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Politik: „Der erste Flug meines Lebens im Stehen“ Christoph Dehn, Auslandsvorstand der Kindernothilfe, über seine Reise

ins Katastrophengebiet.

Herr Dehn, Sie waren anderthalb Wochen im Land unterwegs. Welchen Eindruck haben Sie gewonnen?

Der Taifun hat so viele Gebiete getroffen. Es ist ganz schwierig zu sehen, wie an einer Stelle ganze Dörfer weggespült wurden und nur zwei Stunden Fahrt entfernt das ganz normale Leben weitergeht. Diese Situation hat mich manchmal fast zerrissen.

Sie haben lange auf den Philippinen gelebt, es gibt hier viele Taifune. Was war diesmal anders?

Die Philippinen erleben jedes Jahr 20 bis 25 Taifune. Yolanda kam mit extrem starkem Wind, aber die meisten Zerstörungen, die wir an der Ostküste von Samar gesehen haben, haben drei riesige Flutwellen verursacht, die der Sturm vor sich hertrieb.

Yolanda ist quer durchs Land gerast. Haben Sie schon entschieden, wo und wie die Kindernothilfe helfen will?

Wir haben mit zwei Teams drei der vier betroffenen Gebiete angeguckt und werden in der Provinz Panay mit unserem Partner „Action contre la faim“ und im Osten der Insel Samar im Landkreis Salcedo helfen. Wir werden jetzt erst einmal die berühmten angereicherten Kekse gegen den Hunger verteilen, aber uns dann vor allem mittel- und langfristig engagieren. Yolanda hat besonders arme Familien getroffen, die ihre Boote und die Ernte verloren haben.

Was werden Sie konkret für die Kinder tun?

Wir wollen, dass sie möglichst bald in ein normales Leben zurückkehren können. Vor allem werden wir uns rasch um Traumata kümmern. Je schneller, desto besser sind die Heilungschancen. Wir haben bei der Kindernothilfe ein Konzept, das auf Selbsthilfegruppen setzt. Da schließen sich 10 bis 15 Frauen zusammen, sparen, geben sich gegenseitig Kredite und organisieren sich auch gegenüber der Stadt oder der Schulverwaltung.

Wie schnell können Sie helfen?

Wir haben bereits 150 000 Euro für die Soforthilfe freigegeben. Sobald die Anträge vorliegen, gibt es Geld für größere Projekte. Im Landkreis Salcedo auf Samar stellt unser Partner Amurt bereits heute Psychologinnen und Bauingenieure ein, die Anfang der Woche mit der Arbeit beginnen. Wir werden sehr schnell zehn Kindergärten reparieren und wieder öffnen. Da die Regierung angesichts der immensen Schäden kaum alle Schulen bis Januar wird aufbauen können, wenn der Unterricht wieder starten soll, werden wir auch da helfen. Und natürlich beim Hausbau.

Ganze Dörfer sind weggespült, wo bekommen Sie Ihr Baumaterial her und wie schaffen Sie es an Ort und Stelle?

Als Bauholz können wir die abgestorbenen Kokospalmen verwenden. Andere Materialien können wir hoffentlich bald aus der Wirtschaftsmetropole Cebu per Fähre heranschaffen, im Moment sind noch alle Transportwege schwierig.

Viele Menschen haben ihr Haus, ihre Ernte, ihre Boote verloren. Wie reisen Sie dort?

Diese Reise war abenteuerlich. Wir wussten oft bis zum letzten Moment nicht, wie wir von A nach B kommen. Mit der Fähre nach Ormoc und einem Auto oder per Flug nach Tacloban und weiter über Land nach Salcedo? Das schied am Ende aus, es gibt in den Regionen kein Benzin. Das müsste man Stunden entfernt im Norden Samars besorgen. Wir kamen schließlich auf einem knapp einstündigen Hilfsgütertransport der philippinischen Luftwaffe von Cebu nach Guiuan mit. Manche der gut 100 Passagiere haben noch einen Sitzplatz auf den Reissäcken gefunden, für mich war es der erste Flug meines Lebens im Stehen. Ich hatte mein Schweizer Messer in der Tasche, wir hatten Wasser und unser Essen für mehrere Tage dabei, in Salcedo gibt es nichts zu kaufen.

Wo haben Sie geschlafen, im Hotel?

(lacht) Nein, in Salcedo gibt es kein Hotel. Wir hatten Glück und konnten über einen lokalen Kontakt in Privathäusern unterkommen, die noch stehen. Ein Teil unserer Gruppe schlief im Wohnzimmer einer Familie auf dem Fußboden, ich habe mit zwei anderen in einem winzigen Zimmer mit vielen Mücken ohne Licht auf dem Boden übernachtet. Aber wir hatten Kerzen dabei.

Was wird Ihnen von dieser Reise besonders in Erinnerung bleiben?

Es ist ein Bild aus Asgad, einem Dorf im Landkreis Salcedo, das quasi ausgelöscht worden ist. Von der Kirche steht nur noch die Fassade. Aber die Menschen haben die Heiligenfiguren geborgen und mitten in den Trümmern aufgestellt. Ich weiß nicht, was das bedeutet, aber mir kam es vor, als sollten die Heiligen über die Überreste wachen und den Menschen so helfen, ihr Leben wieder aufzubauen.

Das Gespräch führte Ingrid Müller in Manila.

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