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Politik: "Der Erste Weltkrieg": Das große Gemetzel

So lautet in Großbritannien die gängige Bezeichnung für den Ersten Weltkrieg. Diese Etikettierung sagt eine Menge über den Stellenwert des ersten großen Gemetzels des 20.

So lautet in Großbritannien die gängige Bezeichnung für den Ersten Weltkrieg. Diese Etikettierung sagt eine Menge über den Stellenwert des ersten großen Gemetzels des 20. Jahrhunderts im Gedächtnis der Briten. Mehr als eine Million Gefallene beklagte das Britische Empire. Kein anderer Waffengang Londons forderte je einen so hohen Blutzoll.

Nun hat sich der renommierte Historiker John Keegan an die Mammutaufgabe herangewagt, eine umfassende Militärgeschichte des Ersten Weltkrieges zu schreiben. Keegan befasst sich detailliert mit den Konzeptionen der Militärs für den Angriffs- und Verteidigungsfall. Er analysiert ihre Schwächen und Stärken. Der Schlieffen-Plan etwa "sei ein "Schubladenplan par excellence" gewesen. Aber bei den Allierten sah es auch nicht viel besser aus: Die Kooperation zwischen Engländern und Franzosen war voller Pannen, nationale Eitelkeiten trugen mit dazu bei, dass die Gefallenenzahlen in die Höhe schossen. Überhaupt wirken die Heeresführer wie Figuren aus einem anderen Zeitalter, die die Effizienz moderner Tötungstechniken irgendwie nicht begreifen wollten. Die französischen Oberbefehlshaber sahen in ihren dunkelblauen Uniformen mit goldfarbenen Knöpfen aus wie "Stationsvorsteher", die britischen in ihren Reithosen aus Cordsamt wie "Leiter einer Fuchsjagd". Doch viele der obersten Militärs kommen bei Keegan gut weg. Ein Gentleman wie Ludendorff, der "titanenhafte" Hindenburg oder Pétain und der "erhabene" Haig. Bücher etwa von Erich Maria Remarque, Henri Babusse und Siegfried Sassoon hätten "den guten Ruf" dieser Herren zerstört. Man merkt, Keegan war einmal Dozent an der britischen Militärakademie Sandhurst.

Keegan nennt zwar die Fehler der obersten Generäle auf allen Seiten, käme aber nicht auf den Gedanken, die pathologischen oder menschenverachtenden Züge der militärischen Entscheidungsträger beim Namen zu nennen. Viel zu fest ist er im Denken der Militärs verankert, das macht sich auch an seiner Sprache bemerkbar: "Die deutsche Infanterie des rechten Flügels war noch immer voller Tatendrang."

Bemerkenswert ist ebenfalls seine Sichtweise des Kriegsjahres 1917. Laut Keegan war Deutschland damals dem Sieg recht nahe: Rumänien geschlagen, die Italiener auf dem Rückzug und Frankreichs Truppen derart kampfmüde, dass sie sich auf eine reine Verteidigung ihrer Stellungen beschränkten. Und das zaristische Russland befand sich im Auflösungsprozess. Nur das heroische England zeigte noch Kampfwillen und trotzte den Deutschen, bis die Amerikaner auf dem Kriegsschauplatz auftauchten und endgültig die Wende brachten.

Meisterhaft und mit großer Sachkenntnis breitet Keegan die Dramatik der Ereignisse zwischen 1914 und 1918 aus. Weil er sich nicht sonderlich mit der Frage der Kriegsziele beschäftigt, bekommt seine Darstellung eine ganz eigene Bedeutung. Der Tod von Millionen von Soldaten erscheint als genau das, was er war: sinnlos.

Ralf Balke

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