bundestags-Hack sind nur drei Facetten des Kampfes zwischen der Macht der gewählten Politik und der ungewählten Macht der Daten. Er wird andauern.

Sascha Lobo (40) ist Blogger, Buchautor und Journalist. Er beschäftigt sich vor allem mit digitalen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Sascha Lobo

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